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Politik

Wie umgehen mit islamischem Antisemitismus?

23. April 2018

Mehrmals haben islamische Flüchtlinge in Deutschland Juden attackiert oder bedroht. Nun debattiert man über Gegenmaßnahmen. Ihnen voran geht die Frage, welche Motive hinter der Judenfeindschaft einiger Muslime stehen.

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Demonstranten verbrennen Fahne mit Davidstern in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus e.V.

Felix Blume hat es geschafft. Der junge Mann, nicht einmal Mitte 30, hat in Deutschland eine Debatte ausgelöst, die seit längerem in der Luft lag, zu der er aber den letzten Anstoß gab. Er tat das in einem Lied. Darin kommen ein paar deftige Begriffe vor, aber die schienen dem Sänger - Kollegah, wie er mit Künstlernamen heißt - offenbar nicht ausreichend. So fügte er eine weitere Zeile hinzu: "Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen."

Ein wenig unvermittelt taucht sie in dem Songtext auf, ohne Bezug zur vorausgehenden oder der folgenden Zeile. Sie steht da wie ein Solitär. Wohl darum zieht sie die Aufmerksamkeit umso stärker auf sich - und löst so unter nicht wenigen Hörern offenbar Begeisterung aus. Schon in der ersten Woche nach Erscheinen erreicht die Platte - "Jung Brutal Gutaussehend 3" heißt sie - 30 Millionen Streams sowie mehrere Top-50-Platzierungen in den Singlecharts. Im April wurden Felix Blume und sein Kollege Farid Bang mit einem Echo ausgezeichnet. Zahlreiche ebenfalls ausgezeichnete Künstler gaben ihren Preis daraufhin zurück.

Mit Auschwitz griff Blume nicht zum ersten Mal ein Motiv aus der NS-Zeit auf. Bereits vorher sang er von der "Endlösung der Rapperfrage", der "Schutzstaffel der Deutschen" oder schlicht der "Wehrmacht". Gewiss, zentrales Merkmal von Rap ist "die Darstellung von Härte", ist "darstellungsorientierte Gewaltfixierung", sind "Versionen von Hypermaskulinität", schreiben der Soziologe Martin Seeliger und der Sozialpsychologe Marc Dietrich in der Einleitung zum Sammelband "Deutscher Gangsta-Rap". Doch antisemitische Motive sind ein vergleichsweise junges Motiv innerhalb des Genres. Die Verkaufszahlen von Kollegahs Album lassen keinen Zweifel: Das neue Motiv wird von seinen Fans angenommen, vielleicht sogar ausdrücklich begrüßt.

Echo 2018 Kollegah
Flirt mit dem Antisemitismus: Felix Blume alias Kollegah Bild: picture-alliance/dpa/A. Bänsch

Ein neuer Antisemitismus

Der Umstand, dass Blume mit 15 Jahren, möglicherweise beeinflusst von seinem algerischen Stiefvater, zum Islam konvertierte, wirft die Frage nach einem spezifischen islamischen Motiv hinter den antisemitischen Zeilen auf. Die Vermutung fällt in eine Zeit, in der Deutschland, entsetzt über den antisemitisch motivierten Angriff eines jungen syrischstämmigen Flüchtlings auf einen Kippa tragenden jungen Mann in Berlin, verstärkt über die Möglichkeit eines spezifisch islamischen Antisemitismus diskutiert.

Verlässliche Zahlen für das Phänomen gibt es nicht. "Neben dem klassischen Antisemitismus von rechts und zunehmend von links stellt uns zudem der Antisemitismus unter Muslimen vor große Herausforderungen", erklärte der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, vor wenigen Tagen in einer Rede in Berlin. Zwar müsse man im Blick behalten, dass israelbezogener Antisemitismus kein Problem sei, das nur in muslimischen Communities existiert. "Dennoch gilt: muslimische Communities müssen den Kampf gegen Antisemitismus in ihren Reihen glaubwürdig und nachhaltig aufnehmen und zu ihrer ureigenen Angelegenheit machen."

Politische Mobilisierung

Ähnlich deutete es im Dezember auch der damalige Justiz- und jetzige Außenminister Heiko Maas an. Den Grundsatz, dass Antisemitismus in Deutschland nicht akzeptiert werde, müsse man "nicht nur jedem deutschen Schüler vermitteln, sondern genauso auch den Menschen, die in den vergangen Jahren und Monaten als Geflüchtete zu uns nach Deutschland gekommen sind. Viele hatten bislang kaum Anlass, sich mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Im Gegenteil: Sie stammen oft aus Ländern, in denen die Mächtigen den Hass auf Juden und Israel gezielt schüren und Antisemitismus fast schon zu einer kulturellen Selbstverständlichkeit geworden ist."

Empfang zum 70. Unabhängigkeitstag des Staates Israel Heiko Maas
Warnung vor Antisemitismus als kultureller Selbstverständlichkeit: Heiko MaasBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Dass islamischer Antisemitismus eher politischer als religiöser Propaganda folgt, diese Vermutung findet sich auch im Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestages, erschienen im April 2017. "Der Nahostkonflikt wird als die Hauptquelle für antisemitische Äußerungen angesehen, wobei die Jugendlichen dabei auf eine imaginierte muslimische oder ethnische Kollektividentität zurückgreifen, um sich selbst zu versichern, dass es eine von allen Muslimen geteilte Ablehnung von Juden gebe und dass dies demnach eine 'normale Haltung' sei."

Wo Hass geschürt wird, wie Heiko Maas ausführt, oder wo er auf einer "imaginierten" Kollektividentität beruht, wie der Expertenkreis Antisemitismus schreibt, da müssen Gegenmaßnahmen auch und ganz wesentlich auf psychologischer Ebene ansetzen. Vielleicht, könnte man hinzufügen, mussten sie das immer schon. Denn eine rationale Wurzel lässt sich dem Antisemitismus gleich welcher Prägung bis heute nicht attestieren.

Gegenmaßnahmen erforderlich

Aus diesem Grund so der muslimische, aus Israel stammende Sozialpsychologe Ahmad Mansour, brauche es entschlossene Gegenmaßnahmen. Die aber, so Mansour am Wochenende in der politischen Talkshow "Anne Will", gebe es nicht. "Denn den Jugendlichen, die zu uns kommen, den Menschen, die zu uns kommen, begegnen wir nicht mit klaren Werten. Wir zeigen ihnen nicht, was diese Gesellschaft von ihnen erwartet. Wir sagen ihnen nicht, warum Antisemitismus in dieser Gesellschaft nicht tolerierbar ist."

In Zeiten, in denen ein Teil der Einwanderer sich mit den Normen des Landes, in das sie gekommen sind, offenbar nicht oder nicht hinreichend auseinandersetzt oder sie - womöglich - auch nicht akzeptiert, ist die Aufnahmegesellschaft doppelt gefordert. Gefragt seien bei dieser Aufgabe auch die islamischen Gemeinden, sagt Mansour: "Wir brauchen Moscheen, die nicht nur Mahnwachen veranstalten, die nicht nur am Pressetermin der deutschen Islamkonferenz teilnehmen und sagen, wir verurteilen das. Sondern wir brauchen Moscheen, die in der Lage sind, in der Freitagspredigt zu sagen, das Existenzrecht Israel darf man in diesem Land nicht anzweifeln."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika