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Zwischen Chaos und Zuversicht

Sandra Petersmann / Rainer Sollich / (hg)27. November 2002

Außenminister Joschka Fischer ist am Dienstag nach Kabul gereist, um die 2. Internationale Afghanistan-Konferenz in Bonn (2.12.) vorzubereiten. Er begegnete einer Hauptstadt mit vielen Facetten.

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Man kennt sich inzwischen: Hamid Karsai empfängt Joschka Fischer in KabulBild: AP

Viel zu viele Autos, chaotischer Verkehr und ewiges Hupen um die Vorfahrt – das ist der Eindruck, den der deutsche Außenminister mit nach Hause nehmen wird. Joschka Fischer kommt am Dienstag (26.11.) in eine Stadt mit zwei Gesichtern. Er sieht das Kabul der Armut, der Ruinen und eines kalten, harten Winters. Aber auch das neue Kabul, in dem Frauen wieder einkaufen gehen können, in dem Kinder ihre selbstgebastelten Drachen steigen lassen und in dem ein geschäftiger Straßenhandel tobt. Video-Rekorder, Satellitenschüsseln, Musik-CDs aus Pakistan, alles ist zu haben.

Fast genau ein Jahr nach dem Petersberger Abkommen ist die ehemalige Geisterstadt wieder zum Leben erwacht, auch wenn der Wiederaufbau nur schleppend vorankommt. Präsident Hamid Karsai betont, dass man in Afghanistan zuerst für Sicherheit sorgen müsse, denn ohne sie kein Wiederaufbau. In Kabul hat die internationale Schutztruppe ISAF mit fast 5.000 Soldaten den Menschen das Gefühl der Sicherheit zurückgegeben. Zwar hat die Bundesregierung Afghanistan mit 126 Millionen Dollar und die internationalen Geberländer mit knapp 900 Millionen Dollar unterstützt Aber nach 23 Jahren Krieg und totaler Zerstörung ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Fischer kann lediglich zusagen, dass Deutschland die Regierung von Hamid Karsai auf ihrem langen Weg weiter unterstützen wird. Aber er kann den größten Wunsch seiner afghanischen Gesprächspartner nicht erfüllen – die Ausweitung des ISAF-Mandats über Kabul hinaus.

Rundfunkladen in Kabul
Fernsehen war unter den Taliban noch verbotenBild: AP

Gemischte Bilanz

Auf der Konferenz soll vor allem Bilanz gezogen werden. Eine vermutlich zwiespältige Bilanz. Die Ergebnisse der ersten Petersberg-Konferenz nach der Vertreibung der Taliban waren unter anderem die Bildung einer ethnisch gemischten Übergangsregierung, die erst nach zähem Ringen zustande kam. Außerdem wurde die Stationierung der Internationalen Sicherheitstruppe für Afghanistan (ISAF) in der Hauptstadt Kabul vereinbart. Hinzu kam im vergangenen Juni die Große Stammesversammlung Loya Dschirga.

Trotz dieser Fortschritte wird in einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes in Berlin die derzeitige Situation in Afghanistan als "nicht ruhig, nicht stabil" beschrieben. Das Hauptproblem für Afghanistans Bevölkerung und den Wiederaufbau sei nach wie vor die heikle Sicherheitslage, besonders außerhalb der von der ISAF kontrollierten Hauptstadt. Kriminelle Banden, Restkräfte von El Kaida und der Taliban sowie Kämpfe von Milizen und Warlords sorgten immer noch für Instabilität. Die von Präsident Karsai bereits im Juli angeordnete Auflösung und Entwaffnung aller Milizen gestaltet sich erwartungsgemäß schwierig.

Unerfüllte Wünsche

Für eine Ausweitung des Mandates der Schutztruppe auf andere Regionen des Landes gibt es in den Entsenderstaaten keine Mehrheit, auch nicht in Deutschland, das gemeinsam mit den Niederlanden im kommenden Jahr das Oberkommando der ISAF übernehmen wird. In dem Berliner Lagebericht wird statt dessen für den forcierten Aufbau landesweiter Streit- und Polizeikräfte plädiert. Ersteres ist vor allem Aufgabe der Amerikaner. Berlin ist aber in führender Position für den Aufbau der Polizei zuständig. Angespannt ist auch die humanitäre Situation in Afghanistan. Kurz vor Einbruch des Winters sind ein Viertel der Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen; 70 Prozent der Bevölkerung sind ohne medizinische Versorgung. Genug Stoff also für die Konferenz auf dem Bonner Petersberg.