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Unterwegs ohne Barrieren

Marco Gerbig-Fabel1. Oktober 2012

Unbekannte Orte entdecken und selbstbestimmt reisen - das möchten auch behinderte Menschen. Doch für sie gibt es nach wie vor viele Hürden. Neun Regionen in Deutschland wollen das ändern.

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Frau im Rollstuhl am Strand (Foto: Fotolia)
Bild: Fotolia/mangostock

Eine Straßenbahn hält, die Türen öffnen sich. Zwischen Bahnsteig und Fahrzeug liegt ein Spalt von wenigen Zentimetern - und doch kann er Rollstuhlfahrern zum Verhängnis werden. Eine falsche Bewegung und die verhältnismäßig kleinen Vorderräder verhaken sich darin. Dabei gilt die Haltestelle als behindertengerecht. Barrierefrei ist sie nicht.

Schweden als Vorbild

Für mehr als neun Millionen Menschen mit Behinderung in Deutschland gehören solche Herausforderungen zum Alltag. Zahlreiche Gesetze und Normen in Deutschland befassen sich bereits damit. Das Ideal einer barrierefreien Gesellschaft bleibt dennoch ein Ziel für die Zukunft.

So zumindest lautet die Einschätzung des Leistungssportlers Sebastian Cleem. Für Wettkämpfe reiste der vierfache Junior-Europameister im Rennrollstuhl in viele Länder. Besonders wohl fühlte er sich in Schweden. Dort sei nicht nur die Barrierefreiheit weitestgehend verwirklicht. Auch das Projekt der Inklusion - der uneingeschränkten Teilhabe behinderter Menschen an allen Lebensbereichen - finde Anwendung. "Im schwedischen Alltag sind Menschen mit Behinderungen eine Selbstverständlichkeit", sagt Cleem. In deutschen Großstädten würden Rollstuhlfahrer dagegen oft angestarrt oder bemitleidet, aber nur selten wirklich akzeptiert.

Sebastian Cleem (l.) beim Rennrollstuhl (Foto: privat)
Sebastian Cleem (l.)Bild: privat

Ein Projekt in Deutschland

Um eine behindertengerechte Gesellschaft zu schaffen, haben sich einige deutsche Touristenregionen zusammengeschlossen und 2008 die Arbeitsgemeinschaft "Barrierefreie Reiseziele in Deutschland" gegründet. Inzwischen gehören ihr neben den Städten Erfurt und Magdeburg sieben überwiegend ländlich geprägte Regionen an: Ostfriesland, die Eifel, das Ruppiner Land, das Lausitzer Seenland, die Sächsische Schweiz und das Fränkische Seenland.

Zwei Blinde am Tastmodell der Erfurter Altstadt (Foto: Erfurt Touristik)
Zwei Blinde ertasten das Modell der Erfurter AltstadtBild: B. Neumann/Erfurt Tourismus und Marketing GmbH

Die Arbeitsgemeinschaft tauscht sich regelmäßig aus und versucht, die Politik stärker einzubinden. Konkrete Barrieren im Alltag sollen beseitigt werden. Das beginnt schon bei der Reisevorbereitung. Der Nationalpark Eifel geht hier als gutes Beispiel voran: Sein Internetauftritt macht seine Informationen über spezielle Angebote auch für blinde und sehbehinderte Menschen nutzbar. 2010 konnte zudem die Deutsche Bahn als Partner gewonnen werden. Auf ihrer Internetseite und in Kooperation mit den neun Regionen der Arbeitsgemeinschaft bietet sie zahlreiche barrierefreie Serviceleistungen an, zum Beispiel einen lückenlosen Ein-, Um- und Aussteigeservice.

Gemeinsames Ziel, gemeinsamer Nutzen

Seit März 2009 gilt in Deutschland zudem die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Mehr als zehn Jahre benötigten die Vereinten Nationen zur Ausarbeitung des Menschenrechtsvertrages. Er soll allen Menschen, nicht nur denen mit Beeinträchtigungen, das Recht auf eine gleichberechtigte und umfassende Teilhabe an allen Lebensbereichen sichern. Niemand soll ausgeschlossen, ausgesondert oder isoliert werden. Eine der Voraussetzungen hierfür ist laut Vertragswerk eine umfassende Barrierefreiheit.

Dafür wirbt Ilja Seifert seit vielen Jahren. Seit einem Badeunfall vor mehr als 45 Jahren bewegt sich der Politiker im Rollstuhl fort. Seit 2005 ist er erneut Mitglied des Deutschen Bundestags und unter anderem behindertenpolitischer Sprecher der Partei Die Linke. Er ist überzeugt, die Idee der Barrierefreiheit und einer inklusiven Gesellschaft zielt auf das Wohl aller Menschen ab: "Eine Rampe und ein Fahrstuhl in einem Bahnhof helfen einer Familie mit Kinderwagen ebenso wie einer gehbehinderten Seniorin oder einem Rollstuhlfahrer."

Die Idee eines barrierefreien Tourismus ist für Seifert daher auch kein Exklusivprojekt für Menschen mit Behinderungen, sondern ein Zukunftsprojekt für alle. Auch angesichts der demographischen Entwicklung in Deutschland wird das Thema an Bedeutung gewinnen. Denn mit der höheren Lebenserwartung aller Menschen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass viele von ihnen im Alter mit einer Behinderung leben werden.