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Was der Brexit für die Kultur bedeutet

28. März 2017

Neun Monate nach dem Brexit-Entscheid der Briten schafft Premierministerin May nun Fakten. Was heißt das für die Kultur? Eine Bestandsaufnahme.

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Motivwagen Mainzer Rosenmontagszug. Foto: picture-alliance/dpa/A. Arnold
Bild: picture-alliance/dpa/A. Arnold

Es war ein böses Erwachen am Morgen des 24. Juni 2016. Knapper hätte das Brexit-Votum kaum ausfallen können: 51,9 Prozent der Briten stimmten gegen den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union. Viele Kulturleute reagierten geschockt, andere jubelten. Doch neun Monate danach sind die Wunden geleckt. Pragmatiker ergreifen das Wort – wie Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats oder Angela Kaya, die Leiterin des Goethe-Instituts in London.

Porträt Olaf Zimmermann vom Kulturrat. Foto: Imago/J. Heinrich
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats: Olaf ZimmermannBild: Imago/J. Heinrich

Zimmermann mahnt im DW-Interview schnelle Kulturverhandlungen mit den Briten an, um die Insel kulturell an Europa zu binden. "Wir brauchen ein Sonderprogramm zum bilateralen Kulturaustausch, damit wir gegensteuern können", schlägt er vor. Großbritannien müsse bei der EU-Kulturförderung zum assoziierten Land werden, damit Kooperationen mit britischen Kultureinrichtungen möglich bleiben. "Dazu müssen wir jetzt die ersten Pflöcke einschlagen."

Aus der Not eine Tugend machen

Von einer sehr bewegten Kunst- und Kulturszene Großbritanniens berichtet Angela Kaya, die Leiterin des Goethe-Instituts in London. Die Stimmung reiche "von Fatalismus bis zu Optimismus". Es gebe Akteure, die sagten: Das ist die Chance, wir müssen aus der Not eine Tugend machen. Andere dagegen klagten: Wir sind so verwoben mit dem europäischen Kulturbetrieb, dass wir uns gar nicht vorstellen können, wie es weiter geht.

Porträt Angela Kaya, Leiterin des Goethe-Instituts London. Foto: Goethe-Institut London/Carolyne Locher
Angela Kaya leitet das Londoner Goethe-InstitutBild: Goethe-Institut London/Carolyne Locher

Schock, Aufbruchstimmung und Zukunftsangst mischen sich an der Themse. Vielfach geht es um Geld. Mit 84,1 Milliarden Pfund trägt die Kulturwirtschaft, bestehend aus Film, Kunsthandel und Fernsehmarkt – zur britischen Wirtschaft bei. Europa ist, einer Studie der regierungsunabhängigen Vereinigung "Creative Industries Federation" (CIF) zufolge, Englands größter Exportmarkt im Kulturbereich.

Der Zugang zu diesem Markt ist durch den Brexit gefährdet. Viel Geld steht auch für den grenzüberschreitenden Kulturbetrieb auf dem Spiel: Mit 1,46 Milliarden Euro fördert Brüssel internationale Kultur- und Filmprojekte in der Gemeinschaft allein zwischen 2014 und 2020. Das EU-Programm "Creative Europe" ist, wie Beraterin Katharina Weinert vom "Creative Europe Desk Kultur" in Bonn der Deutsche Welle erläutert, Europas Kulturfördertopf. Hinzu kommen milliardenschwere Strukturhilfen.

Beim Brexit geht es um viel Geld

Ob der Brexit zum Stopp laufender Projekte mit britischer Beteiligung führt? Niemand weiß das. Die Entscheidung Brüssels steht noch aus. Realistischer scheint aber, dass die EU-Gelder für britisch-europäische Theater-, Film- und Kunstprojekte nach vollzogenem Brexit versiegen werden. Entsprechende Befürchtungen hatten bereits im Mai letzten Jahres fast 300 britische Kulturschaffende in einem offenen Brief formuliert, den die Tageszeitung "The Guardian" auf seiner Titelseite abdruckte. "Ein Brexit gefährdet den weltweiten Erfolg britischer Kultur und drängt sie ins Abseits", mahnten die Unterzeichner, darunter Prominente wie der Regisseur Steve McQueen, die Schriftsteller John le Carré und Ian McEwan, der Architekt David Chipperfield, die Modeschöpferin Vivienne Westwood oder auch der Bildhauer Anish Kapoor. Ihre bange Frage: Droht ein kultureller Bruch mit dem Kontinent?

Brexit - Graphik von Axel Scheffler. (c) Axel Scheffler
Der Tag danach - aus Sicht des in London lebenden Illustrators Axel SchefflerBild: Axel Scheffler

Goethe-Instituts-Leiterin Angela Kaya ist zuversichtlich, dass die kulturelle Zusammenarbeit weitergehen kann. "Man wird Wege finden", so Kaya zur DW. Für möglich hält sie "bilaterale britisch-deutsche oder britisch-europäische Verträge zu bestimmten Kultur- und Bildungsaspekten."

"Ein Gefühl des Nicht-mehr-willkommen-Seins"

Voller Ironie verwies Tristram Hunt, der neue Direktor des Londoner Victoria & Albert Museums gerade erst auf den bevorstehenden Brexit-Termin. Bei der Eröffnung einer Ausstellung über europäische Theatergeschichte ermunterte er sein Publikum: "Schauen Sie, dass Sie ein europäisches Theater auf dem Kontinent noch einmal von innen sehen, bevor es zu spät ist!" Hunt hält vom EU-Ausstieg Großbritanniens so wenig wie sein Vorgänger. Der deutsche Kulturwissenschaftler Martin Roth  verstand das Brexit-Votum immerhin als Signal, das weltberühmte Haus zu verlassen.

Turner-Preisträger Wolfgang Tillmans vor einem Bild.  Foto: Kat Slootsky
Fotograf und Turner-Preisträger Wolfgang TillmansBild: Kat Slootsky

So weit mag Hartwig Fischer nicht gehen, der noch neue deutsche Direktor des ehrwürdigen British Museum. Er hatte Neil MacGregor abgelöst, der Gründungsintendant des Humboldtforums in Berlin im rekonstruierten Berliner Stadtschloss wurde. Fischers vorsichtige Analyse: "Wie genau das Verhältnis Großbritanniens zur EU in Zukunft gestaltet wird, bleibt abzuwarten."

Schon im Vorfeld des Volksentscheids hatte Roth in drastischen Worten vor einem EU-Ausstieg gewarnt. "Für mich war Europa immer Hoffnung auf eine bessere und friedensvolle Zukunft, mit Teilen, Solidarität und Toleranz", so Roth im DW-Gespräch. Der in London lebende deutsche Star-Fotograf und Turner-Prize-Gewinner Wolfgang Tillmans zog gegen den Brexit mit einer Plakatserie zu Felde und warnte im DW-Interview vor einem "Dominoeffekt in Europa". Hans Ulrich Obrist, der in der Schweiz geborene Direktor der Serpentine Gallery klagte über "ein Gefühl des Nicht-mehr-willkommen-Seins" in der doch sonst so toleranten britischen Gesellschaft. Nicht weniger Axel Scheffler, der in London lebende Illustrator und Schöpfer des weltberühmten Grüffelo.

"Signal gegen die Kultur"

Porträt von Eckart Köhne, Präsident Deutscher Museumsbund. Foto: Badisches Landesmuseum/Foto: Uli Deck
Eckart Köhne ist der Präsident des Deutschen MuseumsbundsBild: Badisches Landesmuseum/Foto: Uli Deck

Auch diesseits des Ärmelkanals drücken die Brexit-Sorgen: Der EU-Ausstieg sei ein "Signal gegen die Kultur", moniert Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbundes. Kultur funktioniere längst global und grenzüberschreitend. Für deutsche Museen werde es schwieriger, EU-Förderung für Kooperationsprojekte zu bekommen, befürchtet Köhne. Wegen verschärfter Zollbestimmungen rechnet er zudem mit Einschränkungen für den Leihverkehr zwischen den Ausstellungshäusern.

Der Pop-Musiker und Produzent Brian Eno indes scheint seinen Frieden mit dem Brexit gemacht zu haben: Seine Bilanz im Interview des britischen "Guardian": "Ich muss sagen, inzwischen freue ich mich irgendwie sogar über Trump und den Brexit. Das waren die Tritte in den Hintern, die wir brauchten, weil wir sonst nicht auf die Idee gekommen wären, je irgendwas ändern zu müssen."