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"Zuhören wäre schon ein großer Schritt"

18. Mai 2010

In Kabul wurden am Dienstag (18.05.) bei einem Anschlag mindestens 18 Menschen getötet, darunter mehrere ISAF-Soldaten. Über die Folgen sprach DW-WORLD.DE mit Conrad Schetter vom Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung.

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Conrad Schetter
Conrad SchetterBild: DW

DW-WORLD.DE: Herr Schetter, warum glauben Sie, haben die Aufständischen gerade jetzt zugeschlagen - unmittelbar vor der sogenannten Friedens-Jirga, einer Rats-Versammlung der afghanischen Stämme?

Conrad Schetter: Ich denke, den Aufständischen ist vor allem daran gelegen, in Kabul durch solche Bombenattentate Präsenz zu zeigen. Sie wollen zeigen, dass sie da sind und dass sie das Herz der Macht immer wieder angreifen können. Das ist ein zentraler Aspekt, den man immer wieder sehen kann: Alle zwei oder drei Monate kommt es zu einem solchen Attentat in der Hauptstadt, da denken die Taliban sehr zentral. Es geht ihnen darum, eine große Aufmerksamkeit zu erregen, deshalb plazieren sie immer wieder Anschläge in Kabul.

Was sagt das aus über dieses "Herz der Macht"? Wie verwundbar ist es?

Eine Stadt wie Kabul wird natürlich gerade von den ISAF-Truppen, den Truppen der Internationalen Staatengemeinschaft, sehr stark beschützt. Es gibt sehr starke Bemühungen, dort wirklich eine Kontrolle auszuüben. Aber: Kabul ist eine Millionenstadt, in der weit über fünf Millionen Menschen leben und eine Stadt, die sich nicht kontrollieren lässt. Das bedeutet, solche Bombenattentate kann es auch in Zukunft immer wieder geben.

Andererseits ist diese Stadt eben auch sehr stark geschützt, ausländische und afghanische Truppen sind dort stationiert. Außerdem ist dort die sog. 'Akademie zur Aufstandsbekämpfung' untergebracht. Und trotzdem passiert so ein Anschlag wie an diesem Dienstag immer wieder. Wie sehr trifft damit der Anschlag die NATO und ihre aktuelle Strategie?

Der Anschlag war tatsächlich gerade gegen diese 'Akademie zur Aufstandsbekämpfung' ausgerichtet. Es werden immer strategische Ziele von den Aufständischen ausgewählt: mal ein internationales Hotel, mal eine Militärparade. Man versucht, eben solche Ziele auszusuchen, um die Verwundbarkeit zu demonstrieren. Diese Attentate rufen immer wieder ins Bewusstsein, dass die Internationale Gemeinschaft schwach ist. Es handelt sich eben nicht um Bombenattentate auf einem Marktplatz, sondern um Attentate, die direkt gegen die ISAF gerichtet sind. Auch wenn es leider zivile Tote gegeben hat - eigentlich richtete sich das Attentat konkret gegen die Internationalen Kräfte. Die Aussage ist klar: Unser Kampf richtet sich gegen die NATO-Truppen und weniger gegen die afghanische Bevölkerung.

Es sieht aber auch so aus, als wäre es ein Kampf gegen den afghanischen Präsidenten. Denn Hamid Karsai möchte eine Friedens-Jirga einberufen. Diese Ratsversammlung steht jetzt nicht gerade unter einem guten Omen!

Ich denke, Hamid Karsai sitzt sehr stark zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite ist ihm genauso wie der NATO klar, dass man irgendwie mit den Taliban reden muss. Auf der anderen Seite erleben wir seit einigen Monaten in Afghanistan eine Zunahme der Gewalt - und zwar von beiden Seiten. Das heißt nicht nur, dass die Aufständischen mehr und mehr Gefechte suchen, wie beispielsweise in Kundus, wo es auch bei der Bundeswehr Opfer zu beklagen gab. Auch die NATO versucht, die Taliban in allen Ecken des Landes in die Defensive zu drängen. Derzeit kann man auf beiden Seiten eine Eskalation der Gewalt beobachten. Hamid Karsai kommt mit seiner Friedens-Jirga zu einem Moment, da es eine Verschärfung der Gewalt gibt. Damit ist der Jirga praktisch schon jetzt der Boden unter den Füßen entzogen.

Sind die Taliban überhaupt dazu bereit, jetzt oder auch in der Zukunft bei so einer Friedens-Jirga mit zu arbeiten?

Insgesamt muss man natürlich sagen, dass die Aufständischen in verschiedene Gruppierungen unterteilt sind und unterschiedliche Interessen verfolgen. Gegenwärtig ist mein Eindruck, dass auch innerhalb der Taliban viele bereit sind, politische Zugeständnisse zu machen und nicht den ganzen Kuchen haben wollen. Das ist ähnlich wie Mitte der 1980er Jahre, als die Sowjets in Afghanistan waren. Damals konnte man auch beobachten, wie beide Seiten versuchten, sich gegenseitig in die Defensive zu treiben, um dann bessere Ausgangsbedingungen für Verhandlungen zu haben. Und genau das tun gegenwärtig die Taliban auch. Sie versuchen, durch solche Attentate wie an diesem Dienstag immer wieder die Verwundbarkeit des Gegners zu unterstreichen und sich so für eventuelle Gespräche eine bessere Verhandlungsposition zu sichern.

Gibt es denn eine Alternative zu dem Versuch, die Taliban mit in die Verhandlungen einzubinden?

Ich glaube, man muss viel stärker auf die verschiedenen Gruppen von Aufständischen hören, sich anhören, was sie überhaupt wollen. Es sind ja ganz unterschiedliche Gruppierungen. In meinen Gesprächen mit Aufständischen kam sehr stark heraus, dass es oft um sehr banale Dinge geht: um eine Überlebenssicherung, um Arbeitsplätze. Die einfachen Dinge, an denen der Wiederaufbau Afghanistans bisher gescheitert ist. Genau das konnte bisher nicht geleistet werden. Heute geht es sicher auch um ideologische Konzepte, aber ich denke, oft sind es Aspekte, die man auch mit gesundem Menschenverstand beheben kann. Meiner Meinung nach ist zum Beispiel schlichtes Zuhören sehr wichtig. Wenn das zwischen den Gruppen gelingen würde auf der Jirga, dann wäre man schon viel weiter.

Dr. Conrad Schetter ist Afghanistan-Experte beim Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung.

Das Gespräch führte Cordula Denninghoff
Redaktion: Thomas Kohlmann