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Ägypten droht im Chaos zu versinken

14. August 2013

Übergangspräsident Mansur hat nach neuen schweren Unruhen für einen Monat den Notstand ausgerufen. Nach Regierungsangaben wurden bei Straßenkämpfen landesweit mindestens 149 Menschen getötet und mehr als 1400 verletzt.

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Räumung eines Protestlagers von Mursi-Anhängern in Kairo (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Nach tagelangem Nervenkrieg um zwei Protestcamps von Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi und deren gewaltsame Räumung durch die Polizei an diesem Mittwoch ist die Situation in Ägypten insgesamt unübersichtlich. Die Zahl der Toten und Verletzten der blutigen Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Mursi-Anhängern lässt sich bei der chaotischen Lage derzeit nicht exakt beziffern. Fast stündlich gibt es neue Zahlen.

Die Regierung in Kairo spricht inzwischen von landesweit mindestens 149 Toten. Darunter seien Polizisten und Zivilisten. Die Zahl der Verletzten wird mit mehr als 1400 beziffert.

Kriegsszenen in Kairo

Sonderrechte für Militär

Übergangspräsident Adli Mansur verhängte einen einmonatigen Ausnahmezustand über das Land. Damit werden Behörden und Sicherheitskräften Sonderrechte beim Vorgehen gegen Proteste und Versammlungen einräumt.Begründet wurden die Maßnahmen mit der "Gefahr für Sicherheit und Ordnung" durch "gezielte Sabotage und Angriffe auf private und öffentliche Gebäude und den Verlust an Leben durch extremistische Gruppen". Präsident Mansur habe die "Streitkräfte in Kooperation mit der Polizei beauftragt, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Sicherheit und Ordnung zu wahren und öffentliches und privates Eigentum sowie das Leben der Bürger zu schützen", hieß es in einer Erklärung des Präsidialamtes. Für Kairo und zehn Provinzen gilt eine nächtliche Ausgangssperre.

ElBaradei tritt als Vize zurück

Vizepräsident und Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei hat nach den schweren Ausschreitungen seinen Rücktritt eingereicht. Es habe gewaltlose Alternativen gegeben, um die politische Krise zu beenden, schrieb der ehemalige Chef der der Internationalen Atomenergiebehörde in einem Brief an den Übergangspräsidenten. "Es ist für mich schwierig geworden, weiter die Verantwortung für Entscheidungen zu treffen, mit denen ich nicht übereinstimme und deren Auswirkungen mir Angst machen", erklärte er.

Polizeieinsatz im Morgengrauen

Begonnen hatte der Großeinsatz der Polizei in Kairo am Mittwoch kurz nach Sonnenaufgang mit einem Sturm der Sicherheitskräfte auf die beiden Protestlager von Anhängern des entmachteten Staatschefs Mursi auf dem Rabaa-al-Adawija-Platz und dem Al-Nahda-Platz, nahe der Universität. Schon vor Tagen hatte die Übergangsregierung der Polizei grünes Licht für die Räumung der Lager gegeben.

In dem größeren Protestcamp der Muslimbrüder im Nordosten Kairos nahe der berühmten Moschee Rabaa al-Adawija hatten tausende Demonstranten seit sechs Wochen ausgeharrt und mit Mahnwachen und Sitzblockaden die Wiedereinsetzung des Anfang Juli vom Militär entmachteten Mursi gefordert, der ihnen politisch und religiös nahesteht. Die Sicherheitskräfte waren zunächst mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Islamisten vorgegangen. Diese antworteten mit Flaschen und Steinen. Später fielen auf beiden Seiten Schüsse.

Gefahr eines Flächenbrandes

Nach Beginn der Räumung kam es in mehreren Provinzen zu gewalttätigen Übergriffen radikaler Islamisten. Auf dem Sinai stürmten bewaffnete Männer mehrere öffentliche Gebäude. In Oberägypten griffen Islamisten nach Darstellung christlicher Aktivisten drei Kirchen an. In der Innenstadt der Touristenstadt Luxor protestierten rund 300 Demonstranten gegen die Polizeigewalt. Auch aus Alexandria und Suez werden Unruhen gemeldet.

Das Innenministerium ordnete die Einstellung des Zugverkehrs von und nach Kairo an, offensichtlich um die Bewegungsfreiheit möglicher Protestgruppen einzuschränken. Zudem wurden Straßensperren auf den Straßen rund um den internationalen Flughafen errichtet.

Westerwelle fordert Ende der Gewalt

Die Europäische Union reagierte bestürzt auf die Eskalation in Ägypten. "Wir weisen nochmals darauf hin, dass Gewalt nicht zu einer Lösung führen wird, und rufen die ägyptischen Behörden auf, mit der größtmöglichen Zurückhaltung vorzugehen", erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Brüssel. Sie hatte Ende Juli versucht, zwischen den Konfliktparteien in Kairo zu vermitteln, ohne Erfolg. Auch Außenminister Guido Westerwelle forderte ein sofortiges Ende des Blutvergießens. Die Übergangsregierung müsse friedliche Proteste zulassen, sagte der Politiker in Berlin. "Wir fordern alle Seiten auf, umgehend zu einem politischen Prozess zurückzukehren, der alle politischen Kräfte einschließt." Jedes weitere Blutvergießen in Ägypten müsse verhindert werden.

Westerwelle: Gewalt in Ägypten war vermeidbar

qu/kis (dpa, afp, rtr, ap)