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"Deutschland muss Nordirak-Hilfe aufstocken"

Sabine Faber15. November 2014

Rund eine Million Menschen, geflohen vor dem IS-Terror, sind in Zeltlagern oder bei Familien im Nordirak untergebracht. Grünen-Chef Cem Özdemir bereist gerade die Region und fordert im DW-Gespräch schnellere Hilfe.

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Cem Özdemir - Foto: Felix Kästle (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Kästle

Deutsche Welle: Herr Özdemir, was haben Sie im Nordirak gesehen?

Cem Özdemir: Es ist schwer, sich eine Vorstellung zu machen, welche Herausforderung das für die Regierung im Nordirak-Kurdistan sein muss. Wenn man sich nur die Zahlen in Erinnerung ruft: Auf fünf Millionen Einwohner kommen mehr als eine Million Flüchtlinge. Wenn man das auf Deutschland umrechnet, wären das 20 Millionen Flüchtlinge. Da hätten wir sicher auch massivste Schwierigkeiten! Da muss man der Regierung hier ein großes Kompliment machen, aber auch den UN-Organisationen und den vielen Helfern, die hier Zeltstädte aus dem Boden gestampft haben.

Das größte Problem sind die Rohbauten, in denen die Flüchtlinge auch wohnen. Viele davon haben keine Fenster und keine Türen, und manchen fehlen sogar ganze Wände. Kinder spielen und schlafen dort auf dem fünften oder sechsten Stockwerk und fallen dann im Dunkeln herunter, denn es gibt auch keinen Strom. Man muss sich dringend darum kümmern, dass die Gebäude winterfest gemacht werden.

Kommt die Hilfe der internationalen Gemeinschaft und aus Deutschland dort an?

Zum einen gibt es natürlich immer Klagen darüber, ob die Hilfe schnell genug und am richtigen Ort ankommt. Zum anderen aber ist die Organisation allein wegen der Größe der Lager kaum zu bewältigen. Jetzt sind die Zelte noch nicht winterfest. Es ist wichtig, dass wir hier dringend schnell helfen, und dass wir die Hilfe auch aus Deutschland schnell aufstocken.

Improvisiertes Flüchtlingslager in Erbil - Foto: Thomas Rassloff (dpa)
Improvisiertes Flüchtlingslager in Erbil: "Die Zelte sind noch nicht winterfest"Bild: picture-alliance/dpa/Rassloff

Etwas aber verschärft ohne Not das Problem: der Streit zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der Regierung von Irak-Kurdistan in Erbil über die Aufteilung der finanziellen Mittel, die eigentlich den Kurden zustehen. Bagdad benutzt den Geldstrom als Druckmittel.

Kann Deutschland vermitteln?

Deutschland und die anderen müssen dringend vermitteln. Schließlich war eine der Ursachen für das Erstarken des IS, dass es in Bagdad keine starke Zentralregierung gab. Der Irak braucht eine starke Armee, um den Kampf mit dem IS aufzunehmen. Die Vorstellung, dass fünf Armee-Einheiten durch einige Tausend Kämpfer des IS überrannt wurden und den gesamten Waffenbestand an die Terrormiliz verlieren, ist schon schwer erträglich.

Der Irak braucht aber auch eine Lösung für das Verhältnis zu Irak-Kurdistan. Da sollten wir aktiv mithelfen. Genauso müssen wir Erbil dabei unterstützen Jesiden, Christen und Turkmenen als Teile des Mosaiks von Kurdistan noch stärker in die Regierung, ins Parlament, in die Verwaltung des Landes einzubinden.

Reichen die Waffenlieferungen an die Kurden aus?

Die Situation der irakisch-kurdischen Regierung ist deutlich besser geworden, auch dank der Waffenlieferungen. Aber die Kämpfer des IS sind hochfanatisiert und haben besseres Waffenmaterial. Daher wird es auch darauf ankommen, dass man die Peschmerga weiter unterstützt, vor allem weiter ausbildet. Aber noch größer ist das Problem offensichtlich für die Regierung des Iraks. Die irakische Armee muss weiter gestärkt werden, damit auch sie den Kampf wird aufnehmen können.

Zudem muss die Verständigung zwischen Bagdad und Erbil besser werden. Es macht keinen Sinn, wenn beide gegen IS kämpfen und sich nicht ausreichend miteinander absprechen und koordinieren. Da sind die Amerikaner sicher stärker gefragt als wir Deutschen, weil ihr Einfluss in der Region deutlich größer ist. Doch die große Frage bleibt: Was ist, wenn der IS im Irak besiegt wird, aber in Syrien weiter Rückzugsflächen hat?

Das Gespräch führte Sabine Faber.