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Minderheiten in Ägypten

Matthias Sailer24. Oktober 2012

Schiitische Muslime und Bahais werden in Ägypten systematisch unterdrückt. Häufig werden sie als Ungläubige dargestellt. Der Siegeszug der Islamisten bei den Wahlen macht kaum Hoffnung auf Besserung.

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Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Spricht man von religiösen Minderheiten in Ägypten, denkt man zuerst an die Christen. Doch es gibt noch andere, weitaus verwundbarere Religionsgruppen. Man hört wenig über sie. Sie meiden die Öffentlichkeit, um nicht Ziel von Angriffen sunnitischer Fundamentalisten oder der Staatsmacht zu werden.

Eine dieser Gruppen sind die schiitischen Muslime, die im mehrheitlich sunnitischen Ägypten schweren Diskriminierungen ausgesetzt sind. Mohamed Ghonem ist einer der wenigen schiitischen Aktivisten, die in die Öffentlichkeit gehen, um die ihnen zugefügte Ungerechtigkeit anzuprangern. Ghonem spricht laut und entschlossen, als er vom Fall des Lehrers Mohamed Asfour berichtet.

Asfour wurde im Juli zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil er in einer Moschee nach schiitischen Riten gebetet und schiitische religiöse Positionen vertreten hatte. Er benutzte einen Gebetsstein, der sich zwischen Stirn und Boden befand: "Die Familie seiner Frau und einige Salafisten forderten seine Frau daraufhin auf, die Scheidung zu verlangen, worauf diese sich auch scheiden ließ. Damit begann die Diskriminierung", erzählt Ghonem. Asfour sei verhaftetet worden, als er zum Gebet in der Moschee war. "Sie brachten ihn zur Polizei und sagten aus, dass er an eine falsche Form des Islam glaube."

Mohammed Ghonem (Copyright: DW/Mohammad Al-Badawi)
Mohammed Ghonem äußert Kritik auch in der ÖffentlichkeitBild: DW

Fingierte Anklagen, Verhaftungen und Folter

Die Unterdrückung der Schiiten hat vor allem zwei Gründe. Ihnen wird pauschal unterstellt, enge Verbindungen zum schiitischen Iran zu unterhalten. Seit der iranischen Revolution 1979 war das Verhältnis zwischen Ägypten und Iran stark abgekühlt. Das Regime hat Schiiten daher oft als Sicherheitsrisiko dargestellt. Was das für Folgen hat, hat Saleh Al-Wardani selbst erfahren müssen. Der bekannte Schiitenführer wurde mehrmals Opfer von fingierten Anklagen, Verhaftungen und auch Folter: "Und so blieb es auch in den 1980er und 1990er Jahren. Von Zeit zu Zeit verhaftete das Regime einige Schiiten. Und Diskriminierung und auch Folterungen gingen weiter wie zuvor", sagt Al-Wardani. Bis zum Sturz Mubaraks im Februar 2011 sei das so weitergegangen.

Saleh Al-Wardani (Copyright: DW/Mohammad Al-Badawi)
Saleh Al-Wardani musste mehrere Jahre in syrischem Exil verbringenBild: DW

Seitdem macht auch die wachsende Freiheit sunnitisch-islamischer Fundamentalisten den Schiiten zu schaffen. Durch die Wahlerfolge der Muslimbrüder und der Salafisten steigt der Druck auf die Schiiten dramatisch. Selbst die bisher moderate staatliche Al-Azhar-Universität, die höchste Autorität im sunnitischen Islam in Ägypten, folgt diesem Trend. Laut Ghonem bereitet Al-Azhar momentan ein Schulbuch vor, das den schiitischen Glauben ausführlich als falsch und abartig beschreibt. "Dieses Buch soll an allen staatlichen Schulen verwendet werden. Damit erreicht es also die Mehrheit der Bevölkerung. Was soll man von den Menschen erwarten, wenn sie das als Schüler zu lesen bekommen?"

Kein Personalausweis für Bahais

Mit ähnlichen Problemen sehen sich auch Ägyptens Bahais konfrontiert. Bahais glauben an die spirituelle Einheit der Menschheit und betonen die Gemeinsamkeiten verschiedener Religionen. In den Medien wurden sie immer wieder als Ungläubige dargestellt und mit dem bei vielen verhassten Israel in Verbindung gebracht. Durch solche Kampagnen habe das Regime vom eigenen Versagen ablenken können, meint Somaya Ramadan, eine bekannte ägyptische Schriftstellerin und selbst Bahai. "Und dann sagt das Regime ihnen: 'Diese Bahais wollen ihre Religion vom Staat anerkannt haben.' Und schon gibt es große Aufregung und die Menschen beginnen, das Wort Bahai auf respektlose Weise zu verwenden."

In der äußerst konservativen ägyptischen Gesellschaft verfehlen derartige Kampagnen ihre Wirkung nicht. Indem das Regime die Bahais weiter diskriminiert, sichert es sich die Unterstützung einer überwiegend unwissenden Bevölkerung. Ein Beispiel: Bahais erhielten lange keinen Personalausweis. Es gab nur die Möglichkeit, dem zu entgehen, auf dem Ausweis im Feld Religion "Muslim", "Christ" oder "Jude" anzugeben. Erst 2009 erlaubte ein Gericht den Bahais, das Feld zumindest frei zu lassen.

Düstere Zukunft

Doch es gibt nach wie vor viele, die ohne Ausweis in Ägypten leben müssen. Die Folge: Sie können zum Beispiel nicht rechtlich anerkannt heiraten oder ihr Eigentum vererben - oder sie haben Schwierigkeiten, ihre Rente zu erhalten. So geht es Somaya Ramadan, die über 20 Jahre lang als Lehrerin gearbeitet hat. Um ihre Rente abzuholen, braucht sie einen Personalausweis. Da sie keinen hat, bekommt sie kein Geld, sondern einen Scheck. "Dann sagt die Bank: 'Klar können Sie den Scheck einlösen. Wo ist ihr Ausweis?' Und so geht es immer weiter", erzählt sie. Ob sie ihre Rente jemals erhalten wird, weiß Somaya nicht.

Somaya Ramadan (Copyright: DW/Mohammad Al-Badawi)
Somaya Ramadan versucht vergebens, ihre Rente zu erhaltenBild: DW

Im Moment sieht die Zukunft für die Bahais und die schiitischen Muslime in Ägypten düster aus. Die Muslimbrüder, die den Präsidenten stellen, lassen keinen Zweifel daran, dass sich der Glaube der Schiiten und Bahais nicht weiter verbreiten soll.