1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zwangsmobilisierung von Flüchtlingen in Serbien

7. April 2005

Während der Jugoslawien-Kriege wurden in Serbien Tausende Flüchtlinge aus Bosnien oder Kroatien entführt oder verhaftet. Die Medien schwiegen lange dazu, jetzt diskutierten in Belgrad Menschenrechtler zu diesem Thema.

https://p.dw.com/p/6U44
Statt Zuflucht in Serbien zu finden, kamen Flüchtlinge an die Front wie die im kroatischen Vukovar (1991)Bild: AP

Titel der Veranstaltung war die "Zwangsweise Mobilisierung von Flüchtlingen in Serbien und die rechtlichen sowie psychologischen Folgen". Das Belgrader Zentrum für Menschenrechte und das Internationale Opfer-Hilfsnetzwerk, IAN, organisierten die Diskussion. Warum wird erst jetzt die zwangsweise Mobilisierung von Flüchtlingen in Serbien während der Kriege auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien erörtert? Die Antworten auf diese Frage fallen bei Richtern, Anwälten und Vertretern von Nicht-Regierungsorganisationen unterschiedlich aus. Dieses Thema wurde zumindest in den staatlichen Medien beharrlich verschwiegen, während die Polizei Flüchtlinge entführte, verhaftete und sie paramilitärischen Einheiten übergab.

Ausmaß der Verantwortung umstritten

Die Anwältin Mojca Sivert, die 720 Flüchtlinge und ihre Angehörigen vertrat, behauptet, der Staat habe strikt abgelehnt, die Verantwortung dafür zu übernehmen. "Der Oberste Gerichtshof hat zunächst die Ansicht vertreten, dass die Republik Serbien nur bis zur Übergabe der Flüchtlinge an die paramilitärische Gruppe von Zeljko Raznatovic Arkan beziehungsweise an die Armee der selbsternannten Republik Serbische Krajina oder an die der Republika Srpska verantwortlich sei," sagte Sivert. Der Psychiater Vladimir Jovic verdeutlichte die Menge der Betroffenen: "Wir haben laut unserer Datenbank rund 11.000 Behandlungen wegen der psychischen Folgen der Zwangs-Mobilisierung durchgeführt."

Gerichtsverfahren verjährt?

Organisierte Unterstützung erhalten die Flüchtlinge, die zwangsweise mobilisiert wurden, seit dem Jahr 2000, als in Belgrad der Machtwechsel erfolgte. Ein großes Problem, dem die Opfer gegenüberstehen, ist, dass die Gerichte die Klagen der Flüchtlinge als verjährt betrachten, weil seit der Klageerhebung mehr als fünf Jahre vergangen seien. Veran Popovic, Vertreter der Organisation Jugendinitiative für den Schutz der Menschenrechte und Anwalt, sagte der Deutschen Welle, in diesem Fall werde vom Kernpunkt des Problems durch formelle Gründe abgelenkt. "Formell betrachtet können wir als Juristen, als Anwälte, als Fachkundige erörtern, ob so etwas verjähren kann, ob dieses oder jenes Gesetz angewendet wird. Das Kernproblem besteht jedoch darin, dass die Republik Serbien nie die Verantwortung dafür übernommen hat, was in ihrem Namen verübt wurde. Das war die Aufgabe des Staates. In Serbien wurden über 10.000 Menschen, die aus Bosnien und Kroatien geflohen waren, entführt und gesetzeswidrig der Freiheit beraubt und in Camps diverser paramilitärischer Einheiten überführt."

Opfer fordern Gerechtigkeit

Popovic sagte ferner, bei diesen Einheiten hätten die Flüchtlinge schlimmste Folterungen erlitten. Viele von ihnen seien auch ums Leben gekommen. "Diese Menschen fordern heute Gerechtigkeit. Sie kämpfen sich durch mehrere Gerichtsverfahren, dann sollen sie nach einem Urteil tausend Euro Schmerzensgeld erhalten, was aber dann vom Obersten Gerichtshof auf 500 reduziert wird", erläutert Popovic. Dadurch würden diese Menschen erneut erniedrigt, weil sie den Eindruck bekämen, dass um ihr Elend gefeilscht werde. Popovic befürchtet, dass diese Ereignisse in Vergessenheit geraten sollen. "Es muss jedoch deutlich gesagt werden, dass die Republik Serbien hinter diesen Verbrechen stand und dafür die Verantwortung übernehmen muss. Und Serbien dazu verpflichtet ist, vor allem für die Opfer von Kriegsverbrechen und anderen Verstößen zu sorgen. Die Menschen sind Opfer von Folter und gesetzeswidrigem Verhalten der Staatsorgane."

Kaum jemand glaubt daran, dass die überlebende Flüchtlinge eine adäquate Entschädigung erhalten – nicht nur weil der Staat kein Geld hat, sondern auch weil die Gerichte ihre Klagen als verjährt behandeln. Die finanzielle Unterstützung von Angeklagten vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal und ihren Angehörigen stellt unterdessen niemand in Frage.

Ejub Stikovac, Belgrad
DW-RADIO/Serbisch, 4.4.2005, Fokus Ost-Südost