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Synagogenmusik zwischen Tradition und Aufbruch

Klaus Gehrke27. September 2013

In einigen Synagogen wird gesungen, in anderen begleitet die Orgel den Gesang und anderswo gibt es sogar Konzerte in den Gotteshäusern. Die Synagogenmusik hat eine lange und auch schwierige Geschichte.

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Kantor Yaakov Motzen singt in der Synagoge in Krakau (Foto: imago/Christian Schroth)
Bild: Imago

David, der seinen Widersacher Goliath mit einer Steinschleuder besiegte, war offensichtlich nicht nur ein kluger Kopf, sondern darüber hinaus sehr musikalisch: Im Alten Testament besänftigt er mit seinem Harfenspiel König Saul, und auf ihn gehen die biblischen Psalmen zurück, die Lob- und Klagelieder sind. Wie sie geklungen haben, ist nicht überliefert; fest steht jedoch, dass Vokal- und Instrumentalmusik sowie Tanz ein wichtiger Bestandteil bei kultischen Handlungen im Jerusalemer Tempel waren.

Ewige Klage statt Hosianna

Jahrhunderte lang hatte diese musikalische Gottesverehrung Bestand - trotz mehrmaliger Zerstörung des Tempels und zeitweiliger Vertreibung und Gefangennahme des Volkes Israel. Das änderte sich nach der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes durch die römischen Besatzungstruppen um 70 nach Christus: "Nachdem der Tempel in Jerusalem zerstört war, haben die Rabbiner damals ein Dekret beschlossen, das als Zeichen der ewigen Trauer über diese Zerstörung die instrumentale Musik aus den Synagogen verbannte", sagt Steven Langners, ehemaliger Rabbiner der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. "Lediglich der Gesang war erlaubt; und dabei ist es lange geblieben." Der Niederschlagung des Aufstandes folgte bald die weitgehende Vertreibung der Juden, die ihre sakralen Gesänge mit ins Exil nahmen.

Orgel in der Budapester Dohány-Synagoge (Foto: imago/Europress)
Sehenswürdig: Die Orgel in der größten europäischen Synagoge in BudapestBild: Imago

Die kulturellen und musikalischen Gegebenheiten der Zufluchtländer beeinflussten die Synagogenmusik. Diese übte allerdings auch einen gewissen Einfluss auf deren Kultur aus, wie Langners meint: "Man sagt, dass die Gregorianischen Gesänge von der Tempelmusik hergeleitet sind, aber das ist nicht nachprüfbar, da von dieser Tempelmusik keine schriftlichen Zeugnisse überliefert sind." Einige der heute noch gebräuchlichen Gesänge stammen vermutlich noch aus antiker Zeit, wurden aber ab dem frühen Mittelalter von Komponisten immer wieder bearbeitet und neu gefasst. Während sich die jüdischen Gemeinden in Osteuropa und im Nahen Osten bis heute strikt an das Instrumentalmusikverbot in Synagogen halten, suchten viele Gläubige in West- und Mitteleuropa ab dem späten 18. Jahrhundert nach neuen Ausdrucksformen in der Synagogenmusik.

Streit um die Orgel

Sowohl die Aufklärung als auch die Verleihung der Bürgerrechte förderten deren Selbstbewusstsein; dieses sollte seinen Ausdruck auch in der Synagogenmusik widerspiegeln. Deren geistliche Gesänge waren bald ebenso von der romantischen Musiksprache geprägt wie die Choräle in katholischen und evangelischen Kirchen. Kantoren wie Salomon Sulzer oder Louis Lewandowski wurden ebenso als Komponisten gefeiert wie Felix Mendelssohn Bartholdy oder Giacomo Meyerbeer. Sie unterstützten zudem die liberalen jüdischen Gemeinden in ihrem Bestreben, Orgeln in die Gotteshäuser einzubauen. Das löste in konservativ-orthodoxen Kreisen heftige Kritik hervor und mündete in einen regelrechten Orgelstreit, sagt Steven Langners: "Überhaupt stieß die westeuropäische synagogale Musik in Synagogen in Osteuropa auf wenig Gegenliebe, dort herrschte ein ganz anderer Stil vor. Doch für die in Westeuropa aufgewachsenen Juden war die Musik etwa der Romantik selbstverständlicher Ausdruck ihrer Religiosität."

Porträt Salomon Sulzer - Foto einer Originallithographie
Der österreichische Kantor Salomon Sulzer (1804-1890) war einer der bedeutendsten jüdischen Sakralmusiker

Über 70 deutsche Synagogen besaßen eine Orgel; die meisten davon wurden ebenso wie das vielfältige jüdische Musikleben von den Nationalsozialisten zerstört. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erstand die Synagogenmusik nur langsam neu – und knüpfte nur bedingt an die große Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts an: "Heute gibt es einige Synagogen, die die deutsche Musiktradition aufrecht erhalten, wie beispielsweise in Berlin; hier wird auch auf der Orgel gespielt", erzählt Steven Langners. "Die meisten Synagogen stehen unter dem Einfluss der osteuropäischen Tradition, weil die meisten der heutigen jüdischen Gemeindemitglieder aus dem Osten gekommen sind, und die haben ihren synagogalen Stil mitgebracht." Dazu gehört auch die alte Synagoge in der Kölner Neustadt, deren Orgel derzeit nicht genutzt wird. Andere Gemeinden wiederum engagieren sich für zeitgenössisches geistliches Liedgut.

Insgesamt betrachtet sieht Langners wieder eine höchst vielfältige Musikkultur der deutschen jüdischen Gemeinden, die von streng traditional bis liberal modern reicht – und die auch ihre reiche romantische Synagogenmusik nicht vergisst.