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"Raupe Nimmersatt"-Schöpfer Eric Carle wird 90

Sven Töniges | Sabine Oelze
25. Juni 2019

"Die kleine Raupe Nimmersatt" zählt zu den erfolgreichsten Kinderbüchern der Welt. Jetzt wird ihr Autor, Eric Carle, 90 Jahre alt. Sein Kinderbuchklassiker feierte in diesem Jahr ebenfalls runden Geburtstag.

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Ausstellung Eric Carles Bilderbücher: 50 Jahre Die kleine Raupe Nimmersatt
Bild: 1969, 1987 Eric Carle

Es ist Sonntagmorgen. Der kleine Eric spaziert mit dem großen Erich durch die anliegenden Wälder von Feuerbach bei Stuttgart. Erich dreht Steine um, knibbelt Baumrinden ab und zeigt Eric die vielen kleinen, verborgenen Lebewesen, die geschäftig in ihrem Mikrouniversum wuseln. Der Vater erklärt seinem Sohn die Lebensweisen von Ameisen, Käfern und Würmern - dann legt er sie behutsam unter den Stein oder unter die Baumrinde zurück.

"Ich glaube, dass ich in meinen Büchern meinen Vater ehre, indem ich über kleine Lebewesen schreibe. Und in gewisser Weise fange ich damit die glücklichen Zeiten wieder ein", schreibt Illustrator Eric Carle auf seiner Internetseite. Seine unverwechselbaren Kinderbücher mit der ihm eigenen Collagentechnik wurden in mehr als 60 Sprachen übersetzt.

Eric Carle
Eric Carle (2017)Bild: picture-alliance/AP/The Yomiuri Shimbun/T. Yamamoto

Kultbuch: "Die kleine Raupe Nimmersatt"

Dabei thront über dem Werk von mittlerweile rund 70 illustrierten Büchern die "Raupe Nimmersatt". Vor 50 Jahren zum ersten Mal als Bilderbuch erschienen, erzählt es die Geschichte einer Raupe mit unstillbarem Hunger. Seite für Seite mampft sie Äpfel, Birnen, Pflaumen, Erdbeeren, Orangen, geht dann zu Schokoladenkuchen, Eiswaffel, saurer Gurke, Käse, Wurst und Lolli über. Natürlich endet das mit Bauchschmerzen - aber auch mit einer Verwandlung in einen wunderschönen Schmetterling. "Es ist die Hoffnungsgeschichte. Du wirst wie die Raupe Nimmersatt, ein kleines und sogar hässliches Tier, groß und schön werden, deine Flügel, also dein Talent, entfalten und in die Zukunft hinausfliegen", erklärt Eric Carle den unerwarteten, zeitlosen Erfolg seiner Geschichte in einem Interview für das deutsche Wochenmagazin "Stern".

Ein Happy End, das ihm und seinem Vater nicht vergönnt war. Die Carles wanderten in den 1920er Jahren auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben in die USA aus. 1929 wurde Sohn Eric in Syracuse im US-Bundesstaat New York geboren. Doch als er sechs war, zog die Familie wieder ins baden-württembergische Feuerbach. Eine folgenreiche Entscheidung: Als der Zweite Weltkrieg 1939 ausbrach, wurde der Vater sofort eingezogen und geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Der Sohn wurde mit seiner Schulklasse an den Westwall transportiert und musste dort Schützengräben ausheben. Als der einst liebevolle Vater von Eric nach acht Jahren aus der Gefangenschaft zurückkehrte, war er ein abgemagertes Wrack. Der enge Band zwischen Vater und Sohn war für immer gerissen. "Während er allen Lebenswillen verloren hatte, war ich dabei, eine neue Welt zu entdecken", erinnert sich Eric Carle in einem Beitrag für das Magazin "Focus".

Studium im Nachkriegsdeutschland

Nach einem erfolgreichen Studium an der Akademie der Künste in Stuttgart, schloss Carle den Kreis seiner Biografie und kehrte 1952 in die USA zurück. "Ich war noch keine 23 Jahre alt, hatte eine schöne Arbeitsmappe und 40 Dollar in der Tasche", erinnert sich der Illustrator. Sein Mut zahlte sich aus: Zunächst arbeitete er viele Jahre in einer Werbeagentur. "Mitte der 1960er Jahre sah Bill Martin Jr. eine Anzeige eines roten Hummers, den ich entworfen hatte, und bat mich, 'Brauner Bär, wen siehst denn du?' zu illustrieren. Was für ein inspirierendes Buch! Nun kamen mir die großen Blätter, die bunten Farben und fetten Pinsel meiner früheren Schule in den Sinn. Diese Gelegenheit hat mein Leben verändert", erklärt Eric Carle. Er merkte, dass ihm das Illustrieren nicht ausreichte und so fing er an, Geschichten zu schreiben.

Ideen in Schachteln

"Ich begann, Skizzenbücher über meine Ideen zu machen und lagerte sie in einem kleinen Karton. Als ich ein historisches Kochbuch illustrierte, hörte der Redakteur von meiner Ideenschachtel und bat mich, sie zu sehen. Ich habe '1,2,3 ein Zug zum Zoo' eingereicht", so Carle. Auch bei seinem Erfolgsbuch "Die kleine Raupe Nimmersatt", das 1969 entstand, half ihm eine Redakteurin auf die Sprünge. Als er ihr von seiner Geschichte über einen Wurm, der Löcher durch die Seiten aß, erzählte, riet ihm die Redakteurin Ann Beneduce, er solle sich lieber eine andere Kreatur ausdenken. "Wie wäre es mit einer Raupe?", habe sie ihn gefragt und er antwortete darauf begeistert: "Schmetterling!" So wurde die Idee von der Verwandlung der sehr hungrigen Raupe in einen schönen Schmetterling geboren. Ein Buch mit einer einfachen Sprache und eindrucksvollen Bilder war das Ergebnis. Bis heute ist Eric Carle, der am 25. Juni seinen 90. Geburtstag feiert, vor allem wegen dieses schmalen Kinderbuchs bekannt, das in Kinderzimmern in der ganzen Welt zu finden ist.

Im Museum Wilhelm Busch, dem Deutschen Museum für Karikatur und Zeichenkunst in Hannover, ist vom 18. Mai bis zum 8. September 2019 die Ausstellung "Eric Carles Bilderbücher: 50 Jahre 'Die kleine Raupe Nimmersatt'" zu sehen.

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion