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Zunehmende Verflechtungen zwischen Kirche und Staat in Serbien?

20. Januar 2005

Seit Ende letzten Jahres existiert ein Spenden-Fonds für das Kosovo. Ehrenvorsitzender des Fonds ist der Belgrader Patriarch. Das sorgt in Serbien für neue Diskussionen um die Trennung von Kirche und Staat.

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Der serbisch-orthodoxe Patriarch Pavle spielt eine wichtige RolleBild: AP

Die serbische Regierung hat am 14. Januar mitgeteilt, der Fonds für Kosovo und Metohija habe binnen kurzer Zeit 110 Millionen Dinar, also rund 1,4 Millionen Euro gesammelt. Dieser Fonds wurde Ende letzten Jahres auf Initiative der serbischen Regierung gegründet. Nach einer Regierungssitzung hieß es, 80 Millionen Dinar seien Spenden von Privat- und Geschäftsleuten, 30 Millionen steuere das Ministerium für Kapitalinvestitionen bei. Auf dieser Sitzung wurden Seine Heiligkeit, der serbisch-orthodoxe Patriarch Pavle zum Ehrenvorsitzenden und Serbiens Premier Vojislav Kostunica zum Vorsitzenden ernannt. Dem Minister für Kapitalinvestitionen, Velimir Ilic, zufolge werden die Spendengelder vornehmlich für den Ausbau der Infrastruktur und für die Wasserversorgung in Nord-Kosovo verwendet.

„Kosovo als Problem der Kirche“

Die Wahl des Patriarchen Pavle zum Ehrenvorsitzenden des Kosovo-Fonds hat in der serbischen Öffentlichkeit erneut die Frage nach der Beziehung zwischen Kirche und Staat aufgeworden. Nach Ansicht zahlreicher Analysten wird auf diese Weise eine langfristige Strategie der Serbisch-Orthodoxen Kirche umgesetzt, die immer mehr den Ehrgeiz verfolge, zwischen Bürger und Staat, statt zwischen den Gläubigen und Gott zu vermitteln.

Ljubisa Rajic, Professor an der Philologischen Fakultät Belgrad und Mitglied des Belgrader Universitätsrates, wies darauf hin, dass diese Tendenz insbesondere im vergangenen Jahr erkennbar geworden sei und ohne die Unterstützung der Politik unmöglich wäre. „Die Ernennung des Patriarchen Pavle zum Ehrenvorsitzenden dieses Fonds demonstriert, dass momentan das Kosovo als ein Problem der Kirche betrachtet oder zumindest so dargestellt wird, um den reaktionärsten und rückständigsten Teil der Bevölkerung zu hofieren. Dabei denke ich nicht, dass Gläubige grundsätzlich reaktionär sind, ganz im Gegenteil. Das Problem besteht allerdings darin, dass die dubiosesten Vertreter sowohl der Kirche als auch der Gläubigen hofiert werden, diejenigen nämlich, die viel zu den Ereignissen der vergangenen 15 Jahre in dieser Region beigetragen haben.“

Zunehmende Privilegien der Kirche

Professor Rajic zufolge strebt die Serbisch-Orthodoxe Kirche eine privilegierte Stellung in der Gesellschaft an. Zunächst aber wolle sie über den Staat ihre Finanzprobleme lösen, indem sie Haushaltsmittel anfordere. Die Ernennung eines jeden Kirchenvertreters – sei es der Patriarch, ein Bischof oder der Gemeindepope – zum Mitglied eines staatlichen Ausschusses oder einer Kommission stärke unmittelbar die Beziehungen zwischen Kirche und Staat.

Die Kirche, so Rajic weiter, setze dafür diverse Mittel ein: „Als die Kirche an die Belgrader Universität zurückkehrte, stellte sie als erstes den Antrag, dass das Finanz- und Bildungsministerium ihre finanzielle Versorgung übernimmt.“ Das zweite Mittel sei, dass der Religionsunterricht unter der gegenwärtigen Regierung in Schulen eingeführt wird. Unter der Obhut des Bildungsministeriums sorge die Kirche damit für die Verbreitung der Religion. Als letztes Mittel nannte Rajic, „Serbien ist eines der wenigen Länder, in dem Polizei-Experten Berichte über Sekten verfassen. In der Regel befassen sich damit Soziologen, Psychologen oder Anthropologen. Bei uns sind es eben Polizisten, und sie werden dabei von der Kirche seelisch unterstützt. Die Kirche versucht also mit anderen Worten, sich mit Hilfe der Polizei der ‚Konkurrenz‘ zu entledigen und nicht mit Hilfe eines besseren Angebots.“

Kampf um Wählerstimmen

Das Vorgehen der Kirche hinterließe tiefe Spuren in der Gesellschaft, weil die Verquickung zwischen Kirche und Staat bereits zu weit gehe, sagte Rajic. Die Politiker ihrerseits förderten zudem die Einbindung der Serbisch-Orthodoxen Kirche in den Staatsapparat – teils aus Opportunismus, teils aus Rückständigkeit. Wenn dann die Kirche eines Tages fest integrierter Teil des Staatsapparates wäre, könnten Staat und Kirche nur schwer von einander getrennt werden. Die Politiker im Land seien aber nicht dazu bereit, langfristig an die Folgen ihrer Entscheidungen zu denken, da sie sich lediglich damit befassen würden, wie viele Stimmen ihnen ihre Entscheidungen bei den nächsten Wahlen einbrächten, so Rajic.

Ivica Petrovic, Belgrad,
DW-RADIO / Serbisch, 14.1.2005