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Über Fragezeichen

2. Juli 2010

Über Buchsortiersysteme, Literatur-Roboter oder Schriftsteller als Autofahrer: Hier schreibt Thomas Böhm Kolumnen aus dem Lesealltag.

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Symbolbild Buchmanieren
Bild: DW

Wissen Sie, was ein Plenk ist? In einem Donald Duck-Comic würde jetzt in jedem Ihrer beiden Augen ein Fragezeichen auftauchen, als bildliche Umsetzung eines fragenden Blicks. Das geheimnisvolle Plenk ist kein Fall für die Drei Fragezeichen, jene Detektivserie für Jugendliche, die früher damit warb, von Alfred Hitchcook verfasst worden zu sein – nein, ein Plenk ist ein Schreibfehler - ein Leerzeichen, das irrtümlicherweise vor ein Fragezeichen gesetzt wird. Denn richtigerweise wird das Fragezeichen ja ohne Leerzeichen an das letzte Wort des Fragesatzes angeschlossen. Warum eigentlich? Und – fragen wir uns weiter, woher kommt eigentlich das Fragezeichen?

Das ist hier die Questio

Wie immer bei solch grundsätzlichen Fragen ist die Antwort unbefriedigend. Sie lautet: Der Ursprung ist umstritten. In lateinischen Manuskripten wurde statt des uns so vertrauten Hakens mit Punkt das Wort "Questio" ans Ende eines Fragesatzes geschrieben. Klar, dass die Skribenten irgendwann rationalisierten und auf eine Abbreviation umstiegen: statt "Questio" nur noch den Buchstaben "Q" schrieben, der sich dann im Laufe der Zeit in die heute vertraute Form umbog. Möglich aber auch, dass sich das Fragezeichen aus der sogenannten "Tilde" entwickelt hat, einem seit dem 9. Jahrhundert in Handschriften gebräuchlichen kleinen Wellenzeichen, das auch in der frühen Notenschrift gebräuchlich war. Denn tatsächlich ist das Fragezeichen eine Art Gesangsanweisung: Es diente wie die anderen Satzzeichen dazu, den Text für den mündlichen Vortrag zu gliedern und dem Vorlesenden anzuzeigen: An diesem Satzende ist die Stimme zu heben, denn das ist das akustische Signal für eine Frage – nicht wahr? Kein anderes Satzzeichen hat eine solche Karriere gemacht wie das Fragezeichen. So ist das Fragezeichen beispielsweise das Hauptfördermittel der Wissenschaft.

Mittelalterlicher Stimmkrückstock

Thomas Böhm
Thomas BöhmBild: birgit rautenberg

Um es poetisch, mit Hermann Hesse, zu sagen: "Alles Wissen und alle Vermehrung unseres Wissens endet nicht mit einem Schlusspunkt, sondern mit Fragezeichen." Auf der Sesamstraße formuliert man den gleichen Gedanken bekanntlich mit: "Wer nicht fragt, bleibt dumm." Ins Computerzeitalter schaffte es der mittelalterliche Stimmkrückstock auch: bei Suchvorgängen dient er als Platzhalter für ein beliebiges Zeichen. Wenn ich zum Beispiel nicht weiß, ob man Hitchcock mit "ck" oder einfach "ok" am Ende schreibt, setzte ich o?k. Diese Funktion des Fragezeichens nennt man übrigens "Wildcard". Warum? Das weiß ich gerade nicht, und antworte deshalb mit dem Dichter W. H. Auden: "Schwere Fragen zu stellen ist einfach."

Redaktion: Gabriela Schaaf

Thomas Böhm ist derzeit Programmleiter des Gastlandauftritts Island bei der Frankfurter Buchmesse 2011