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Späte Wiedergutmachung

12. Juni 2007

Knapp sieben Jahre hat es gedauert, die NS-Zwangsarbeiter finanziell zu entschädigen. Für viele ist das nur ein symbolischer Akt. Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Köhler ziehen eine positive Bilanz.

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Jüdische Zwangsarbeiter in einer Munitionsfabrik bei Dachau, während des Zweiten Weltkriegs (undatiertea Archivbild, AP)
Zwangsarbeiter in einer Munitionsfabrik bei DachauBild: AP

Die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter des Nazi-Regimes ist nach knapp sieben Jahren abgeschlossen. Aus diesem Anlass haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Horst Köhler die Entschädigungszahlungen als Beitrag zu historischer Gerechtigkeit gewürdigt. "Es ist endlich gelungen, vielen ehemaligen Zwangsarbeitern die versprochene humanitäre Unterstützung zukommen zu lassen", sagte Merkel am Dienstag (12.6.2007) bei einer Feierstunde anlässlich des Endes der Zahlungen in Berlin. Sie verwies darauf, dass seit Ende des Zweiten Weltkriegs insgesamt 64 Milliarden Euro als Entschädigung und Wiedergutmachung gezahlt wurden, nicht aber an Zwangsarbeiter. Daher sei die Stiftung mit ihren Zahlungen nötig gewesen, auch wenn gelte: "Das zugefügte menschliche Leid kann mit finanziellen Mitteln niemals wieder gut gemacht werden."

Köhler: Initiative war bitter notwendig

Bundespräsident Horst Köher im Schloss Bellevue in Berlin während Feierstunde, AP
Bundespräsident Horst Köher im Schloss Bellevue in Berlin während FeierstundeBild: AP

Köhler sagte, durch die wenigstens "symbolisch materielle Entschädigung" werde das Leid der Jahrzehnte lang vergessenen Opfer öffentlich anerkannt. Damit würden die Schuld und Verantwortung für das Leid der Zwangsarbeiter auch materiell ausgedrückt. Auch wenn keine echte Entschädigung möglich sei, habe die Stiftung historische Bedeutung: "Es ist eine Initiative, die bitter notwendig war auf dem Weg zu Frieden und Aussöhnung." Der ehemalige NS-Zwangsarbeiter Noach Flug, der die Betroffenen in der Stiftung vertritt, erinnerte an die Leiden der Millionen Zwangsarbeiter, von denen viele nicht überlebten. "Ich sehe mit Genugtuung, dass die Stiftung eine große und wichtige Leistung vollbracht hat."

Die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" hat seit ihrer Gründung im Sommer 2000 mehr als 4,3 Milliarden Euro an 1,6 Millionen frühere Zwangsarbeiter in mehr als 100 Ländern, vor allem in Osteuropa gezahlt. Diese konnten, anders als Opfer in Westeuropa, bis zum Ende des Kalten Krieges keine Ansprüche gegenüber Deutschland geltend machen. Das Stiftungsvermögen von 5,1 Milliarden Euro (damals zehn Milliarden Mark) stammt je zur Hälfte vom Bund und von einer Initiative deutscher Firmen. Mit dem verblieben Geld werden Projekte zur Erinnerung an die NS-Zeit finanziert.

Mühsamer Prozess

Noah Flug, Vorsitzender des Dachverbands der Organisationen Holocaustüberlebender, AP
Noah Flug, Vorsitzender des Dachverbands der Organisationen HolocaustüberlebenderBild: AP

Errichtung und Finanzierung der Stiftung waren nach langen internationalen Verhandlungen und mühsamen Versuchen der Wirtschaft, das Geld aufzubringen, erreicht worden. Ende der 90er Jahre waren deutsche Firmen unter Druck durch Sammelklagen ehemaliger NS-Zwangsarbeiter in den USA geraten, durch die ihnen Finanz- und Imageschäden drohten. Im Gegenzug zu ihrem Beitrag zur Stiftung erhielten sie weit gehende Sicherheit gegen weitere Klagen. Der Vertreter der deutschen Firmen in der Stiftung, Manfred Gentz, kritisierte eine in den USA anhängige Klage auf Entschädigung und warf der US-Regierung vor, sie dringe, anders als die Bundesregierung, nicht ausreichend auf ihre Abweisung.

Nach Abschluss der Auszahlungen bleibt der Fonds "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" als Förderstiftung auf Dauer tätig. 426 Millionen Euro Kapital sollen ein jährliches Fördervolumen von rund acht Millionen Euro für Versöhnungsprojekte ermöglichen. Mit der Stiftung wollten Bund und Wirtschaft ein Zeichen historischer und moralischer Verantwortung für die Gewaltherrschaft setzen und die bisherigen Regelungen zur Wiedergutmachung ergänzen. "Wenn wir heute zurückschauen, können wir sagen, dass die Stiftung mit der Anerkennung der Zwangsarbeiter als NS-Opfer nicht nur in Deutschland zu deren Rehabilitierung beigetragen hat", sagte der scheidende Stiftungsvorsitzende Michael Jansen. Die Stiftung habe mit ihren Partnerorganisationen dafür gesorgt, dass die Berechtigten auch im Ausland die Gelder sicher erhalten hätten.

Kritik: Zahlungen kamen zu spät

Häftlingspersonalkarte des russischen Zwangsarbeiters Nikolaj Tupikin, AP
Häftlingspersonalkarte des russischen Zwangsarbeiters Nikolaj TupikinBild: AP

Die Auszahlungen erfolgten nicht direkt an die NS-Opfer, sondern über sieben Partnerorganisation: die Jewish Claims Conference, die Internationale Organisation für Migration und fünf Stiftungen in Russland, Weißrussland, der Ukraine, Polen und Tschechien.

Linke Gruppen kündigten Proteste gegen die Veranstaltung an, weil ihrer Auffassung nach hunderttausende NS-Opfer nicht in den Genuss der symbolischen Entschädigungszahlungen kamen. Die Entschädigungen erreichten nur noch einen kleinen Teil der zehn Millionen Zwangsarbeiter, mit denen die Nazis ihre Kriegswirtschaft aufrechterhalten hatten. Die Stiftung war nach schwierigen internationalen Verhandlungen Mitte 2000 gegründet worden. Das Stiftungskapital brachten Staat und Wirtschaft je zur Hälfte auf. Wegen der Klärung komplizierter Fragen wie der Rechtssicherheit deutscher Unternehmen vor Sammelklagen in den USA begannen die Auszahlungen erst ein Jahr nach der Gründung im Juni 2001. Je nach Einstufung erhielten die NS-Opfer zwischen 2556 und 7669 Euro (5000 bis 15 000 Mark). (vem)