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Reformstau in Deutschland?

Sandra Petersmann (hy)16. Juni 2008

Bundespräsident Köhler will sich in seiner "Berliner Rede" dieses Mal mit dem Grad der Modernisierung in Deutschland befassen. Was hat die Große Koalition bisher an Reformen geschafft?

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Schloss Meseberg im Hintergrund, davor eine Glastafel mit Aufschrift 'Reformen'
Reformstau in Deutschland?Bild: AP

2006 hatte der Bundespräsident das Thema Bildung auf dem Tableau. Seine Forderung damals lautete: "Bildung für alle!" Ein Jahr später ging es um die Globalisierung und deren Auswirkungen. Köhler warnte vor einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und forderte: "Der Aufstieg der einen darf nicht der Abstieg der anderen sein." In seiner Rede am Dienstag (17.06.2008) will er sich ein Jahr vor der Bundestagswahl mit der Frage befassen, was die Regierung aus CDU/CSU und SPD an Reformen geschafft hat.

Das Wahlvolk hatte den beiden großen Volksparteien bei der vorgezogenen Bundestagswahl im September 2005 keine Wahl gelassen: Union und SPD waren nach sieben Jahren Rot-Grün unter Gerhard Schröder zum gemeinsamen Regieren verdammt. CDU-Chefin Angela Merkel wurde als erste Frau Bundeskanzlerin, der damalige SPD-Chef Franz Müntefering wurde Vizekanzler und Arbeitsminister.

Merkel und Müntefering - das Tandem für politische Großtaten: Müntefering sprach sich damals für Wachstum, Beschäftigung und Konsolidierung des Haushalts im Lande aus. Er gestand gleichzeitig ein, dass man dabei auf einem schmalen Grat wandere. Es sollten jedoch alle Chancen genutzt werden, dafür zu sorgen, so Müntefering wörtlich, "dass das wirklich eine Epoche wird, in der wir viele Jahre regieren können". Auch Merkel zeigte sich fest entschlossen, alle Probleme anzugehen.

Was ist nach drei Jahren auf der Habenseite ?

Beim Klimaschutz hat sich einiges bewegt. Und auch die Familienpolitik ist moderner geworden. Mit dem neuen Elterngeld honoriert der Staat zum Beispiel, wenn auch der Vater für die Kindererziehung eine berufliche Auszeit nimmt und zu Hause bleibt.

Fotos aller Minister der neuen Regierung 2005 zusammen auf einem Foto montiert, in der Mitte die Kanzlerin, lachend
Lachende Gesichter beim Regierungsantritt 2005Bild: AP

Außerdem hat das Wirtschaftswachstum angezogen. Daran hat auch die umstrittene Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent nichts geändert. Die Zahl der Arbeitslosen ist um mehr als eine Million gesunken. Und auch beim Thema Rente ist die Große Koalition nach vorne marschiert.

Anfang März vergangenen Jahres beschloss der Bundestag die "Rente mit 67", die die Große Koalition gegen viele Widerstände durchgesetzt hatte. Die Entscheidung sei der Regierung nicht leicht gefallen, so Kanzlerin Merkel damals. Aber für die künftigen Generationen seien die Weichen nun richtig gestellt.

Tandem brach auseinander

Merkels wichtigster Partner Franz Müntefering trug das alles mit: der Vizekanzler schwor seine Sozialdemokraten trotz solcher Härten immer wieder auf die Große Koalition ein. Bis er dem Koalitionspartner Wortbruch beim gesetzlichen Mindestlohn vorwarf. Die SPD war für eine flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen, CDU/CSU dagegen. Die Kanzlerin begründete das Nein ihrer Partei mit einer Stärkung der Tarifparteien. Auch werde Lohndumping verhindert.

Das Fundament hat seitdem immer mehr Risse bekommen, und Franz Müntefering ist inzwischen aus persönlichen Gründen aus der Politik ausgeschieden. Sein Nachfolger als SPD-Chef ist der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck. Es war das Tandem Merkel/Beck, das sich bei der so wichtigen Gesundheitsreform nächtliche Verhandlungsschlachten lieferte - um sich am Ende auf einen komplizierten Kompromiss zu einigen, den keiner so richtig versteht und vom dem keiner weiß, ob er die gesundheitliche Versorgung in Deutschland wirklich gerechter gestalten und zukunftssicher machen kann - auch wenn SPD-Chef Kurt Beck davon überzeugt ist.

Reformstau wegen Wahl 2009?

Die große Nagel-Probe wird es im Herbst geben, wenn Union und SPD einen einheitlichen Krankenkassen-Beitrag festlegen müssen. Dann ist es nur noch ein Jahr bis zur nächsten Bundestagswahl. Und zu diesem Zeitpunkt will keiner derjenige sein, der durch soziale Härte und ein kaltes Herz auffällt, zumal die beiden großen Volksparteien SPD und CDU in allen Wählerumfragen massiv Stimmen verlieren und im politischen Sinkflug sind.

Das alles spricht gegen weitere mutige Reformen, die langfristig dazu beitragen könnten, den Staatshaushalt aus den roten Zahlen zu holen. Und genau das war ursprünglich mal das oberste Ziel der Großen Koalition in Berlin.