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PolitikNahost

Ägypten: Neue Bemühungen um Freilassung Alaa Abdel-Fattahs

Jennifer Holleis
22. März 2023

Der Blogger ist einer der bekanntesten politischen Gefangenen Ägyptens. Trotz eines Hungerstreiks im vergangenen Jahr bleibt er hinter Gittern. Nun bittet seine Schwester Sanaa Seif EU und UN erneut um Hilfe.

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Porträt des ägyptischen Demokratie-Aktivisten Alaa-Abdel Fattah
Hinter Gittern: der ägyptische Blogger und Demokratie-Aktivist Alaa-Abdel FattahBild: Kin Cheung/AP Photo/picture alliance

Im November letzten Jahres beendete Alaa Abdel-Fattah seinen Hungerstreik. Über mehrere Wochen hinweg hatte der bekannte inhaftierte ägyptisch-britische Demokratie-Aktivist mit seiner lebensgefährlichen Aktion international auf sich aufmerksam gemacht. Seitdem allerdings hat sich an seiner Situation kaum etwas geändert: Abdel-Fattah befindet sich weiterhin in Haft.

Erstmals bekannt wurde Abdel-Fattah während der ägyptischen Revolution von 2011. Für seine Teilnahme an mehreren Kundgebungen wurde er mehrmals inhaftiert und wieder freigelassen. Derzeit verbüßt er eine fünfjährige Haftstrafe wegen angeblicher Verbreitung von "Fake News".

Sein Hungerstreik begann seinerzeit kurz vor der im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich ausgerichteten UN-Klimakonferenz COP27. "Unserer Familie wurde geraten, zu schweigen, damit der politische Druck nach den internationalen Aufrufen während der COP 27 seine Wirkung entfalten könne", sagt seine Schwester Sanaa Seif rückblickend der DW. "Dass ist jetzt vier Monate her, und Alaa ist immer noch im Gefängnis." 

In der vergangenen Woche reiste sie nach Genf, um den UN-Menschenrechtsrat um eine Untersuchung der Inhaftierung ihres Bruders und anderer politischer Gefangener in Ägypten zu bitten. Zugleich habe sie sich mit einigen derjenigen Politiker getroffen, die ihr während der COP27 versprochen hätten zu helfen, berichtet Seif.

Kundgebung zur Freilassung von Alaa Abdel Fatah in London, November 2022
Kundgebung zur Freilassung von Alaa Abdel-Fattah in London, November 2022Bild: Vuk Valcic/ZUMA Wire/IMAGO

"Die Gefängnisse sind voll mit politischen Gefangenen"

Offiziell gibt es in Ägypten keine politischen Gefangenen. Kritik an der Regierung wird in Prozessen vor dem berüchtigten Strafgerichtshof des Landes meist als "Terrorismus" oder "Unruhestiftung" gewertet.

Menschenrechtsorganisationen gehen von rund 65.000 bis 70.000 politischen Gefangenen in Ägypten aus. "Die ägyptischen Gefängnisse sind voll mit politischen Gefangenen", sagt Timothy Kaldas, stellvertretender Direktor der in Washington ansässigen Denkfabrik Tahrir Institute for Middle East Policy, gegenüber DW.

Der internationale Druck sei der Hauptgrund dafür gewesen, dass es im vergangenen Jahr zumindest ein wenig Bewegung gab, so Kaldas weiter. Ein kleiner Teil  der Gefangenen sei entlassen worden. "Aber wir sehen auch, dass mehr Menschen verhaftet als freigelassen werden."

Ohnehin sind Freilassungen aus seiner Sicht in Ägypten bisher kein Zeichen eines strukturellen Wandels, sondern ein Versuch, von der laufenden Regierungskampagne zur Unterdrückung abweichender Meinungen abzulenken. Parallel zu mehreren Begnadigungen kurz vor der Klimakonferenz seien Kritiker, Aktivisten und sogar einige ihrer Rechtsanwälte, darunter Alaa Abdel-Fattahs ehemaliger Verteidiger, Mohamed El Baqer, inhaftiert worden.

Menschenrechtspolitik als Kosmetik?

Letztlich, nimmt Kaldas an, dienten Freilassungen in Ägypten oftmals einem ganz anderen Zweck: "Ägypten versucht, sein internationales Image zu verbessern. Denn das Land sucht dringend nach internationaler finanzieller Unterstützung, um seine derzeitige Finanzkrise zu überwinden."

Seit langem geht es mit der Wirtschaft Ägyptens nach unten. Durch die Pandemie und den russischen Angriff auf die Ukraine verschärfte sich die Krise weiter. Anfang dieses Jahres stand die ägyptische Wirtschaft derart knapp vor einem völligen Zusammenbruch, dass Präsident Abdel Fattah al-Sisi Reformen zur Kürzung der öffentlichen Ausgaben einführte und staatlich kontrollierte Unternehmen und Banken verkaufte.

Die Reformen waren notwendig, um die Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erfüllen. Dieser hatte sein Darlehen in Höhe von umgerechnet rund 2,8 Milliarden Euro von Reformen und ausländischen Investitionen abhängig gemacht. Unterdessen stieg die Inflation im Februar laut ägyptischer Zentralbank auf ein Rekordniveau von 31,9 Prozent. 

Der ägyptische Präsident Abd al-Fattah al-Sisi auf einer Konferenz im Februar 2023
Kritisiert von Menschenrechtlern: der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-SisiBild: Ahmad Hassan/AFP/Getty Images

Mangelnde Pressefreiheit

Nicht nur die wirtschaftliche Lage in Ägypten ist prekär. Auch bürgerliche Freiheiten stehen seit Jahren massiv unter Druck, ebenso die Medienfreiheit, von der unter al-Sisi kaum etwas übrig geblieben ist. Zudem muss sich seit 2019 jede Nichtregierungsorganisation nach einem umstrittenen "Vereinsgesetz" registrieren lassen. Die letzte Frist für die Registrierung ist der 11. April dieses Jahres.

Laut Human Rights Watch hatten sich bis Oktober letzten Jahres rund 32.000 von insgesamt 52.500 Gruppen beim Ministerium für soziale Solidarität registrieren lassen.

Allerdings läuft dieser Prozess nicht reibungslos. So hatten Journalisten der letzten bedeutenden unabhängigen ägyptischen Nachrichten-Website Madr Masa der DW berichtet, sie hätten wiederholt versucht, sich registrieren zu lassen. Die erforderlichen Papiere seien ihnen aber verweigert worden. Sind bestimmte Gruppen oder Organisationen jedoch nicht registriert, können die Behörden sie einfach schließen und ihr Vermögen einfrieren.

"Die Behörden zwingen die Organisationen dazu, entweder unter Bedingungen zu arbeiten, die eine unabhängige Arbeit unmöglich machen, oder ganz geschlossen zu werden, schreibt Adam Coogle, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten und Nordafrika bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), in einer Erklärung auf der Website der Organisation. "Wenn unabhängige Gruppen eingeschränkt und zum Schweigen gebracht werden, entsteht kein Raum für kritische Debatten. Bemühungen, die Rechenschaftspflicht der Regierung zu gewährleisten, werden behindert. All dies ist zum Nachteil Ägyptens."

Diese Ansicht vertritt auch Eberhard Kienle, Professor am Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung in Paris. "Die einzige Möglichkeit, die Wirtschafts- und Menschenrechtskrise in Ägypten langfristig zu überwinden, ist ein integratives und nachhaltiges Wachstum", sagt er im DW-Interview. Aus seiner Sicht ist die Gedanken- und Meinungsfreiheit entscheidend für ein solches Wachstum.

"Eine grundsätzliche Verbesserung wird es nur geben, wenn Ägypten in einer Art und Weise agiert, die die Menschenrechte respektiert. Doch Ägyptens autoritäre Herrschaft bietet im Moment keine dieser Maßnahmen", so Kienle weiter.

Porträt von Sanaa Seif, der Schwester von Alaa Abdel Fatah
Sanaa Seif engagiert sich für die Freilassung ihres BrudersBild: Amr Nabil/AP Photo/picture alliance

Weitere Unterstützung zugesagt

Während des UN-Gipfels in Ägypten im November letzten Jahres hatte Präsident al-Sissi seinem US-Kollegen Joe Biden gegenüber beteuert, Ägypten habe soeben erst eine nationale Strategie für Menschenrechte, eine Initiative für nationalen Dialog und ein Präsidialkomitee zur Prüfung einer Amnestie für Gefangene auf den Weg gebracht.

"Ich glaube, solche Vorstöße sind pure Augenwischerei ", sagt Sanaa Seif, die Schwester von Alaa-Abdel Fattah. "Aber sie haben dennoch eine gewisse Bedeutung. Denn die Behauptungen zeigen, dass Druck letztlich funktioniert". Sie hofft, dass ihr derzeitiges Engagement beim Menschenrechtsrat in Genf einen ähnlichen Effekt haben wird: "Internationaler Druck ist notwendig", sagt sie.

Das deutsche Außenministerium bestätigte, dass sich Deutschland mit Sanaa Seif in Genf über diese Bemühungen ausgetauscht habe. "Die Bundesregierung hat sich kontinuierlich für die Rechte und die Freilassung von Alaa Abdel-Fattah sowie seines mitangeklagten Anwalts Mohamed al-Baqer eingesetzt und wird dies auch weiterhin mit Nachdruck tun", erklärte ein Ministeriumssprecher gegenüber der DW.

In der Zwischenzeit hat Alaa Abdel-Fattah versprochen, dass er vorerst nicht in einen weiteren Hungerstreik treten wird. Dies hat freilich vor allem familiäre Gründe: "Unsere Schwester Mona ist schwanger, und wir wollen den Druck auf sie nicht erhöhen", sagt Sanaa Seif. "Deshalb haben wir vereinbart, dass er keinen weiteren Hungerstreik beginnen wird, bis das Baby geboren ist - sondern dass wir stattdessen die Kampagne für seine Freilassung wieder aufnehmen."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp. 

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