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Äthiopien: Kulturschätze im Krieg geplündert?

Azeb-Tadesse Hahn
13. März 2022

Alte Relikte aus Äthiopien werden angeblich online gehandelt. Manche Experten befürchten, die Kulturstätten könnten während des Kriegs geplündert worden sein.

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Äthiopien Orthodoxer Priester
Äthiopien besitzt ein reiches Kulturerbe religiöser Artefakte, die Jahrhunderte alt sind. Bild: Sergi Reboredo/picture alliance

Viele Äthiopier waren schockiert angesichts einer Nachricht, die sich in Windeseile verbreitete: Auf dem Online-Marktplatz eBay und ähnlichen Handelsplattformen könnten äthiopische Antiquitäten gekauft werden. Zu den dort angebotenen Gegenstände gehörten angeblich jahrhundertealte Schriftrollen und christlich-orthodoxe Bibeln, die oft zu Preisen unter Marktniveau angeboten wurden. Ein antikes Manuskript kostete zum Beispiel nur 688 €. Allerdings fehlt der Nachweis für die Echtheit.

Der Handschriftenexperte Hagos Abrha Abay, ein in Deutschland lebender äthiopischer Akademiker, war einer der ersten, der auf die eBay-Angebote aufmerksam machte: Er verbreitete Fotos von den dort gelisteten Kunstgegenstände im Februar auf Twitter, die die Bandbreite der angebotenen Antiquitäten zeigten. Inzwischen hat eBay eine Reihe von äthiopischen Artefakten ohne Herkunftsnachweis aus seinen Angeboten entfernt.

Echt oder gefälscht

Anhand der Fotos bei Online-Angeboten lässt sich nicht feststellen, ob es sich um echte Gegenstände oder um Fälschungen handelt. Experten warnen seit Jahren vor einer Flut von gefälschten Antiquitäten, die bei eBay und anderen Online-Seiten angeboten werden.

Die äthiopische Regierung glaubt aber, dass die Gegenstände wahrscheinlich echt sind - und bat um Hilfe, sie zurückzubekommen: "Die Artefakte sind zweifellos äthiopisches Kulturgut", sagte der Staatsminister für Tourismus, Sileshi Girma, in einem DW-Interview.

Viele der Gegenstände scheinen aus Gebieten zu stammen, die von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Laut Girma stehen äthiopische Beamte daher in Kontakt mit der UNESCO: "Wir werden weiter daran arbeiten, unser Erbe nach Äthiopien zurückzubringen. Die UNESCO wird die Objekte auch vom eBay-Marktplatz zurückholen", sagt der Minister.

Kriegsplünderung?

Fachleute äußern den Verdacht, dass zahlreiche äthiopische Antiquitäten, die in den Online-Shops auftauchen, während des Bürgerkriegs zwischen Regierungstruppen und Kämpfern aus Tigray geplündert worden sind. Der Krieg dauert bereits 15 Monate an. Fast genauso lange warnen Experten vor der Gefahr, dass Kirchen, Klöstern, Moscheen und Museen in Tigray und den benachbarten Regionen im Norden Äthiopiens geplündert werden könnten.

BG Tigray | Negash
Die Al-Nejashi-Moschee stammt aus dem 7. Jahrhundert. Sie wurde im Krieg beschädigt und laut Augenzeugen auch geplündert.Bild: Maria Gerth-Niculescu/DW

Während der internationale Flughafen in der Hauptstadt Addis Abeba streng kontrolliert wird, sieht es an vielen Grenzübergängen Äthiopiens anders aus, und "die Leute könnten mit verschiedenen Dingen davonkommen", räumte der Regierungsbeamte Sileshi ein. Der Konflikt mache es auch schwierig, den Überblick über religiöse und kulturelle Artefakte zu behalten.

Schäden und Verluste unbekannt

"In diesem Krieg gab es große Zerstörungen und Plünderungen", bilanziert der prominente äthiopische Kulturerbe-Experte Henok Seyoum. Er habe beschädigte Kulturstätten mit eigenen Augen gesehen - trotz des Krieges: "Im Norden wütet er immer noch, und deshalb ist es selbst in Tigray unmöglich, Kulturstätten zu besuchen."

Alebachew Desalegn, ein in London ansässiger privater Sammler äthiopischer Artefakte hält es für plausibel, dass die Artefakte geplündert wurden. "Das Erbe zeigt deine Wurzeln. Das Erbe zeigt die Geschichte des Landes. Eine Kampagne gegen das Kulturerbe in Äthiopien ist selbst Teil des Krieges", sagte Desalegn. "Das ist inakzeptabel."

Der Sammler Desalegn beschuldigte die Regierung des Ministerpräsidenten Abiy Ahmed, die Augen vor der Zerstörung und dem Diebstahl des unschätzbaren Erbes des Landes in diesem politischen Konflikt zu verschließen. "Das [Tourismus-]Ministerium muss alle geplünderten Kulturstätten untersuchen und dem äthiopischen Volk Bericht erstatten", fordert er. Die Regierung müsse auch für die Rückgabe von Relikten sorgen, die geplündert und ins Ausland gebracht wurden. Tourismusminister Girma kündigte an, dass sein Büro das Ausmaß der Zerstörung und Plünderung untersuche und seine Ergebnisse bald veröffentlichen werde.

Äthiopiens zahllose Artefakte

Die schiere Menge an historischen Gegenständen in Äthiopien erschwert die Suche nach solchen Objekten. Schätzungen zufolge befinden sich in den Bibliotheken und Archiven der äthiopischen Klöster etwa 200.000 alte Handschriften. Hinzu kommt, dass die Kunstgüter Äthiopiens seit langem gekauft und veräußert werden und daher weit über den Globus verteilt sind.

Äthiopische Artefakte | Bibel aus dem 18. Jahrhundert
Diese antike Bibel war 1868 von britischen Soldaten gestohlen worden. 2021 erhielten die Äthiopier den Kulturschatz zurück.Bild: Alebachew Desalegn

Mit dem Verbleib von äthiopischen Artefakten beschäftigt sich Yohannes Zeleke - er ist Mitglied des Internationalen Komitees für die Rückgabe äthiopischen Kulturerbes. "Äthiopien ist ein sehr alter Staat. Es war das erste Land mit einem Hafen am Roten Meer, das über eine Flotte verfügte und die Kontrolle über den Hafen von Sudan bis zum Indischen Ozean hatte. Äthiopien trieb Handel mit Ägypten, Persien, Indien und dem griechisch-römischen Reich", sagte er zur DW.

Für Zeleke ist es die eine Sache, äthiopisches Erbe in Museen auf der ganzen Welt zu haben. Der dubiose Verkauf von Altertümern des Landes an Privatpersonen ist jedoch eine andere Sache.
"Es ist besorgniserregend, dass das äthiopische Erbe in den Händen von Privatpersonen liegt", sagte er. Das Wichtigste sei jetzt herauszufinden, ob es sich bei den auf eBay angebotenen Artefakte um echte Stücke oder um Duplikate handelt, sagte Zeleke und fügte an: "Solange das nicht bekannt ist, sollten wir nicht in Panik verfallen."

Blutiger Konflikt an einem heiligen Ort


Mitarbeit: Solomon Muchie Abebe in Addis Abeba.

Aus dem Englischen adaptiert von Martina Schwikowski.