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"Über deutsch-russische Verstimmungen reden"

Roman Goncharenko14. November 2012

Das russische NGO-Gesetz oder die Wutbürger in Stuttgart und Moskau - Themen des Petersburger Dialogs. Lothar de Maizière im DW-Interview über seine Erwartungen an das Forum.

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ARCHIV - Lothar de Maiziere in seinem Büro in Berlin (Foto vom 16.02.2010). Anwalt, Musiker, erster frei gewählter und zugleich letzter DDR-Ministerpräsident - Lothar de Maiziere hat sich an die spannende Zeit vor 20 Jahren erinnert und seine Geschichte der Einheit zu Papier gebracht. Das Buch "Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen" erscheint an diesem Montag (13.09.2010). Foto: Alina Novopashina dpa (zu dpa-Korr-Bericht: "Lothar de Maiziere mit Erinnerungsbuch" vom 12.09.2010) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Lothar de MaiziereBild: picture alliance/dpa

Deutsche Welle: Vom 14. bis 17. November 2012 findet in Moskau das deutsch-russische zivilgesellschaftliche Forum "Petersburger Dialog" statt. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind deutlich abgekühlt. Vor kurzem kritisierte der Bundestag in einer Resolution das Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen Oppositionelle. Wie stark ist das bilaterale Verhältnis derzeit belastet?

Lothar de Maizière: Das deutsch-russische Verhältnis besteht nicht nur aus dem, was aus zivilgesellschaftlicher Sicht zu sagen ist, sondern es besteht aus politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen. Die Beziehungen in der Wirtschaft sind ausgesprochen gut. (…) Sicherlich hat es in der Zeit seit dem politischen Machtantritt [des Präsidenten Putin, Anm. d. Red.] verschiedene Verstimmungen gegeben, die wir auch zur Kenntnis genommen haben. Wir werden auch darüber reden beim Petersburger Dialog. Aber ich bin der Meinung, dass man diese Dinge im Dialog besprechen sollte und nicht vorab sich über Medien zubrüllen und möglicherweise das Gesprächsthema damit verderben sollte.

Logo des Petersburger Dialogs (Foto: DW)
Der Petersburger Dialog findet zum 12. Mal statt

Wird das diesjährige Forum vor dem Hintergrund der Verstimmungen für Sie das bisher schwierigste sein?

Ob es das schwierigste ist, werde ich nach dem Dialog wissen. (…) Ich habe das Gefühl, dass wir mit unseren russischen Gesprächspartnern inzwischen ein so offenes und ehrliches Verhältnis haben, dass man mit ihnen auch schwierige und komplizierte Dingen besprechen kann. Insofern sehe ich dem ganz gelassen entgegen. Dieses Papier [Resolution, Anm. d. Red.] des Bundestags ermahnt die Regierung, auch uns aufzufordern, den Dialog offener zu gestalten. Das verstehe ich nicht ganz, wenn man sich die Themen ansieht, die wir dieses Jahr besprechen wollen: Die NGO-Gesetzgebung, Fragen der Rechtsstaatlichkeit, den Umgang des Bürgers mit dem Staat. (…) Ein Thema lautet "Wutbürger - neue Formen der Bürgerbeteiligung Stuttgart-21/Moskau 2012". Wir packen den Stier bei den Hörnern.

In der Arbeitsgruppe "Politik" stehen zwei Themen auf der Tagesordnung: der eingefrorene Konflikt in Transnistrien und die Zukunft der EU. Warum ist Transnistrien wichtiger als beispielsweise die Rolle der russischen Opposition oder die Fälschungsvorwürfe bei den Wahlen in Russland?

Die Leiter der Arbeitsgruppen "Politik" und "Zivilgesellschaft" haben sich abgestimmt. Die Themen, die Sie ansprechen, die möglicherweise wichtiger wären, werden in der Arbeitsgruppe "Zivilgesellschaft" besprochen. Die kommen mit Sicherheit nicht zu kurz. Probleme wie in Transnistrien werden in Deutschland gar nicht wahrgenommen. Insofern müssen sie auch mal angesprochen werden. Das Thema "Die Zukunft der EU" haben sich die Russen gewünscht. Sie haben gesagt: ’Unsere Volkswirtschaften sind so eng miteinander verknüpft, dass uns das Schicksal des Euro nicht gleichgültig sein kann.’

Das Dachthema des Forums lautet in diesem Jahr: "Russland und Deutschland: Die Informationsgesellschaft vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts". Seit Anfang November gibt es in Russland eine "Schwarze Liste" von Internet-Seiten, die wegen jugendgefährdender Inhalte gesperrt sind. Der Bundestag ist besorgt, dass es unter Umständen zu Zensur im Internet kommt. Wie besorgt sind Sie?

Ich habe diesen Vorgang nicht direkt verfolgen können, was jetzt schon gesperrt ist. Aber in Deutschland gab es eine ähnliche Diskussion. Frau von der Leyen, als sie noch Familienministerin war, hat dafür gekämpft, dass es Möglichkeiten gibt, bestimmte Seiten zu sperren, die für Jugendliche und Kinder Sitten gefährdend sind [Diese Pläne wurden nach Protesten aufgegeben, Anm. d. Red.]. Man wird sehen, was die russische Seite unter diesen Dingen versteht.

Was ist für Sie das Wichtigste beim diesjährigen Petersburger Dialog?

Das Wichtigste ist, dass wir zu einer sachlichen Atmosphäre finden und die für beide Seiten beschwerlichen Themen benennen. Das ist von unserer Seite zum Beispiel die NGO-Gesetzgebung in Russland. Wir meinen, dass sie die Zusammenarbeit gefährdet und Teile unserer Freunde zwingt, sich als "Auslandsagenten" bezeichnen zu lassen. Wir finden das völlig überzogen. Ein Thema wird auch sein, was sich an die deutsche Seite richtet: Wir kämpfen seit Jahren für die Liberalisierung der Visumspraxis. Noch ist es so, dass die deutschen Behörden in Russland verlangen, dass jeder Antragsteller beim Konsulat persönlich vorsprechen muss - das heißt, dass man mitunter Tausende Kilometer fahren muss, nur um ein Visum zu erlangen. Das halten wir für schikanös.

Lothar de Maizière ist seit dem Jahr 2005 Vorsitzender des deutschen Lenkungsausschusses des deutsch-russischen zivilgesellschaftlichen Forums "Petersburger Dialog".