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Zuwanderung

Karl Zawadzky6. November 2007

Viele EU-Länder schotteten ihren Arbeitsmarkt nach der letzten Erweiterungsrunde nach Osten hin ab - und brachten sich damit um ökonomische Vorteile. Das ergab jetzt eine Studie Wirtschaftsforschungsinstituts DIW.

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Der deutsch-polnische Autobahngrenzübergang in Frankfurt (Oder), Foto: dpa
Grenzübergang: Für Arbeitsuchende geschlossenBild: picture-alliance/dpa

Erst im Jahr 2011 wird es auch für die Arbeitnehmer aus den mittel- und osteuropäischen Staaten, die im Jahr 2004 der Europäischen Union beigetreten sind, die volle Freizügigkeit auf dem gesamten EU-Arbeitsmarkt geben. Denn bei der EU-Osterweiterung konnten die damaligen Mitgliedsländer für eine siebenjährige Übergangszeit selbst über die Öffnung ihrer Arbeitsmärkte entscheiden. Deutschland und Österreich haben sich für eine möglichst restriktive Variante entschieden: Für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Ländern bleibt bis 2011 der deutsche Arbeitsmarkt verschlossen. Das heißt aber nicht, dass der Zuzug aus Mittel- und Osteuropa unterbleibt. Vor allem Polen nutzen die Möglichkeit zum Sprung in die Selbständigkeit. Damit lässt sich der niedergelassene Schlagbaum an der Grenze unterlaufen.

Polnischer Arbeiter, Foto: dpa
Viele Polen kommen als selbsständige Handwerker nach DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

In einer neuen Studie weist das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin jetzt die Befürchtungen zurück, ein ungehinderter Zuzug werde auf dem Arbeitsmarkt zu Nachteilen für die deutschen Arbeitnehmer führen. Im Gegenteil: Die Arbeitsmarktforscher halten die Zuzugsbarrieren sogar für problematisch. DIW-Präsident Professor Klaus Zimmermann erklärt: "Wahrscheinlich sind dadurch auch höher qualifizierte Migranten in Staaten mit liberaleren Zuwanderungsmöglichkeiten umgelenkt worden. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels ist dies eine bedenkliche Entwicklung."

Deutschland bringt sich um ökonomische Vorteile

Der Präsident des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus F. Zimmermann, Foto: dpa
Zimmermann: 'Deutschland bringt sich um ökonomische Vorteile'Bild: picture-alliance/ ZB

Die Zuwanderer, die die Zuzugsbarrieren unterlaufen konnten, weisen eine ähnliche berufliche Qualifikation auf wie die deutsche Bevölkerung – und verfügen damit über eine deutlich bessere Ausbildung und Berufserfahrung als die schon lange in Deutschland lebenden Zuwanderer, vor allem aus der Türkei. Zimmermann ist daher der Meinung: "Deutschland wäre schlecht beraten, sich weiterhin selbst um die ökonomischen Vorteile zu bringen, welche die volle Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten mit sich bringt." Negative Auswirkungen der Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt und das Sozialsystem wurden in der Untersuchung nicht festgestellt. "Vielmehr sind tendenziell eher positive Effekte feststellbar", heißt es in der Untersuchung.

Ende 2006 hatten im Ausländerzentralregister 530.000 Personen die Staatsangehörigkeit eines der neuen mittel- und osteuropäischen EU-Staates; das waren acht Prozent der insgesamt in Deutschland gemeldeten Ausländer. 91 Prozent der Zuwanderer aus den neuen EU-Staaten sind im erwerbsfähigen Alter, bei allen in Deutschland lebenden Ausländern liegt dieser Anteil bei 80 Prozent. Wie auch in Schweden, Großbritannien und Irland stellen die Polen mit einem Anteil von knapp 70 Prozent die größte Gruppe unter den Migranten aus den neuen EU-Ländern. Das hat vor allem damit zu tun, dass Polen das mit großem Abstand bevölkerungsreichste Land der neuen EU-Staaten ist. Daneben dürfte ebenso die direkte Nachbarschaft zu Deutschland eine Rolle spielen wie auch die Tatsache, dass schon vor mehr als zehn Jahren rund 100.000 Polen hier angesiedelt waren. So genannte "ethnische Netzwerke" spielen bei der Migration eine wichtige Rolle.

Selbstständigkeit als Eintrittskarte

Fachkraft aus dem Ausland, Foto: ap
Auch gut ausgebildete Fachkräfte bleiben draußenBild: DW/picture-alliance/dpa

Obwohl für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Ländern die Freizügigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt noch nicht gegeben ist, kommen pro Jahr mehr als 40.000 Mittel- und Osteuropäer mehr nach Deutschland als von hier in die Heimatländer zurückkehren. Auffällig ist, dass rund 40 Prozent der Zuwanderer Selbständige sind, vor allem Handwerker. Bei den vorher Zugezogenen liegt dieser Anteil lediglich bei 14 Prozent. Das stärkt die Vermutung, dass viele Zuwanderer aus den neuen EU-Ländern mit dem Sprung in die berufliche Selbständigkeit die für Arbeitnehmer geltenden Zuzugsbarrieren unterlaufen.

Die meisten Zuwanderer aus Mittel- und Osteuropa verfügen über eine mittlere berufliche Qualifikation – also über eine Lehre oder einen Fachschulabschluss. Damit ähneln sie in ihrer Ausbildung und Qualifikation mehr als andere in Deutschland ansässige Migrantengruppen den Deutschen. Das DIW setzt sich in seiner Studie dafür ein, in Deutschland die Zuzugsbarrieren generell abzubauen und nicht nur, wie von der Bundesregierung geplant, lediglich Ingenieuren der Fachrichtungen Maschinenbau, Fahrzeugbau und Elektrotechnik schon vor 2011 die Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme zu gewähren. Nach Auffassung der Wirtschaftsforscher verkennt die Bundesregierung, "dass die Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedsstaaten größtenteils qualifiziert sind und einen Zugewinn für den deutschen Arbeitsmarkt darstellen würden", heißt es in der Studie. Ihr Fazit: "Deutschland wäre schlecht beraten, sich weiterhin selbst um die ökonomischen Vorteile zu bringen, die in einer beschleunigten Einführung voller Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten liegen."