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Über die goldenen Regeln des "Gastseins"

31. August 2010

Von den Menschen in den kirgisischen Bergen lernte DW-Reporterin Mareike Aden die Regeln kirgisischer Gastfreundschaft – und die Regeln des "Gastseins". Und selten verließ sie ein Haus mit leeren Händen.

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"Ich habe 20 Enkelkinder", erzählt mir die alte Frau, "aber vielleicht auch mehr". Sie lächelt ein breites Lächeln, das all ihre Goldzähne zum Vorschein bringt und zeigt mir, dass ich mich hinsetzen soll auf eines der Sitzkissen, die rund um den niedrigen Tisch verteilt sind. Dann kommt ihr Ehemann herein. Seine faltige Haut ist von der Sonne gegerbt, der weißgraue Bart ordentlich gezwirbelt. Er stellt sich als Usonkadir Toktombajew vor. Seinen traditionellen schwarzweißen, spitz zulaufenden Filzhut, genannt Kalpak, setzt er auch am Tisch nicht ab.

(Foto: Mareike Aden)
Gastfreunde und GastBild: Mareike Aden

Das Ehepaar hat das ganze Leben in dem Dorf Saruu in den kirgisischen Bergen gelebt und hält sich nun mit ein wenig Landwirtschaft über Wasser, aber sie gehören zu den Ärmsten im Dorf. Im Nebenzimmer wird für das alte Ehepaar gerade ein energiesparender Ofen gebaut, mit dem sie künftig die Hälfte der Heizkosten sparen werden. Wir sind nach Kirgistan gekommen, um über diese besonderen Öfen zu berichten. Und immer wenn wir ein Haus betreten, werden wir dazu gedrängt uns hinzusetzen und Tee zu trinken – zumindest ganz kurz. Schnell merke ich, dass es dabei viele Regeln gibt, sowohl für den Gastgeber, als auch den Gast.

Als Gast aus dem Ausland bekomme ich auch bei Familie Toktombajew den Ehrenplatz, neben dem Familienoberhaupt unter dem großen rot-gemusterten Teppich, der in den meisten Ländern an der Wand hängt. Die Enkel, die sich zwischen uns drängeln wollen, werden umgesetzt – sanft aber bestimmt. Die älteste der Enkelkinder setzt Tee auf, schenkt ihn dann in flache Schalen ein. Außerdem bringt sie einen Topf mit kaltem Lammfleisch an den Tisch und einen Korb mit Fladenbrot, das zum Teil schon in kleine Stücke gerissen ist. "Man muss als Gast in einem Haus immer Brot und ein Stück Fleisch essen", erklärt mir der 73 Jahre alte Mann. Seine Enkelin bringt derweil eine Schale mit einem weißen Getränk herein. "Kumyz – gegärte Eselsmilch – das muss auch jeder Gast trinken", erklärt sie mir. Auch davon trinke ich eine Schale. "Zum Abschied werden mir zwei bunte Kissen mit traditionellen Mustern in die Hand gedrückt: "Als Erinnerung an unser Haus – Widerstand ist zwecklos", sagte die alte Frau und lacht ein breites Goldzähne-Lächeln.

Autorin: Mareike Aden
Redaktion: Ranty Islam