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Zweiter Klasse, zweite Wahl

Anne Schneider3. Oktober 2002

Auch zwölf Jahre nach der Wiedervereinigung haben die neuen Bundesländer erheblichen wirtschaftlichen Nachholbedarf, sind die Lebensbedingungen in Ost und West noch immer nicht angeglichen - trotz vieler Fortschritte.

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Ostdeutsche stehen oft immer noch im AbseitsBild: AP

Zwölf Jahre Deutsche Einheit - das bedeutet zwölf Jahre Milliardentransfer von West nach Ost mit mäßigem Erfolg: Die Arbeitslosenquote in den neuen Bundesländern beträgt nach wie vor knapp 18 Prozent, das Bruttosozialprodukt stagniert seit 1997. Viele Ostdeutsche kehren ihrer Heimat den Rücken und versuchen ihr Glück im Westen.

Trotzdem haben die Deutschen nicht alles falsch gemacht seit der Wiedervereinigung, sagt Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle. Es ist das einzige Ökonomie-Institut in Ost-Deutschland von Rang und Namen. "Man muss mal an die Ausgangssituation denken", gibt Pohl zu Bedenken. 1990 habe die Wirtschaft am Boden gelegen und sei international nicht wettbewerbsfähig gewesen. "Da ist jetzt viel aufgebaut worden. Der Strukturwandel ist aber immer noch groß und wir werden mindestens noch eine Generation dran schaffen müssen."

Überkapazitäten abbauen

Die vorhandene Wachstumsdynamik im Osten würde zudem kaum bemerkt, weil die anhaltenden Krise im Baugewerbe jede Wirtschaftsdynamik konterkariere. Hier habe man durch gezielte Subventionen nach der Wiedervereinigung Überkapazitäten geschaffen, die jetzt abgebaut würden. Erst wenn dies geschehen sei, könne das ostdeutsche Wachstum insgesamt dynamischer werden.

Viele Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen Subventionen als süßes Gift, das überholte Strukturen künstlich am Leben erhält. Das gilt auch für die Ostförderung, so Rüdiger Pohl - allerdings sei hier die Ausgangssituation vor 12 Jahren eine besondere gewesen: "1990 brauchte ja eigentlich niemand Produktionen vom Standort Ostdeutschland aus. Alles, was man kaufen wollte - vom Auto bis zum Radio über Möbel -, hätte man natürlich spielend importieren können. Das heißt, es gab gar keine Anreize in Ostdeutschland zu produzieren. Da haben Subventionen geholfen, hier überhaupt eine Produktionsbasis zu schaffen."

Subventionen abbauen

Dieser Prozess ist für Professor Pohl jetzt abgeschlossen, jetzt müssten sich die Unternehmen selbst an den Märkten durchsetzen - die staatliche Subventionierung privater Unternehmen könne deshalb zurück geführt werden. Förderungen für den Infrastrukturausbau sind nach Ansicht des Präsidenten des ostdeutschen Wirtschaftsforschungsinstituts dagegen noch über Jahre notwendig. Dies ist auch im so genannten Solidarpakt zwei geregelt. Demnach wird der Bund von 2004 bis 2018 insgesamt etwa 100 Milliarden Euro zusätzliche Unterstützung an die neuen Länder überweisen. Auch die Ost-West-Transfers für soziale Leistungen - wie beispielweise Arbeitslosengeld - wird es nach Ansicht des Wirtschaftsforschers noch viele Jahre geben.

Ein gravierendes Problem ist die zunehmende Abwanderung aus Ostdeutschland. Noch nie haben so viele Ostdeutsche ihre Heimat Richtung Westen verlassen, wie im vergangenen Jahr. Per Saldo verloren die neuen Länder im Jahr 2001 rund 98.000 Menschen an den Westen. Das entspricht einer mittelgroßen Stadt wie Jena. Der Osten blutet aus, befürchten viele. Professor Pohl sieht das nicht so negativ: "Im Osten ist die Arbeitslosenquote höher und ich finde es eigentlich ganz vernünftig, wenn Leute in den Westen gehen und einen Job dort annehmen, anstatt im Osten arbeitslos zu sein."

Die Kehrseite der Medaille ist, dass gerade die jungen, dynamischen Menschen durch das höhere Lohnniveau in den Westen gelockt werden, so der Wirtschaftsforscher. Aber dies sei nun einmal der Nachteil einer aufholenden Region. Zwölf Jahre nach der Einheit steht der Osten eben nach wie vor nicht so strahlend da wie der Rest.