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Zum Einsatz von US-Bodentruppen in Afghanistan

Daniel Scheschkewitz26. November 2001

Eine neue Phase im Kampf gegen die Taliban und El-Kaida-Netzwerk hat begonnen. Ein Kommentar von Daniel Scheschkewitz.

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Die Nachricht von der Stationierung umfangreicher Bodentruppen - Marineinfanteristen des 15. und 16. Expeditionskorps der US-Armee - im Südwesten der Taliban-Hochburg Kandahar, kann niemanden überraschen. Der Einsatz von mobilen Kampfeinheiten am Boden liegt
in der militärischen Logik des US-Einsatzes in Afghanistan und ist gut vorbereitet. Kandahar ist nach dem Fall von Kundus die einzig verbleibende Stadt von strategischer Bedeutung, die noch von den Taliban gehalten wird. Geheimdienstinformationen besagen außerdem,
dass sich der Führer des El-Kaida-Netzwerks, Osama Bin Laden nach wie vor in Afghanistan befindet und zwar in den komplexen Höhlenanlagen, die zwischen Kandahar, Dschalalabad im Westen und der pakistanischen Grenze liegen.

Die US-Marines, die jetzt zum Einsatz kommen - derzeit einige Hundert doch könnte sich ihre Zahl in den nächsten Tagen auf über 1500 erhöhen - können Beides: Sie sind für den konventionellen Bodenkampf ausgebildet und somit in der Lage massiv Taliban-Stellungen anzugreifen.

Angesichts der erstaunlichen Berichte, wonach bei den bisherigen Operationen Taliban-Kämpfer massenweise zur Nordallianz überlaufen sind, mag der dosierte Einsatz von Bodentruppen, die wie bisher durch Bombardements aus der Luft unterstützt werden, auch für die Einnahme der Hochburg Kandahar genügen. Was den psychologischen Vorteil
hätte, dass die Gefühle der Afghanen, bei denen aus historisch verständlichen Gründen die Anwesenheit fremder Truppen höchst unpopulär ist, nicht über Gebühr strapaziert würden.

Aber die US-Bodentruppen sind auch dafür qualifiziert in
guerillaähnlichen Aktionen Spezialaufgaben durchzuführen. Und darin liegt möglicherweise ihre eigentliche Bedeutung. Konkret gedacht ist an gezielte und auf Geheimdienstinformationen basierende Einsätze,
die zur Ergreifung Bin Ladens und seiner Offiziere führen sollen. Auch wenn dies nicht einfach werden wird.

Nach allem was wir wissen, wird der mutmaßliche Topterrorist von einer 2000-Mann starken Leibwache geschützt. Das Höhlensystem in dem sich Bin Laden verstecken soll, ist breit gefächert und komplex - die Anlagen sind so ausgelegt, dass sich ihre Bewohner auch wochenlangen Belagerungen widersetzen können. Außerdem liegen die meisten in der Nähe von Dschalalabad und damit einige hundert
Kilometer von dem, Flugfeld entfernt, auf dem die US-Marines jetzt gelandet sind.

Und doch ist zumindest der Versuch einer Ergreifung Bin Ladens dem übergeordneten Kriegsziel im Kampf gegen den internationalen Terror geschuldet. Auch wenn man vielleicht niemals den Beweis erbringen kann, dass Bin Laden getötet wurde - der militärisch-politische Triumph, dem die USA derzeit in Afghanistan so nahe scheinen, ist solange inkomplett, wie sich der selbsterklärte Anführer im
Terroreinsatz gegen die USA propagandistisch in Szene setzen kann und ein Symbol für anti-amerikanischer Hassgefühle bleibt. Wo auch immer sie sich auf diesem Globus auch manifestieren mögen.