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Ärztemangel und gefährliche Hausgeburten

24. September 2010

Weltweit sterben immer weniger Mütter bei der Geburt ihrer Kinder. Die Regierung Tadschikistans will die Müttersterblichkeit bis 2015 um 75 Prozent reduzieren. Ein ambitioniertes Ziel.

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Schwangere Frau in Tadschikistan (Foto: DW)
Schwangere Frau in TadschikistanBild: DW

"Die Müttersterblichkeit in Tadschikistan ist 10 bis 20 Mal höher als in entwickelten Ländern", stellt die freie Journalistin Valentina Kasymbekova entsetzt fest. Sie schreibt für verschiedene Medien in Tadschikistan. Seit mehr als 20 Jahren befasst sie sich mit der Situation von Frauen in ihrem Land. Das Problem der Müttersterblichkeit in Tadschikistan ist ihrer Meinung nach so akut wie sonst nirgendwo in der Region. "Unter weltweit 170 Ländern nimmt Tadschikistan einen Platz zwischen den afrikanischen Staaten ein."

Dafür dürfe man aber nicht nur das Gesundheitswesen verantwortlich machen, meint Kasymbekova. Die Wurzel des Übels sei die soziale und wirtschaftliche Lage der Bevölkerung. "Wir haben eine Situation, in der jede zweite Schwangere unter Blutmangel leidet. Die Krankheit ist eine Folge schlechter Ernährung. Die Frauen essen meist Backwaren sowie Obst und Gemüse. Milchprodukte, Fleisch und Fisch kommen viel zu kurz."

Mit einem Stethoskop untersucht der Arzt einen Fötus in der Gebärmutter einer schwangeren Frau (Foto: DW)
Mit einem Stethoskop untersucht der Arzt den Fötus in der Gebärmutter einer FrauBild: DW

Hausgeburten steigern das Risiko

Meistens müssen die Frauen auch während der Schwangerschaft unermüdlich auf Feldern arbeiten und sich um den Haushalt kümmern. Viele sind gezwungen, ihre Kinder daheim auf die Welt zu bringen. Sie haben zu wenig Geld und leben zu weit entfernt von Entbindungskliniken. "Nach amtlichen Angaben finden 15 Prozent aller Geburten in Tadschikistan zu Hause statt - inoffiziellen Statistiken zufolge aber 30 bis 40 Prozent", sagt der tadschikische Gesundheitsexperte Nargis Rachimow, der für ein UN-Projekt tätig ist.

Für den Wunsch der Frauen, ihre Kinder daheim zur Welt zu bringen, gibt es aber auch noch einen anderen Grund. "In den ländlichen Gebieten besteht nach wie vor eine patriarchalische Ordnung", meint die stellvertretende tadschikische Gesundheitsministerin Saida Dschobirova. "Die Menschen wenden sich nur sehr selten an Ärzte, und Schwangere melden sich erst gar nicht bei ihnen. Sie ziehen Hausgeburten vor, das ist schon Tradition."

Landflucht der Ärzte

Hausgeburten sind aber auch oft eine Folge des Fachkräftemangels. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums kommen heute in Tadschikistan auf über 10.000 Menschen nur zwei ausgebildete Geburtshelfer. Hinzu kommt, dass sich die meisten Fachkräfte in der Hauptstadt und in den regionalen Zentren befinden. In abgelegenen Gebieten ist die Lage schwierig. Fachkräfte wollen wegen der niedrigen Löhne und der schlechten Arbeitsbedingungen nicht ins Hochland, so Dschobirova.

Das Gesundheitsministerium schickt bereits seit zwei Jahren junge Ärzte in ländliche Gebiete, sie sollen dort drei Jahre lang ihr Studium sozusagen abarbeiten. Der Arbeitsmarktexperte am staatlichen Zentrum für Strategische Studien, Firus Saidov, glaubt allerdings nicht, dass es so gelingen kann, die Ärzte in den entlegenen Gebieten zu halten. Sein Vorschlag: "Der Staat sollte die Gehälter der Landärzte um ein Mehrfaches erhöhen. So könnte man versuchen, die Fachkräfte auf dem Land zu halten." Für mehr Fachkräfte im ländlichen Raum könnten laut Saidov auch zusätzliche medizinische Hochschulen sorgen. "In Tadschikistan sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Hochschulen eröffnet worden. Aber es gibt nur eine Medizinische Universität im Land, noch aus der Zeit der Sowjetunion. Die Zahl der Mediziner wächst nicht proportional zur Bevölkerung."

Geburt eines Kindes per Kaiserschnitt - keine Seltenheit in Tadschikistan (Foto: DW)
Geburt eines Kindes per Kaiserschnitt - keine Seltenheit in TadschikistanBild: DW

Traditionen treffen Fortschritt

Im Jahr 2009 starben nach Angaben tadschikischer Behörden während und nach der Geburt zwischen 41 und 60 Frauen pro 100.000 Geburten. Laut UN-Bevölkerungsfonds oder dem Kinderhilfswerk unicef liegen die Zahlen deutlich höher. Die Weltgesundheitsorganisation geht beispielsweise von 170 Todesfällen auf 100.000 Geburten aus. Die Unstimmigkeiten in den Statistiken lassen sich Experten zufolge damit erklären, dass die Behörden die Todesfälle bei Hausgeburten nicht immer erfassen.

Pläne, die Situation im Land zu ändern, gibt es viele. Um sie umzusetzen, muss aber auch die Bevölkerung einbezogen werden, sagt Dilorom Rachmatova. "Für viele ist die Familienplanung ein großes Problem. Auf Aufrufe, eine Familie entsprechend dem verfügbaren Vermögen zu planen, reagiert die Gesellschaft sensibel", erklärt der Experte vom tadschikischen Zentrum für strategische Studien. "Große Familien sind Tradition. Aber man muss die Mütter schonen und Abstände zwischen den einzelnen Geburten halten. So kann man Rehabilitationsphasen für die Frauen schaffen. Dieser letzte Aspekt ist für eine Verringerung der Müttersterblichkeit wohl der Wichtigste."

Autor: Galim Faschutdinov
Redaktion: Mikhail Bushuev