1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Zum Gysi Nummer 1"

Sabine Kinkartz10. September 2014

Für Straßen, Brücken und Autobahnen ist in Deutschland in erster Linie der Staat zuständig. Er baut und repariert sie. Die Bundesregierung will künftig mehr private Geldgeber ins Boot holen. Die Opposition lehnt das ab.

https://p.dw.com/p/1D9og
Dobrindt verteidigt Maut-Pläne
Bild: picture-alliance/dpa

Was kann und was will der Staat noch leisten? Eine sehr grundsätzliche und ernste Frage, die der Fraktionsvorsitzende der Linken, Gregor Gysi in der laufenden Haushaltsdebatte allerdings mit so viel Witz zuspitzte, dass sich selbst die Bundeskanzlerin das Lachen nicht verkneifen konnte. Wenn der Staat tatsächlich seine Straßen verkaufen wolle, dann werde er, Gysi, mit allen Mitteln versuchen, die Straße zu kaufen, in der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wohne. "Dann wird das sehr teuer für Sie, wenn Sie nach Hause wollen", sagte er mit Anspielung auf die Maut-Pläne der Bundesregierung. "Außerdem nenne ich die Straße dann um und es wird Ihnen äußerst peinlich sein, wenn Sie immer schreiben müssen, dass Sie 'Zum Gysi Nummer 1' wohnen."

Hinter dem kurzen Ausflug in die politische Satire steckt ein brisantes Problem. Die Politik muss schon bald eine Antwort darauf finden, wie der gigantische Investitionsstau in Straßen, Schienen, Wasserstraßen, Energienetze und andere öffentliche Infrastruktur aufgelöst werden kann. Eine Bund-Länder-Kommission geht davon aus, dass dem Staat pro Jahr 7,2 Milliarden Euro allein zum Erhalt der Verkehrswege fehlen. Unter dem Zwang der Schuldenbremse stellt die Bundesregierung für die nächsten vier Jahre aber nur insgesamt fünf Milliarden Euro mehr bereit, davon eine Milliarde für das kommende Jahr.

Deutschland verschleißt

Mehr geht nicht, zumindest nicht ohne Einsparungen in anderen Politikbereichen, wenn der Bund ab 2015 Haushalte ohne neue Schulden vorlegen will. "Öffentliche Investitionen sollten sich auf Forschung und Ent­wicklung, Bildung und Ausbildung, Innovationen und Start-up-Unternehmen, den digitalen Sektor, eine gute, überregionale Verkehrsinfrastruktur, die Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen und die Ener­giewende konzentrieren", gab der Bundesfinanzminister in der Haushaltsdebatte vor.

Symbolbild - Schlagloch
Es gibt viel zu tun auf Deutschlands StraßenBild: picture-alliance/dpa

Die Opposition schäumt. Das Land lebe von der Substanz, die Gesellschaft werde auf Verschleiß gefahren, kritisiert der Grüne Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler. "Deutschland hat jetzt schon eine der niedrigsten Investitionsquoten weltweit. Jede zweite Brücke ist sanierungsbedürftig, ist baufällig. In Zukunft müssen viele Bahn- und Straßenbrücken gesperrt werden, wenn sie jetzt nicht saniert werden." Experten geben Kindler Recht. Durchschnittlich 20 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts investieren die OECD-Länder in ihre Infrastruktur. In Deutschland sind es, wenn man private und öffentliche Investitionen zusammenrechnet, nur noch 17 Prozent. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW rechnet vor, dass Deutschland rund 80 Milliarden Euro höhere Investitionen braucht, wenn das OECD-Niveau wieder erreicht werden soll.

Private Geldgeber gesucht

Grüne und Linke fordern, im Haushalt mehr Geld für Investitionen in die Infrastruktur einzuplanen. Das lehnt die Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD ab. Es sei ein Irrtum zu glauben, dass man durch eine Erhöhung der Defizite mehr Wachstum schaffen könne, sagt Wolfgang Schäuble. "Wir brauchen in erster Linie private Investitionen, um die wirtschaftliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas zu erhalten", kündigt er stattdessen an.

Die Mobilisierung privater Investitionen sei volkswirtschaftlich wirkungsvoller als jedes staatliche Ausgabenprogramm. "Warum sollte das, was bei den Telefon- und Energienetzen alles in allem gut funktioniert, nicht auch im Verkehrsbereich stärker einzusetzen sein, zumal andere Länder das erfolgreich vormachen?", fragt Schäuble.

Schäuble im Bundestag 9.9.2014
Der Bund könne nicht alles bezahlen, sagt Finanzminister Wolfgang SchäubleBild: picture-alliance/dpa/ M.Gambarini

Tatsächlich wird beispielsweise in Österreich die Instandhaltung von Autobahnen und Schnellstraßen durch eine Betreibergesellschaft finanziert, die Anleihen auf dem Kapitalmarkt herausgibt. Die Zinszahlungen sind durch Mauteinnahmen abgesichert. Ähnlich wird in Belgien verfahren. Auch hier gibt es Projektanleihen, die zum Teil über Jahrzehnte laufen, und den Investoren sichere Einnahmen versprechen.

Wer trägt das Risiko?

Die SPD trägt die Pläne der Union mit. Man müsse das "enorme Sparkapital", das in Deutschland zur Verfügung stehe, "für Investitionen akquirieren", fordert der Haushaltsexperte Carsten Schneider. "Ich halte die Diskussion über die Gründe, die 2008 in die Finanzkrise geführt haben, nämlich dass die Überschüsse, die wir hier erwirtschaftet haben, ins Ausland exportiert und nicht in Deutschland investiert wurden, für absolut überfällig." Er wolle nicht wieder die Situation erleben, dass Lebensversicherungen, Banken und andere Kapitalanleger ihre in Deutschland erwirtschafteten Ersparnisse im Ausland anlegten, so Schneider.

Man müsse über eine neue Aufgabenteilung zwischen Staat und Privatsektor nachdenken, meint der Bundesfinanzminister. Natürlich bräuchten die privaten Investoren eine Rendite. Aber es dürfe nicht darauf hinauslaufen, dass der Staat die Risiken trage und die Privaten die Gewinne machten. "Die richtige Arbeitsteilung ist, dass der Staat für einen verlässlichen Rechtsrahmen sorgt und Private ihre Leistungen gegen Entgelt und bei Übernahme des unternehmerischen Risikos anbieten."

Alternative: Steuererhöhungen

Wie das funktionieren kann, wird derzeit bereits auf der Ebene der G-20-Staaten debattiert. Deutschland leitet dabei gemeinsam mit Indonesien und Mexiko eine Arbeitsgruppe, die Standards entwickelt, wie privates Kapital in die Finan­zierung von Infrastrukturinvestitionen gelenkt werden kann.

Bundestagsdebatte 01.09.2014 Gregor Gysi
Will den Staat nicht aus der Pflicht lassen: Linken-Fraktionschef Gregor GysiBild: Reuters

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kann all diesen Plänen nichts Gutes abgewinnen. "Die Politik verliert dann ihre Zuständigkeit für Energie- und Wasserpreise und wir haben dann auch mit den Preisen der Mobilität nichts mehr zu tun." Es sei unerträglich, wenn die Renditeerwartungen der Investoren auf alle Steuerzahler abgewälzt würden. Gysi schwebt eine andere Lösung vor. Der Internationale Währungsfonds habe vorgerechnet, dass Deutschland mit "etwas mehr Steuergerechtigkeit" 80 Milliarden Euro mehr einnehmen könne. "Dann hätten wir das Geld für Bildung und Investitionen, das wir dringend benötigen!"