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Üben für die Rettungsmission

Dеnnis Stutе 26. Februar 2015

Actionfilm? Fehlanzeige. Wenn deutsche Elitesoldaten die Evakuierung in Krisengebieten üben, geht es ruhig und sehr geordnet zu. Zuletzt hatte ein Evakuierungseinsatz für Kritik gesorgt.

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Soldaten während der Übung Pulsar am Werkstor (Foto: DW)
Bild: DW/D. Stute

"Wenn Sie deutsche Staatsbürger sind, kommen Sie auf uns zu", plärrt es aus dem Rucksack-Lautsprecher eines Soldaten. "Wir sind hier, um Sie zu evakuieren." Vor dem Werkstor steht ein Pulk junger Männer, ihnen versperrt ein Dutzend bewaffneter Bundeswehr-Soldaten den Weg auf das Betriebsgelände (Artikelbild). Die Stimmung wird zunehmend aggressiv. "Warum dürfen die jetzt rein und wir nicht?", schreit einer der Männer vor dem Tor. Ein Hundeführer schiebt sich mit seinem Malinois dazwischen, ein Soldat des Teams für psychologische Kriegführung versucht es mit einer Mischung aus Drohen -"Wenn Sie hier Ärger machen..."- und Beschwichtigen: "Wenn Sie ruhig bleiben, ist doch alles gut."

"Wir üben heute die Evakuierung von Zivilisten aus Krisengebieten", sagt Oberst Stefan Geilen, Kommandeur der Luftlandebrigade 26. "Das ist seit etwa 15 Jahren unser Auftrag." Die 3800 Soldaten der Brigade gehören zur "Division Schnelle Kräfte", die insbesondere für Evakuierungen, Einsätze bei Geiselnahmen oder "Operationen gegen irreguläre Kräfte" im Ausland bereitsteht.

Stefan Geilen (M.), Kommandeur der Luftlandebrigade 26 (Foto: DW)
Stefan Geilen (M.), Kommandeur der Luftlandebrigade 26Bild: DW/D. Stute

Abfertigung wie am Flughafen

Während der zehntätigen Evakuierungsübung werden Szenarien an unterschiedlichen Einsatzorten durchgespielt, diesmal ist es ein Kohlekraftwerk bei Saarlouis nahe der französischen Grenze. "Es sollen hier deutsche Mitarbeiter eines Industriebetriebes herausgeholt werden", erklärt Geilen. Das Szenario orientiert sich eng an der Realität: Im Frühjahr 2011 flog die Bundeswehr bei der "Operation Pegasus" rund 130 europäische Ingenieure und Arbeiter von Ölfirmen aus dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Libyen aus. Der Einsatz sorgte anschließend für politischen Ärger: Weil bewaffnete Streitkräfte im Ausland nur mit Zustimmung des Bundestages eingesetzt werden dürfen, prüft das Verfassungsgericht derzeit, ob auch in diesem Fall das Parlament hätte gefragt werden müssen.

"Hier vor Ort sind es 15 Deutsche, die evakuiert werden müssen", sagt Oberst Geilen. Das geht in aller Ruhe vor sich: Nachdem der Fahrzeugkonvoi mit den rund 500 Beteiligten eingetroffen ist, verteilen sich bewaffnete Soldaten auf dem Gelände, um eine Werkshalle unweit des Eingangstores zu bewachen. Dort werden die "deutschen Staatsbürger" wie Flugreisende abgefertigt: Militärpolizisten kontrollieren die Ausweise und überprüfen zusammen mit einem "Botschaftsmitarbeiter", ob die Namen auf einer Liste des Auswärtigen Amtes stehen.

Soldaten in einem Fahrzeug bewachen die Halle (Foto: DW)
Soldaten in einem Fahrzeug bewachen die HalleBild: DW/D. Stute

Das Außenministerium ist es auch, das die Bundeswehr in Krisenfällen um eine so genannte militärische Evakuierung bittet. Das kommt nur äußerst selten vor, denn bei Krisenlagen gibt das Auswärtige Amt zunächst eine Reisewarnung heraus, im nächsten Schritt folgt eine so genannte diplomatische Evakuierung. Nach dem Umsturz im Jemen beispielsweise forderte das AA zunächst alle Bundesbürger auf, das Land zu verlassen, und zog vor zwei Wochen schließlich das Botschaftspersonal ab. Hilfe der Bundeswehr war nicht nötig: Bis heute kann man für ein paar hundert Euro einen normalen Linienflug von Sanaa nach Frankfurt buchen.

Soldaten bringen die Neuankömmlinge zur Sammelstelle (Foto: DW)
Soldaten bringen die Neuankömmlinge zur SammelstelleBild: DW/D. Stute

Flucht vor dem "Lotterie-Aufstand"

Nach Auskunft des Einsatzführungskommandos in Potsdam war die Bundeswehr – von dem umstrittenen Libyen-Einsatz abgesehen – bislang an zwei militärischen Evakuierungen beteiligt. Im Jahr 1997 flogen Fallschirmjäger rund 80 Europäer aus Albanien aus, als es im Verlauf des so genannten Lotterie-Aufstandes zu schweren Unruhen kam. Während des Libanon-Krieges von 2006 halfen Bundeswehr-Soldaten dabei, rund 6000 Deutsche außer Landes zu bringen.

Sicherheitskontrolle in der Sammelstelle (Foto: DW)
Sicherheitskontrolle in der SammelstelleBild: DW/D. Stute

Von der Registrierung werden die "Staatsbürger" zur Sicherheitskontrolle geschickt. Nachdem sie abgetastet und ihre Taschen durchsucht wurden, können sie sich in den Wartebereich setzen, der ebenso wie die alle anderen Stationen aus Bierbänken und -tischen besteht.

Einer der Neuankömmlinge klagt über starke Kopfschmerzen, er kann kaum eigenständig laufen. Um ihn muss sich ein Rettungsassistent kümmern – der Arzt ist gerade mit einem "Schwerverletzten" beschäftigt. Wie überall bei dieser Übung steht auch hier ein Schiedsrichter daneben, eine respekteinflößende Erscheinung mit dunkler Sonnenbrille und Talib-Bart, und notiert alle Schritte und Fehltritte. Blutdruck 137 zu 75, gerötete Augen, stellt der Assistent fest: "Haben Sie sich in den letzten Tagen mal übergeben müssen?"

Ein Schiedrichter (links) bewertet die Arbeit der Sanitäter (Foto: DW)
Ein Schiedrichter (links) bewertet die Arbeit der SanitäterBild: DW/D. Stute

Keine Hektik

"Es geht hier vor allem um die Zusammenarbeit im Team", sagt der Presseoffizier Lars Renner. "Der Kompaniechef der Fallschirmjäger hat hier zusätzlich noch Pioniere, Sanitäter, Hundeführer, Feldjäger und die psychologische Kriegführung unter sich. Das muss geübt werden." Die Soldaten tun das ohne Hast: Die Evakuierung erinnert weniger an einen Actionfilm als an die Arbeit einer deutschen Behörde.

Hektik kommt nur in Einzelfällen auf. Der Rettungsassistent hat noch immer nicht herausgefunden, dass sein "Patient" eine Hirnhautentzündung simuliert; er hat ihn inzwischen an einen Tropf gehängt und in einen Rettungswagen gebracht. Klein und eng ist es darin, denn er muss wie alle beteiligten Fahrzeuge mit einem Flugzeug oder Hubschrauber transportiert werden können. Der Assistent klettert hinein, rumms, schon wieder ein Fehler, sein Rucksack fällt heraus - erst einsteigen, dann Gepäck einladen. Der Schiedsrichter macht ungerührt weiter seine Notizen.

Ein "Verletzter" wird zum Hubschrauber gebracht (Foto: DW)
Ein "Verletzter" wird zum Hubschrauber gebrachtBild: DW/D. Stute

Auf der benachbarten Wiese landet ein Hubschrauber. Am Rand warten Soldaten mit einer Trage, um einen "Verletzten" dorthin zu bringen, ihm folgt der diagnosenlose Kranke. In der Werkshalle räumen die Soldaten unterdessen alles zusammen. Die gesunden "Staatsbürger", 13 an der Zahl, steigen mit in die Fahrzeuge. So wie er zweieinhalb Stunden zuvor gekommen war, fährt der Fahrzeug-Konvoi geschlossen ab. Als das Geräusch der Motoren schließlich verstummt ist, liegt das Betriebsgelände wieder da, als wäre nichts geschehen.

Nach zweieinhalb Stunden verschwindet der Konvoi wieder (Foto: DW)
Nach zweieinhalb Stunden verschwindet der KonvoiBild: DW/D. Stute

Wie ist es gelaufen? Das lasse sich noch nicht beurteilen, sagt Hauptmann Anne Schönberger. Die Schiedsrichter und die Übungsleitung müssten die Ergebnisse detailliert auswerten, so die Presseoffizierin. Ein Ziel sei es, gegebenenfalls Mängel abzustellen: "Wenn wir alles schon könnten, müssten wir nicht üben."