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Wachsende Ungleichheit

Ranty Islam16. April 2008

Rekordgagen an der Wall Street heizen die Diskussion um ungleiche Einkommen an: Die Menschen zweifeln am Wirtschaftswachstum, von dem sie nichts sehen. Wird Ungleichheit nun zur neuen Kenngröße der Volkswirtschaft?

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Straßenschild "Wall Street" (Quelle: Bilderbox)
Wall Street: Synonym für die wachsende Mauer zwischen Arm und Reich?Bild: Bilderbox

Was kann man mit der Summe von 2,3 Milliarden Euro anstellen? Man könnte das Bruttosozialprodukt von Simbabwe über Nacht verdoppeln. Oder zwölf von Airbus' Riesenfliegern A380 kaufen. Auch mehrere 10.000 neue Arbeitsplätze in Deutschland ließen sich so finanzieren. Der Milliardenbetrag hätte ebenfalls gereicht, um die strauchelnde Investment-Bank Bear Stearns drei Mal zu kaufen.

Ob sich John Paulson derartige Gedanken macht, ist Spekulation. Tatsache ist dagegen, dass ihn das vergangene Jahr um sagenhafte 3,7 Milliarden Dollar – umgerechnet 2,3 Milliarden Euro – reicher gemacht hat. Nach Angaben des Branchenblatts "Alpha Magazine" führt der Fonds-Manager mit dieser Summe die Liste an der Wall Street an. Auf Platz zwei des am Mittwoch (16.4.2008) veröffentlichten Rankings folgt ein alter Bekannter: Investment-Guru und Philanthrop George Soros nahm umgerechnet 1,8 Milliarden mit nach Hause. Dritter ist der Mathematiker James Simons, der 1,7 Milliarden Euro einstrich.

Top-Verdienst trotz Krise

Diese Rekordzahlen heizen die Diskussion in den USA um die Einkommensungleichheit erneut an. Im Fall von Paulson macht sich das nicht nur an der Höhe seiner Einkünfte fest, sondern auch daran, wie er sie erwirtschaftet hat. Sein Geld machte der Banker, indem er mit komplizierten Finanzprodukten auf den Wertverfall bestimmter Hypothekeninvestitionen wettete – und gewann: Ein Geldsegen nicht trotz, sondern wegen der internationalen Finanzkrise, die im US-Hypothekenmarkt ihren Ausgang nahm.

Rotes Schild "For Sale" auf grüner Wiese (Quelle: AP)
Hypothekenkrise: Einige machen Kasse, viele andere verlieren ihr HausBild: AP

Dieses Wall-Street-Bonanza folgt nur wenige Wochen nachdem die Debatte um die Höhe von Managergehältern in Deutschland abgeflaut ist. Die Frage, die die Menschen hier wie dort beschäftigt, ist die gleiche: Darf es sein, dass einzelne Wenige jenseits jeden Maßstabs belohnt werden, während die meisten anderen Menschen stagnierende oder sinkende Einkünfte haben – und das obwohl die Wirtschaft wächst?

Der Aufschwung in Deutschland kommt nicht bei den Menschen an, resümierte eine Studie des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung erst vor wenigen Wochen. Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellte fest, dass die Einkommens-Mittelschicht schrumpft: Zählten im Jahre 2000 noch 62 Prozent der Menschen in Deutschland dazu, waren es 2006 nur noch 54 Prozent. Der gleiche Trend ist in den USA schon lange bekannt.

Unbemerktes Wirtschaftswachstum

Mann vor Laptop, hält sich Hand an den Kopf (Quelle: bilderbox)
Manager: Viel Stress - zu viel Geld?Bild: bilderbox

Das wirft ein Problem auf, für das Ökonomen und Sozialwissenschaftler im Augenblick keine rechte Handhabe finden: Obwohl die Wirtschaft wächst, nimmt die Mehrheit der Menschen eine entsprechende Verbesserung ihrer persönlichen Umstände kaum oder gar nicht wahr. In anderen Worten: Das Wirtschaftswachstum verliert als bislang dominante Kenngröße für das wirtschaftliche Wohlergehen einer Gesellschaft an Bedeutung. Gleichwohl ist die Einkommensungleichheit als eine neue Bezugsgröße für diese Debatte noch nicht konsensfähig. Der Begriff ist zu widersprüchlich.

Das gilt besonders auf internationaler Ebene: Betrachtet man landesdurchschnittliche Einkommen, so ist die Kluft zwischen Armen und Topverdienern sogar gesunken. Das liegt vor allem an stark steigenden Durchschnittlöhnen in Ländern wie Indien und China. Für Erich Gundlach vom Kieler Institut für Weltwirtschaft ist das eine Folge einer zunehmenden Integration der Weltwirtschaft. "Damit einher geht jedoch eine wachsende Ungleichheit innerhalb der Länder", sagt er.

Kluft zwischen Arm und Reich immer größer

Mann auf Straße bettelt, Passanten mit Geschäftskoffern laufen im Vordergrund (Quelle: AP)
Die Kluft zwischen Arm und Reich wächstBild: AP

Innerhalb Chinas hat sich die Einkommensungleichheit im letzten Vierteljahrhundert verdoppelt. Trotzdem habe das Land im gleichen Zeitraum eine halbe Milliarde Menschen aus der extremen Armut geholt, erläutert Danny Quah, Direktor des Fachbereichs Wirtschaft an der London School of Economics. "Alleine dafür sollte man China applaudieren." Heruntergebrochen auf den Einzelnen "verdichten sich ebenfalls die Hinweise auf eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich", sagt Quah. Ein Prozent der Weltbevölkerung konsumiert soviel wie 57 Prozent der ärmsten Menschen. "Das stellt jede Ungleichverteilung innerhalb einzelner Länder völlig in den Schatten. Dabei bewegen sich die obersten 0,01 Prozent – die Superreichen – immer mehr vom Rest der Einkommensverteilung weg", sagt Quah.

Genaue, aktuelle Daten zu den Einkommen innerhalb einzelner Länder sind häufig Mangelware. Das erschwert eine umfassende und akkurate Bestandsaufnahme des Problems wirtschaftlicher Ungleichheit. Kein Grund es zu ignorieren – sondern ganz das Gegenteil, mahnten die Weltbank und mehrere UN-Organisationen bereits im September 2005.

"Dennoch ist das Wachstum des Bruttosozialprodukts immer noch der beste Indikator den wir haben, wenn es um das wirtschaftliche Wohl einer Gesellschaft geht", sagt Ökonom Gundlach. Dass die Wohlstandsgewinne ausreichen, um die Verlierer zu kompensieren und damit die Ungleichheit zu verringern, stehe außer Frage, gibt er sich überzeugt. "Doch wie diese Umverteilung geschehen soll, ist eine der großen Herausforderungen."

Ungleichheit bald wichtiger als Wachstum?

Ungleichheit bleibt ein Konzept, dessen wirtschaftliche Bedeutung nicht eindeutig fassbar ist. Dennoch kann es das volkswirtschaftliche Geschehen mittelbar drastisch beeinflussen: "Eine ähnlich starke Ungleichverteilung von Reichtum haben wir nur 1928 beobachtet – das Jahr vor dem großen Börsencrash", zitiert die "New York Times" einen Wirtschaftswissenschaftler zu den Rekord-Zahlungen an der Wall Street.

Der Historiker Herfried Münkler geht noch weiter, wenn er schreibt, dass "potenzieller Reichtum" ein viel wichtigerer Grund für gewaltsame Konflikte sei, als "definitive Armut". Wenn dies zutrifft, dann ist wirtschaftliche Ungleichheit volkswirtschaftlich relevant: Eine Gesellschaft, die über die astronomischen Einkünfte ihrer Eliten in unkontrollierbaren Streit gerät, stellt damit im ungünstigsten Fall ihre eigene wirtschaftliche Grundlage in Frage.

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