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Zyperns vernünftige Entscheidung

14. Juni 2006

Die Republik Zypern hat auf ein Veto gegen den Start der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara verzichtet. Damit wurden erste konkrete Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei möglich. Rainer Sollich kommentiert.

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Es verdient Lob, dass die Zypern-Griechen ihr angedrohtes Veto in letzter Minute noch zurückgezogen haben. Sie haben damit eine vernünftige Entscheidung zugunsten aller Beteiligten und auch für die Zukunft ihres eigenen Landes getroffen. Schließlich geht es jetzt noch nicht um einen türkischen EU-Beitritt, mit dem wohl frühestens in zehn Jahren gerechnet werden kann. Es geht jetzt um den Prozess davor, um die Beitritts-Verhandlungen. Und vom Erfolg oder Misserfolg dieser Verhandlungen wird auch Zypern betroffen sein.

Den Beitritt an sich zu blockieren, wäre bei der gegenwärtigen Konstellation ja durchaus verständlich: Denn natürlich kann Ankara erst dann der EU beitreten, wenn es deren Bedingungen erfüllt. Und dazu gehört auch eine diplomatische Anerkennung Zyperns, die schon vor dem Beitritt erfolgt sein muss - mit all ihren Konsequenzen. Die bis dahin nötigen Verhandlungen sollten jedoch nicht an einem einzigen EU-Mitglied und dessen spezieller Interessenlage scheitern.

Nicht vom Europa-Kurs abweichen

Die Zypern-Griechen müssen aus sicherheitsstrategischer Perspektive ohnehin mehr Interesse daran haben, dass Ankara nicht ein weiteres Mal in seinen europäischen Ambitionen gebremst und damit verprellt wird. Denn würde die Türkei von ihrem Europa-Kurs abweichen und ihre Außenpolitik wieder verstärkt nach nationalistischen Kriterien ausrichten, dann hätte dies vor allem für Zypern Konsequenzen: Dort sind immer noch rund 30.000 türkische Soldaten stationiert. Und nur eine erfolgreich europäisierte Türkei wird es sich innenpolitisch irgendwann einmal leisten können, diese Besatzungstruppen abzuziehen.

So wie es aussieht, wird die Türkei möglicherweise aber schon deutlich vor einem Beitritt ihre Häfen und Flughäfen für Importe aus dem griechischen Teil Zyperns öffnen müssen. Das wurde von den EU-Außenministern jetzt zumindest noch einmal deutlich angemahnt. Dieser Schritt dürfte Ankara jedoch äußerst schwer fallen - und bis zu einem gewissen Grad ist dies auch verständlich. Schließlich ist der Wiedervereinigungsplan der Vereinten Nationen im April 2004 ausgerechnet an einem Veto der Zypern-Griechen gescheitert, während die türkischen Inselbewohner und auch Ankara ihm zugestimmt hatten. Dass die Insel-Griechen trotzdem kurz darauf der Europäischen Union beitreten konnten und nun unter anderem deren Türkei-Politik mitbestimmen, während die Zypern-Türken bis heute politisch und wirtschaftlich isoliert sind - das ist in der Tat ungerecht.

Schneller Kompromiss gefragt

Die Lösung kann nur in einem Kompromiss liegen: Ankara öffnet die Tore für Schiffe und Flugzeuge aus dem griechischen Teil Zyperns, ohne das Land sofort diplomatisch voll anzuerkennen. Die EU sorgt im Gegenzug dafür, dass das Wirtschaftsembargo gegen das türkische Nordzypern zumindest spürbar gelockert wird. Finanzielle Gesten wie die einmalige Bewilligung von 139 Millionen Euro Soforthilfe durch die EU-Kommission werden da freilich nicht ausreichen, nötig ist vielmehr die Ermöglichung von auswärtigen Handelskontakten. Ein solcher Kompromiss sollte letztlich für alle Beteiligten erträglich sein. Und er sollte möglichst schnell geschlossen werden, damit die Türkei endlich auch die großen innenpolitischen Herausforderungen angehen kann. Ankara muss die bislang eher zaghaft eingeleiteten demokratischen Reformen viel stärker vorantreiben als bisher. Andernfalls könnte der ersehnte EU-Beitritt für die Türkei ein Traum bleiben - und damit auch die Vision, ein großes Land von enormer strategischer Bedeutung und mit islamisch geprägter Bevölkerung fest in einem demokratischen Europa verankern zu können.

Rainer Sollich

DW-RADIO, 12.6.2005, Fokus Ost-Südost