1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

100 Jahre deutsch-afghanische Beziehungen

Waslat Hasrat-Nazimi31. August 2015

Deutschlands Einsatz in Afghanistan hat eine lange Tradition. Lange vor dem Krieg gegen Terror waren beide Länder freundschaftlich verbunden. Symbol für diese Freundschaft ist die Amani-Schule in Kabul.

https://p.dw.com/p/1GOUJ
Amani Schule in Kabul Außenansichtn (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Blick auf den Schulhof der Amani-Schule in Kabul. Eine "Oberrealschule" ist es, so steht es auf dem Schild. Und sowohl die Bezeichnung als auch die Flagge machen deutlich, dass Deutschland an dieser Schule eine besondere Rolle im Klassenzimmer spielt. Deutsch ist hier Unterrichtsfach. Und beliebt bei den afghanischen Schülern. "Sie haben großes Interesse, die deutsche Sprache zu erlernen", sagt Mathelehrer Sayed Muqim. "Ich hoffe, dass einige von ihnen Stipendien für Deutschland erhalten, um mit der deutschen Technik und dem deutschen Bildungssystem vertraut zu werden und das Erlernte auch in Afghanistan umzusetzen."

Die "Königliche Amani-Oberrealschule" nahm ihren Unterricht erstmals am 15. April 1924 auf. Mit Hilfe Deutschlands wurde sie aufgebaut, von Anfang an unterrichteten auch deutsche Lehrer Fächer wie Physik, Chemie und Biologie in Kabul. Ein Abschluss an dieser Schule erlaubte es afghanische Abiturienten, ein Studium in Deutschland aufzunehmen. Mehrere afghanische Politiker und Ingenieure sind in der Folgezeit aus Deutschland zurückgekehrt, um einen Beitrag für ihr Land zu leisten. Die Schule war Teil eines großen Reformprojekts des damaligen Königs Amanullah Khan. Seine Vision war ein modernes und fortschrittliches Afghanistan. In den 20er Jahren baute Amanullah Khan vor allem auf Deutschland, um diesen Traum wahr werden zu lassen.

König Amanullah Khan in Uniform (Foto: gemeinfrei)
König Amanullah Khan betrieb den Bau der nach ihm benannten deutschen Schule in KabulBild: gemeinfrei

Kontaktanbahnung im Ersten Weltkrieg

Die ersten Kontakte zwischen den beiden Ländern gehen auf das Jahr 1915 zurück. Damals im August gelangte die Niedermayer-Hentig-Expedition bis nach Kabul, um den damals herrschenden Emir Habibullah im Ersten Weltkrieg auf die Seite der Deutschen zu ziehen. Obwohl Habibullah sich trotz Waffenlieferungen für die Neutralität entschied, konnte sich Deutschland große Sympathien erwerben. Damit war der Grundstein für freundschaftliche und diplomatische Beziehungen gelegt. Als der Sohn Habibullahs, Amanullah Khan, an die Macht kam, gründete er 1923 die "Deutsch-Orientalische Handelsgesellschaft AG". Kurz darauf folgte der Bau der Amani-Schule, die nach ihm benannt wurde.

Die 20er Jahre werden von vielen Afghanen als "goldene Jahre" bezeichnet. Afghanistan hatte mit Deutschland einen Freundschaftsvertrag geschlossen und tauschte Gesandte aus. Im ganzen Land wurden von deutscher Seite Großprojekte umgesetzt und rund 200 Experten entsandt. Das Straßennetz wurde erweitert, Wasserkanäle und Talsperren gebaut und Telegraphenleitungen gelegt. Den Höhepunkt setzte schließlich der Besuchs Amanullah Khans beim Reichspräsidenten Paul von Hindenburg in Berlin.

Amanahullah im Wagen neben Reichspräsident Hindenburg in Berlin 1928 (Foto: Bundesarchiv)
Amanahullah neben Reichspräsident Hindenburg in Berlin 1928Bild: CC-BY-SA-Bundesarchiv

Alle Wirren überdauert

Amanullah Khans Modernisierungsmaßnahmen wurden jedoch nicht von allen Afghanen geschätzt. Die ländliche Bevölkerung sah sich in ihren Traditionen und Sitten verletzt. Durch einen Aufstand wurde Amanullah gestürzt. Aber die deutsch-afghanischen Beziehungen erwiesen sich als dauerhaft, auch unter den folgenden Königen Mohammad Nadir Sah und seinem Sohn und Nachfolger Zahir Shah. Die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder florierten. Große Unternehmen wie Siemens, IG-Farben oder das Medizinhaus Hartmann bauten Fabriken, an die sich die Afghanen bis heute erinnern.

Auch unter den Nationalsozialisten blieben Afghanistan und Deutschland verbunden, so wurde eine Fluglinie von Berlin nach Kabul eingerichtet. Hitler versprach sich in Afghanistan eine Aufstandsbewegung gegen Britisch-Indien. Sahir Shah jedoch blieb neutral. Einen massiven Anstieg in der Entwicklungshilfe erlebte Afghanistan nach 1945, als es einen regen Austausch zwischen Staatsoberhäuptern beider Länder gab. Besonders der Bildungssektor profitierte: Die Universität Kabul gründete 1962 Partnerschaften mit den Universitäten in Köln, Bonn und Bochum.

Medizin Studienbücher für Afghanistan (Foto: DAAD)
Zusammenarbeit im Hochschulbereich - hier Lehrbücher für Medizinstudenten - ist ein Schwerpunkt des deutschen Engagements in AfghanistanBild: DAAD

Zäsur durch Sowjet- und Taliban-Intervention

Die erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit sollte aber ein jähes Ende finden, als 1979 sowjetische Truppen in Kabul einmarschierten. Es begann ein brutaler Bürgerkrieg, der Tausende von Toten forderte. Millionen von Flüchtlingen wanderten in den Iran oder nach Pakistan aus. Die reiche Elite des Landes setzte sich nach Deutschland und in die USA ab. Die Amani-Schule trug schwere Schäden davon, erinnert sich Khalilullah Hoshmand, einer der Lehrer. "Die Schule wurde bombardiert und geplündert. Selbst die Lampen unter der Decke unserer acht Meter hohen Turnhalle wurden herausgeschraubt". Von den Mudschaheddin wurde das Gebäude als Militäranlage genutzt. Mit dem Einzug der Taliban gab auch wieder Unterricht, aber die deutschen Lehrer waren fort.

Zerstörte Hausfassaden und Straßenverkehr in Kabul (Foto: picture-alliance/ ZB)
Noch lange nach dem Bürgerkrieg war Kabul von Zerstörungen gezeichnetBild: picture-alliance/ ZB

Bundeswehreinsatz

Mit dem Sturz der Taliban knüpfte Deutschland an die guten Beziehungen wieder an. Die erste Afghanistan-Konferenz fand in Bonn auf dem Petersberg statt. 2002 begann Deutschland mit der internationalen Gemeinschaft die Wiederaufbauarbeiten in Afghanistan. Im Rahmen der ISAF Mission "Operation Enduring Freedom" entsandte Deutschland 3900 Bundeswehrsoldaten, um für Sicherheit vor allem im Norden des Landes zu sorgen. Die Soldaten sollten nicht zuletzt die Entwicklungshilfeprojekte sichern.

Allerdings hatte die Aufstandsbekämpfung Priorität: "Es war auf nationaler wie auf internationaler Ebene so, dass der Militäranteil an den Finanzen bei über 90 Prozent lag", erklärt Afghanistanexperte Conrad Schetter vom Internationales Konversionszentrum Bonn (BICC). Nur zehn Prozent der Hilfsgelder seien in den zivilen Wiederaufbau gesteckt worden, so Schetter. Insgesamt gab Deutschland Ende 2001 bis Mitte 2014 zehn Milliarden Euro für die Unterstützung Afghanistan aus.

Bundeswehrsoldat mit afghanischen Kindern (Foto: AFP/Getty Images)
Spagat der Bundeswehr zwischen Aufstandsbekämpfung und ziviler AufbauhilfeBild: AFP/Getty Images/J. Eisele

Symbol für dringend benötigte Bildung

Im Zuge der zivilen Wiederaufbauprojekte sollte auch die Amani-Schule wiederaufgebaut werden. 2005 war er es dann soweit: Außenminister Joschka Fischer eröffnete die Schule. Es wurden aber seitdem noch keine neuen Schüler nach Deutschland geschickt. Es fehle vor allem an qualifizierten Lehrern, sagt der Direktor der Schule, Mohammad Alem Omed. "Bei einem Treffen mit dem deutschen Entwicklungsminister haben wir als Ziel genannt, den Stand von vor 40 Jahren zu erreichen", sagt Omed gegenüber der DW. "Der Minister hat mich verblüfft angesehen und ich habe ihm erklärt, dass wir vor 40 Jahren deutsche Lehrer in mindestens sechs Fächern hatten, heute nicht." Omed begrüßt das Engagement der Bundesregierung und ihre Zusage, weitere Finanzmittel für den Ausbau der Schule zur Verfügung zu stellen. Unter anderem sollen neue Labore und ein Wohnheim gebaut werden.

Ungeachtet solcher Projekte wurde das zivile Engagement Deutschlands parallel zum Abzug der Bundeswehr stark eingeschränkt. Dass noch sehr viel zu tun wäre, zeigt sich zum Beispiel an der Mädchenbildung: Trotz aller Erfolge können laut UN immer noch etwa 90 Prozent der Mädchen und Frauen nicht lesen und schreiben. Etwa 80 Prozent aller Frauen haben mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt erlebt.

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan endete nach über einem Jahrzehnt. 4.200 Soldaten waren bis vor kurzem noch im Land stationiert. Nun sind es noch etwa 850 für den auf zwei Jahre angelegten Folgeeinsatz "Operation Resolute Support". Sie bilden derzeit afghanische Sicherheitskräfte aus.