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Von Kommerz bis Zensur

Matthias von Hein10. Mai 2008

360 Fernsehstationen, über 10.000 Zeitungen und Magazine – Chinas Medienmarkt ist ein Markt der Superlative. Das trifft aber auch auf die Zensur zu: In keinem anderen Land der Welt sitzen mehr Journalisten im Gefängnis.

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Zeitung lesen in China - Ap
Zeitung lesen in China: Die Regierung beeinflusst die politische Agenda starkBild: AP

Wie beim Kompass und beim Schwarzpulver waren die Chinesen auch bei der Presse Pioniere: Die erste Zeitung der Welt erschien vor rund 1000 Jahren. Streng zensiert informierte das offizielle Organ der Song-Dynastie täglich in mehreren tausend Exemplaren die höherrangigen Beamten über Vorgänge und Entscheidungen am Kaiserhof.

In dieser Tradition steht auch der landesweit ausstrahlende Fernsehsender CCTV mit seiner Hauptnachrichtensendung um 19 Uhr. Die ersten drei Meldungen beschäftigen sich für gewöhnlich mit Staats- und Parteichef Hu Jintao. Und die vierte teilt der Nation mit, was Premierminister Wen Jiabao zum Wohle des Landes getan hat. Erst nach dieser Würdigung der Aktivitäten der Staatsspitze folgen weitere Nachrichten

Regierungsnachrichten um 19 Uhr, landesweit

Um 19 Uhr erklingt der Nachrichtenvorspann nicht allein bei CCTV. Alle Provinzsender sind verpflichtet, die CCTV Nachrichten zeitgleich auszustrahlen. Das fällt unter den Begriff des "Führens der öffentlichen Meinung" - ein Schlüsselbegriff im chinesischen Mediensystem. Und dennoch: Wer glaubt, Chinas Medien dienen in erster Linie der ideologischen Indoktrination, der hat sich getäuscht. Der so genannte "Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken" hat auf vielen Gebieten Widersprüche entstehen lassen. Bei den Medien hat er ein weltweit einmaliges Phänomen hervorgebracht: Die Inhalte sind zwar streng kontrolliert und unterliegen strikter Zensur bei allen politischen Inhalten. Aber die Sender operieren durchweg kommerziell und orientieren sich vor allem an einem: dem Profit.

Zeitungen in China - dpa
Neue Vielfalt: Der florierende Werbemarkt treibt den Medienboom voranBild: picture-alliance/dpa

Da hilft es, dass Chinas Werbemarkt mittlerweile der größte Asiens und der drittgrößte der Welt ist. 2005 wurden in China rund 30 Milliarden US-Dollar für Werbung ausgegeben, was eine Steigerung um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutete. CCTV erreicht mit seinen 15 landesweiten Kanälen rund 95 Prozent aller Chinesen. Mit dieser Marktmacht hat CCTV wesentlichen Anteil an der Preisbildung für Fernsehwerbung. Die Werbeplätze in der Hauptsendezeit werden per Auktion verhökert. Allein die sogenannten Prime Time Slots waren den Werbekunden 2007 rund 850 Millionen US-Dollar wert.

Staatsfinanzierung zu teuer

Was sich heute als gnadenlose Kommerzialisierung zeigt, begann vor rund 15 Jahren, wie der der Pekinger Medienwissenschaftler Cao Peixin erläutert: Bis in die 90er Jahre seien die Massenmedien vom Staat finanziert worden. "Die Idee dahinter war, dass alle Massenmedien als Propagandaorgan fungieren. In den 90ern galten die revolutionären Ideale dann auf einmal als überholt", sagt Cao Peixin. Der Staat habe zwar die politische Kontrolle nicht aufgeben wollen, sei aber nun bereit gewesen, mehr zu experimentieren. "Deshalb haben wir diese Turbulenzen: Manchmal ist es vergleichsweise offen, sodass wir uns wundern, wie manche Dinge thematisiert wurden. Und manchmal wundern wir uns, dass nicht einmal grundlegende Dinge benannt werden können", sagt der Forscher.

Die meisten Sender haben ihre Lektion auf dem freien Markt schnell gelernt: Der Verlautbarungsjournalismus von einst ist überwiegend passé. Zuschauer und Zuhörer werden umworben. Neue Programme und neue Sendestrecken werden aufgemacht, um noch mehr Werbeflächen zu bieten. Neben einem atemberaubenden Wachstum ist Chinas Rundfunkmarkt deswegen von einem Paradox geprägt: Es herrscht Vielfalt bei gleichzeitig straffer zentraler Kontrolle.

Politische Interessen vor wirtschaftlichem Erfolg

TV-Bildschirme - AP
Nicht mehr staatlich finanziert: Chinas TV-Sender mussten sich dem Markt stellenBild: AP

Diese Kontrolle bekämen selbst Sportreporter zu spüren, berichtet Zhou Junjun, Reporter bei einem Radiosender in Shanghai. Negative Nachrichten über Lieblingsverein oder Lieblingssportler des lokalen Parteichefs fasst er nicht an. Der Zensur muss sich hier selbst das in China sonst fast allem übergeordnete wirtschaftliche Interesse beugen, erklärt Zhou: "Selbst wenn eine Sendung den Hörern gefällt und erfolgreich ist - sollten dort Meinungen vertreten werden, die im Gegensatz zur Regierungsmeinung stehen, dann kann das auf keinen Fall ausgestrahlt werden", sagt er. Man könne nur innerhalb des von der Regierung genehmigten Rahmens operieren.

Ein steter Strom von Weisungen ergießt sich von der Propagandaabteilung beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei in Peking über alle Medienunternehmen des Landes. Genauestens werden die Medien instruiert, welche Themen erwünscht sind und welche nicht. Anfang 2007 etwa wurde eine Liste mit Jahrestagen bekannt, die ausdrücklich nicht gewürdigt werden sollten wie etwa der Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917, der Beginn des Anti-Japanischen Krieges 1937 oder der Jahrestag der Kampagne gegen Rechtsabweichler 1957.

Versteckte Zensuranweisungen

Weil es den Behörden peinlich ist, wenn solche Weisungen im Westen bekannt werden, ergehen sie nach Informationen der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) in jüngerer Zeit verstärkt mündlich per Telefon. So gibt es keine Belege. Sollte ein Journalist unangenehm auffallen, steht den Behörden von Abmahnungen über Entlassungen bis hin zu Gefängnisstrafen ein üppiges Instrumentarium zur Einschüchterung zur Verfügung. Auf der ROG-Rangliste für Presse- und Medienfreiheit steht China auf einem traurigen Platz 163 - nur fünf Länder stehen noch schlechter da.