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Politik

Äthiopische Juden: Israelis zweiter Klasse?

1. Oktober 2018

Seit Jahren bereits gehen äthiopische Juden immer wieder auf die Straße und fordern Gleichheit vor dem Gesetz in Israel. Zuletzt gab es große Proteste vor drei Jahren. Was sagen die Aktivisten von damals heute?

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Israel Jerusalem Demonstration von Äthiopischen Juden
Ende Juli demonstrierten äthiopische Juden vor dem Büro des israelischen Premierministers und zeigten dabei Fotos ihrer Verwandten, die in Äthiopien darauf warten, einwandern zu dürfenBild: picture-alliance/ZUMA Wire/N. Alon

Mitten während der vielen jüdischen Feiertage im September kam die Nachricht, dass tausend äthiopische Juden nach Israel einreisen dürfen. Für die Einen war es eine Geste des guten Willens der israelischen Regierung. Andere kritisierten die langsame Umsetzung bestehender Pläne. Es sei zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, meint Avraham Neguise. Aber zufrieden ist der selbst in Äthiopien geborene Knesset-Abgeordnete der Regierungspartei Likud noch nicht: 2017 seien 1300 äthiopische Juden nach Israel gekommen, jetzt weitere 1000. "Das ist nicht genug", sagt Neguise. "Es ist eine humanitäre Tragödie, eine jüdische Tragödie. Wir wollen, dass alle zusammen nach Israel gebracht und mit ihren Familien vereint werden."

Der Streit um die Einwanderung der so genannten Falash Mura schwelt schon lange, weil diese vom Oberrabbinat in Jerusalem nicht als vollwertige Juden anerkannt werden. Ihre Vorfahren waren unter Zwang in Äthiopien zum Christentum konvertiert - heute leben die meisten jedoch nach jüdischen Glaubensregeln. Diejenigen, die bald ausreisen sollen, haben bereits Angehörige in Israel. 2015 hatte die israelische Regierung entschieden, den rund 9000 äthiopischen Juden innerhalb von fünf Jahren die Einreise zu gewähren.

Proteste gegen Diskriminierung

Diese Entscheidung wird auch als politisches Zugeständnis gesehen. Im Frühjahr 2015 waren tausende äthiopische Juden wegen Polizeigewalt und alltäglicher Diskriminierung auf die Straße gegangen und hatten den Umgang mit der Minderheit in Israel kritisiert. Auslöser war ein Video: Darauf war ein junger israelisch-äthiopischer Soldat zu sehen, der von zwei Polizisten verprügelt wird. Tausende Demonstranten forderten damals die Regierung auf, für Gleichheit vor dem Gesetz zu sorgen. Premierminister Benjamin Netanjahu verurteilte den Vorfall: "Es ist unsere Pflicht, gegen Rassismus und Diskriminierung vorzugehen", sagte Netanjahu damals. Ein spezieller ministerieller Ausschuss wurde eingesetzt, um sich um die Belange der äthiopischen Gemeinschaft zu kümmern.

Äthiopische Juden/ Proteste/ Israel
Nicht zum ersten Mal gerieten bei Protesten 2015 die israelische Polizei und äthiopische Juden aneinanderBild: Reuters

Einer der Demonstranten von 2015 war Avi Yalou. Der junge Israeli fand es unerträglich, die Polizeigewalt mit anzusehen. Dunkelhäutig und Jude zu sein - das passe auch heute noch für viele nicht zusammen, meint Yalou, der in der Nähe der Kleinstadt Rehovot lebt. Bei den Protesten sei es aber nicht nur um Polizeigewalt gegangen. "Es gibt so viele Probleme. Es gibt junge Leute, die trotz Studienabschluss und gleichen Qualifikationen weniger verdienen", sagt Yalou, der bei einer Organisation arbeitet, die sich für mehr Chancengleichheit einsetzt. Es sei Alltag, dass die Polizei dunkelhäutige Juden nur aufgrund ihrer Hautfarbe anhalte.

"Unser Ziel ist es, Rassismus ein Ende zu bereiten. Der Weg dahin ist wohl eher ein Marathonlauf." Yalou kam 1991 als Sechsjähriger mit seiner Familie nach Israel. Im Rahmen der streng geheimen "Operation Solomon" wurden damals rund 14 000 äthiopische Juden ausgeflogen. Yalou empfindet Israel als seine Heimat: hier ist er zur Schule gegangen, hat in der Armee gedient, studiert - und doch zweifelt er manchmal. Immerhin hätten die Proteste vor drei Jahren für eine Diskussion in der israelischen Öffentlichkeit gesorgt, sagt er.

Andersbehandlung mit langer Geschichte

Der Abgeordnete Avraham Neguise meint, die Regierung habe seit den Demonstrationen einiges im Kampf gegen latenten Rassismus getan. "2015 gab es die Forderung der jungen Generation, die hier geboren oder aufgewachsen ist, sie besser in die Gesellschaft zu integrieren, und sie nicht nur als ewige Migrantenkinder zu sehen", sagt Neguise. "Die Regierung hat ihre Anliegen gehört, und der Ausschuss arbeitet daran."

Äthiopien | Operation Solomon
Bei der Operation Solomon wurden 1991 in 35 Stunden rund 14.000 äthiopische Juden evakuiertBild: Albert Nathan/GPO

Doch das Thema war schon damals nicht neu. Bereits in den 1970er-Jahren setzten sich Aktivisten für das Recht der äthiopischen Juden auf Einwanderung ein. Mitte der 80er-Jahre, nachdem fast 8000 von ihnen bei der Geheimoperation "Moses" nach Israel geholt worden waren, gab es Proteste gegen Auflagen des Rabbinats, die spezielle Konvertierungsrituale für Äthiopier vorschrieben. In den 90er-Jahren sorgte der sogenannte Blutspendenskandal für Proteste: Damals waren Blutspenden von Juden äthiopischer Herkunft im Geheimen vernichtet worden - angeblich aus Angst vor HIV-kontaminiertem Blut.

Diverse Minderheit

Mehr als 145.000 Menschen zählt die äthiopische Gemeinde heute. Damit macht sie weniger als zwei Prozent der israelischen Gesamtbevölkerung aus. Mehr als die Hälfte lebt unter der Armutsgrenze. "Die äthiopische Gemeinschaft ist sehr divers", sagt Efrat Yerday, Doktorandin und Vorstandsmitglied der Israelischen Gesellschaft Äthiopischer Juden. "Es gibt Leute, die vor zwei Jahren nach Israel eingewandert sind, andere sind vor fünfzig Jahren gekommen. Es gibt eine Mittelklasse und eine sozial schwache Schicht. Es gibt Leute, die kaum Hebräisch sprechen, und andere, die es fließend beherrschen”.

Israel Äthiopische Juden
Äthiopisch-jüdische Geistliche feiern im November 2017 das Sigd-Fest in JerusalemBild: Getty Images/AFP/G. Tibbon

Diskriminierung sei in vielen Lebensbereichen zu finden, sagt Yerday, die in Israel geboren wurde. Schon beim Einwanderungsprozess, der Aliyah, wurden äthiopische Juden lange Zeit anders behandelt. So mussten sie mehr Zeit in Aufnahmezentren verbringen und konnten sich danach nur in bestimmten Gegenden ansiedeln - ähnlich wie Juden aus arabischen Ländern. Dass das Justizministerium die institutionelle Diskriminierung 2016 in einem Bericht dokumentiert hat, bezeichnet sie als wichtigen Schritt.

Langsame Veränderung

Der so genannte Palmor-Bericht enthielt unter anderem Empfehlungen für die Polizei, das Bildungswesen und den Arbeitsmarkt. Er habe der israelischen Gesellschaft, vor allem auch der Polizei, eine Art Spiegel vorgehalten, meint Emi Palmor, Namenspatin des Berichts und Direktorin im Justizministerium. "Ich denke, dass sich die Dinge verändern", meint Palmor und verweist auf eine neue Beschwerde-Stelle im Justizministerium. "Die israelische Gesellschaft ist sich dieser Probleme viel mehr bewusst als zuvor."

Äthiopien | Immigranten im Kindergarten
Nach der "Operation Moses" spazieren Einwandererkinder aus Äthiopien mit ihrer Kindergärtnerin durch Kirjat GatBild: Harnik Nati/GPO

Dieses Bewusstsein zu schaffen, sei sehr wichtig, meint auch Tsega Melaku. Die Radiojournalistin hatte bereits in den 90er-Jahren die Proteste nach dem Blutspendenskandal organisiert, und auch 2015 nahm sie wieder an den Demos teil. "Es reicht nicht, neue Stellen zu schaffen. Für eine wirkliche Veränderung muss man die Ursachen angehen", meint Melaku, die als 16-Jährige 1985 im Zuge der Geheimoperation Moses nach Israel kam.

"Ich bin in Äthiopien geboren, und wir alle haben dort Antisemitismus erlebt, nicht wegen unserer Hautfarbe, sondern weil wir Juden waren. Die Generation, die in Israel geboren ist, kennt das nicht. Aber hier leiden sie unter ihrer Hautfarbe. Mit dieser Hautfarbe kommen die Stereotypen." Sie hofft, dass ihre bereits erwachsenen Kinder künftig andere Erfahrungen machen werden. Letztlich sei Israel der einzige Ort, an dem sie als Jüdin frei leben könne. Und wenn sich einer als Rassist zu erkennen gebe, sagt Melaku, dann könne sie ihm das hier zumindest laut und deutlich ins Gesicht sagen.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin