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Überraschungen bei den 77. Golden Globes

Jochen Kürten
6. Januar 2020

Nicht die Filme mit den meisten Nominierungen setzten sich durch, sondern zwei Außenseiter. Man könnte die Golden Globes 2020 als Kommentar zur Zukunft des Kinos deuten.

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USA 77. Golden Globes | Once Upon a Time...in Hollywood
Mehrfach ausgezeichnet: Die Komödie "Once Upon a Time in Hollywood" von Quentin TarantinoBild: AFP/F. J. Brown

Sechs Golden Globe Nominierungen hatte es im Vorfeld für die Netflix-Produktion "Marriage Story" gegeben. Martin Scorseses "The Irishman" war fünfmal nominiert worden, ebenfalls ein Film, in dem viel Netflix-Geld steckt. Und noch eine weitere Produktion des US-Streaminganbieters, "Die zwei Päpste", hatte es auf stolze vier Nominierungen gebracht.

Doch es sollte kein Netflix-Abend werden. "Marriage Story" holte gerade einmal einen einzigen Globe, die beiden anderen, vielfach nominierten Filme gingen gänzlich leer aus. Gewinner des Abends wurden dagegen zwei Werke, die man geradezu als "klassisches Kino" deuten kann: der Kriegsfilm "1917" und "Once Upon a Time in Hollywood". Es sind Filme zweier männlicher Regisseure, was wiederum nicht überrascht. Nominiert war nicht ein einziger Film einer Regisseurin.

Bei den Globes wurden zwei "richtige" Kinofilme ausgezeichnet

"1917", ein Film des Briten Sam Mendes, setzte sich als "bestes Drama" durch. Er wurde sicherlich auch deshalb ausgezeichnet, weil er so besonders inszeniert ist - nämlich so, dass der Zuschauer in die Filmhandlung hineingesogen wird. Regie und Kamera suggerieren, dass die Handlung in "Echtzeit" abläuft. Auf großer Leinwand wird "1917" zum Erlebnis.

Filmstill The Irishman
Fünfmal Globe-nominiert, kein mal ausgezeichnet: "The Irishman"Bild: Imago Images/Netflix/STX Entertainment

"Once Upon a Time in Hollywood" (das Sieger-Team bei den Globes auf unserem Foto oben), Gewinner in der Kategorie "Komödie/Musical", trägt sein Kino-Thema ja schon im Titel. Die Geschichte eines Schauspielers und seines Stuntmans, inszeniert von Regisseur Quentin Tarantino, ist eine Verbeugung vor dem alten Hollywood, vor Kino-Kunst und klassischem Film, vor der Aura einer zu Ende gehenden Kino-Epoche. Tarantino gilt zudem als Fan der Filmgeschichte und dreht bevorzugt auf Film-Material und nicht digital.

Die Auseinandersetzung zwischen Kino und Streaming geht in die nächste Runde

Wollten die knapp 90 ausländischen, in Hollywood akkreditierten Film-Journalisten, die die Golden Globes vergeben, damit ein Zeichen setzen? Man könnte das so interpretieren. Doch die Antworten auf die Frage, wie die Golden Globes 2020 zu bewerten sind, fällt so eindeutig nicht aus. Zum einen, weil die Nominierungen zu den nach den Oscars wichtigsten US-amerikanischen Filmpreisen ja auch von ebenjenen Journalisten stammen.

Internationale Filmfestspiele von Venedig 2019 | Marriage Story
Sogar sechs Mal nominiert, am Ende gab's für "Marriage Story" lediglich einen Golden GlobeBild: Marriage Story/W. Webb

Und zum anderen, weil die zuvor nominierten Netflix-Produktionen ja durchaus Kino-Kriterien entsprechen. "The Irishman" ist "reines" Kino, ein visuelles Vergnügen auf der großen Leinwand für jeden Zuschauer, der Interesse an der Kinogeschichte hat. "Irishman"-Regisseur Martin Scorsese gilt geradezu als glühender Fan des Kinos, sein aktueller Film kam letztendlich nur zu Netflix, weil die großen Hollywood-Studios das Werk nicht finanzieren wollten.

Für Netflix war der Abend nur vordergründig eine "Niederlage"

Und auch Noah Baumbachs Film "Marriage Story" ist trotz aller Dialoglastigkeit und theaterhaft-wirkender Dramaturgie ein Film, der ins Kino passt. Und ja auch dort gezeigt wird! Netflix führt seine Prestige-Produktionen vor der Streamingausstrahlung auf großer Leinwand auf, wenn auch nur in einem begrenzten Zeitraum und in ausgewählten Kinos. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an den dreifachen Oscargewinner des vergangenen Jahres, Alfonso Cuaróns "Roma", eine Produktion, die mit einer visuellen Pracht glänzt, die nur im Kino vollständig zur Geltung kommt. Eine "Niederlage" für Netflix, wie es erste Kommentatoren interpretierten, war der Golden Globe Abend sicher nicht.

USA 77. Golden Globes | 1917
Sam Mendes und sein glückliches Team von "1917"Bild: Reuters/NBC Universal/P. Drinkwater

Die Globes haben sich in den vergangenen Jahren immer mehr in den Vordergrund geschoben, wurden populärer, stehen bei den US-Filmpreisen klar an zweiter Stelle hinter den Oscars. Auch wenn "nur" knapp 90 Film-Journalisten hinter den Preis-Entscheidungen stehen (im Gegensatz zu den rund 9000 der Oscar-Academy), sind die Globes inzwischen ein weltweit beachtetet Preis, der auch Zeichen setzt. Wie bei den Oscar nutzen viele Sieger des Abends die Gala für politische Statements.

Der Brite Gervais geizte nicht mit Spott und beißender Kritik

Der britische Golden Globe Moderator Rick Gervais führte mit bissigen Kommentaren durch den Abend, nahm Stellung zu Debatten wie #MeToo, Klimawandel und den sozialen Medien. Hollywood-Star Russell Crowe ließ einen engagierten Appell zur Brandkatastrophe in seiner Heimat Australien verlesen, die Schauspielerin Michelle Williams hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für das Recht auf Abtreibung. Und nicht zuletzt setzen die Veranstalter durch die abendliche Verköstigung der Gäste ein Zeichen für Umwelt- und Tierschutz: Es wurde ein rein veganes Menü serviert.

Golden Globe-Preise 2020 | Vorbereitungen
Die US-Filmpreise wollen auch immer einen Kommentar zu aktuellen Debatten gebenBild: picture-alliance/AP Photo/C. Pizzello

Gervais stieß dann auch noch manche Anwesenden wie Apple-Chef Tim Cook und die versammelten Hollywood-Stars vor den Kopf. Als es in seiner Moderation um die vielen neuen Streamingdienste von Giganten wie Apple oder Disney ging, sagte er den Satz: "Wenn ISIS (Bezeichnung der Terrororganistation "Islamischer Staat", A.d.R.) einen eigenen Streamingdienst starten würde, würdet Ihr euren Agenten anrufen." Was Gervais damit überspitzt andeuten wollte: Würde und Menschenrechte zählten nicht mehr, wenn es ums Geld geht.  

"Ihr seid nicht in einer Position, in der ihr die Öffentlichkeit über irgendetwas belehren könntet. Ihr wisst nichts über die wahre Welt - die meisten von euch haben weniger Zeit in der Schule verbracht als Greta Thunberg", spitze der Moderator dann sein Statement noch einmal zu. Feinfühlig war das nicht. Doch die Veranstalter haben gewusst, wen sie da als Moderator eingeladen haben. Rick Gervais führte bereits zum fünften Mal durch die Gala.

Disney wird von manchen Experten als der "wahre Feind" der Kinokultur wahrgenommen

Ein einheitliches Fazit des Golden Globes Abends konnte es so nicht geben. Manches, was die großen Streaminganbieter produzieren, ist Kunst und kann auch auf großer Kinoleinwand gezeigt werden. Mit den Nominierungen haben die Film-Journalisten darauf aufmerksam gemacht. Auf der anderen Seite produzieren die großen etablierten Hollywood-Studios, Disney vor allem, inzwischen überwiegend Franchise-Produkte, Sequels und Prequels - d.h. Fortsetzungen und Vorgeschichten. Für manche Film-Experten ist nicht Netflix und Co. der wahre Feind des Kinos, sondern das Filmstudio Disney mit seiner maschinell und geistlos wirkenden seriellen Film-Produktion. 

Still | Der König der Löwen - Neuverfilmung
Die Disney-Produktion "Der König der Löwen" ging bei den Globes wie andere Produktionen des Weltkonzerns leer ausBild: Imago Images/Cinema Publishers Collection/Disney Enterprises Inc

Regisseur Martin Scorsese hatte vor kurzem in einem Interview und in einem Aufsehen erregenden Gastbeitrag für die "New York Times" geschrieben, dass für ihn die vom Disney-Konzern produzierten "Marvel"-Filme "kein Kino" und keine "Film-Kunst" seien. Das hatte eine internationale Debatte über die Zukunft des Films und des Kinos ausgelöst. Man kann die 77. Verleihung der Golden Globes als Beitrag zu dieser Debatte sehen. Eindeutige Antworten und Positionierungen fallen schwer - weil es sie derzeit nicht geben kann. In den nächsten Wochen werden die Nominierungen und die Verleihung der Oscars für weiteren Gesprächsstoff sorgen.