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Zwei Tage in Tomsk

Darius Cierpialkowski2. Mai 2006

Vier russische Großraumflugzeuge mit Prominenten aus Politik und Wirtschaft und zwei deutsche Maschinen mit Ministern, Managern und Journalisten landen in Tomsk. Für 48 Stunden ist nichts mehr, wie vorher.

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Es ist ein Gerücht, dass der frühere deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe die deutsch-russischen Regierungskonsultationen unbedingt nach Tomsk bringen wollte. Es war Alt-Bundeskanzler Schröder, der die Weite Russlands kennen lernen wollte und sein damaliger Außenminister Joschka Fischer, der vom Wissenschaftsstandort Sibirien schwärmte. Die russische Seite schlug drauf hin die Universitätsstadt Tomsk als Austragungsort vor. Dabei blieb es auch, als in Deutschland der Regierungswechsel kam. Neu-Kanzlerin Merkel und Russlands Präsident Putin treffen sich also in einer Halbmillionenstadt jenseits des Urals, sechs Flugstunden von Deutschland entfernt.
Darius Cierpialkowski Leiter Studio Moskau DW

Spannend

Ein deutsch-russischer Gipfel in der Provinz – charmant. Wir Journalisten machen uns also auf den Weg ins ferne Sibirien, spitzen die Ohren und richten unseren Blick dahin,

wo es spannend ist. Spannend ist sicherlich die Stadt selbst, ein kleines Juwel, fernab des großen Trubels. Historische Holzhäuschen, unzählige Studenten und ... Lenin auf dem Sockel fallen den Korrespondenten auf. Das harte sibirische Klima bestimmt das Leben hier, Ende April, Anfang Mai türmen sich noch meterhohe Eisschollen auf dem Fluss Tom. Ein grandioses Naturschauspiel, das Präsident Putin der Kanzlerin voller Stolz zeigt.

Fußläufig

Für uns Journalisten ist es allerdings nicht einfach mit dem offiziellen Presse-Bus rechtzeitig an all die Orte zu kommen, an denen sich Merkel und Putin der Öffentlichkeit zeigen. Die Busfahrer kennen Tomsk gar nicht, fast alle sind aus dem 200 Kilometer entfernten Nowosibirsk angekarrt worden. Die Journalisten lotsen also, mangels Stadtplan, ihren Buslenker selbst durch die Stadt, wie die deutschen Minister und Manager es schaffen an ihren Bestimmungsort zu kommen, wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben. Zu Fuß geht’s allemal besser, Tomsk ist eine sehr übersichtliche Stadt.

Fleißig

Der Kanzlerin scheint Tomsk zu gefallen. Sie arbeitet pausenlos. Noch um zwei Uhr nachts klingelt das Handy von Regierungssprecher Wilhelm. Die Chefin hat Abstimmungsbedarf. Die deutsch-russische Themenpalette ist lang: vom Atomstreit mit dem Iran über Energiesicherheit bis hin zu bilateralen Wirtschaftsverträgen. Merkel, ihre Minister und die russischen Kollegen arbeiten sich mühevoll durch den vollgestopften Tagesablauf. Ohne Fleiß kein Preis.

Kulinarisch

Der Preis kommt auf großen Tatzen daher. Zum Abendessen wird Angela Merkel Bärenfleisch auf dem Teller gereicht. Traditionelles sibirisches Essen, behauptet Gastgeber Putin. Doch Braunbären sind in den Straßen von Tomsk recht selten geworden. Das kann der Beobachter vor Ort beschwören. Hackfleischbrötchen aus Amerika haben längst die Geschmäcker der Tomsker erobert. Auch das Frühstück, am zweiten Tag des Gipfels, verläuft nicht ohne Überraschungen. Die Kanzlerin wäre wohl im Hotelrestaurant nicht satt geworden, witzelt ein deutscher Diplomat. Deshalb hätte die Minderheit der Russlanddeutschen Angela Merkel mit Brot und Salz begrüßt.

Spendabel

Die Russlanddeutschen fordert die Kanzlerin auf, die Sprache ihrer Urahnen zu pflegen. Das ist auch dringend notwendig, denn nur wenige Besucher aus Deutschland verirren sich nach Tomsk. Die tägliche Sprachpflege fällt den 18.000 Deutschstämmigen also schwer. Stattdessen hat die deutsche Minderheit nun eine neuerbaute Kirche zu pflegen. Aus Holz, lutherisch und mitten in der Stadt. Die Kanzlerin verspricht sogar eine Glocke zu stiften. Das ist der abschließende Paukenschlag.

Höflich

Zum Flughafen bringt die Kanzlerin der Präsident höchst persönlich. Ganz Gentleman will er den Gast aus Deutschland zuerst davon fliegen lassen. Doch die Kanzlermaschine füllt sich nur langsam. Der ungeduldige Putin lässt also seine Triebwerke röhren, die Maschine mit der Aufschrift "Rossija" hebt ab und verschwindet. Irgendwann soll es auch die Kanzlermaschine geschafft haben. In Tomsk – Westsibirien kehrt die gewohnte Stille wieder ein.