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Tätowierstube in Hamburg

5. Juli 2010

Jetzt also auch eine tätowierte First Lady. Längst sind Tattos ein Mode-Trend. In Deutschlands ältester Tätowierstube auf St. Pauli freut man sich darüber, ärgert sich aber oft über die Einfallslosigkeit der Kunden.

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Der Laden auf dem Hamburger Berg, einer Nebenstraße der Reeperbahn, nennt sich ganz einfach "Älteste Tätowierstube in Deutschland". Drinnen sieht es ein bisschen aus wie beim Zahnarzt: Zwei verstellbare Liegesessel und Arbeitslampen an Schwenkarmen, Rollhocker, Metallschränkchen. An den Wänden hängen Rahmen mit Motivvorlagen: Von Bambi bis Totenkopf, von der Rose bis zum quadratischen Wappen des Hamburger Sportvereins. Anja lässt sich heute ihre erste Tätowierung machen: "Das sollen die Anfangsbuchstaben meiner Kinder werden, und dazu zwei Sterne für die beiden." Zum großen Ereignis hat die blonde Mittdreißigerin ihren Mann und Freunde mitgebracht.

"Wenn ich schreiben wollte, wäre ich Schriftsteller geworden"

Tätowiernadel Foto: Dirk Schneider
Aua! Tätowierer kennen kein PardonBild: DW

Günter – auf dem Kiez von St. Pauli gehört Duzen dazu – ist der Inhaber des Ladens. Er tätowiert hier seit 30 Jahren und kennt diese Kundenwünsche zur Genüge: "Ein Name, ein paar Sternchen, irgendwelche Schriften – das wollen 85 Prozent unserer Kunden. Wir können das, ehrlich gesagt, nicht mehr hören. Wenn ich schreiben wollte, wäre ich Schriftsteller geworden", grummelt der kräftige Mann um die 50 in seinen grauen Bart. Aber auch das ist typisch Kiez: raue Schale, freundlicher Kern. Ernst Günter Götz, so heißt der gebürtige Bad Kissinger mit vollem Namen, behandelt seine Kunden gut.

Auch Gletschermumie Ötzi ist tätowiert

Die einzige Tätowierung, die man an Günters Körper sieht, ragt unter dem Ärmel seines schwarzen T-Shirts hervor. Eine besondere Bedeutung haben die Bilder auf seinem Körper für ihn nicht: "Früher hatten Tätowierungen etwas mit Stammeszugehörigkeit zu tun. Sie haben den Menschen Ansehen verliehen, das ist ja heute in Polynesien immer noch so", sagt er. Tätowierungen gibt es wahrscheinlich so lange wie die menschliche Kultur. Auch die Gletschermumie Ötzi, deren Alter auf über 5000 Jahre geschätzt wird, trägt Bilder auf der Haut. Ihre Bedeutungen können so vielfältig sein wie die anderer Bilder auch. In unserer Gesellschaft, meint Günter, seien Tätowierungen aber nur noch eine Verzierung. Gerade deshalb müssten sie gut gemacht sein: haltbar, dem Körper individuell angepasst und am besten nicht zu klein: "Die Haut lebt und verändert sich und mit ihr das Bild. Je kleiner die Tätowierung ausfällt, desto schneller wird sie hässlich."

Frauen und Männer lassen sich tätowieren

Tätowierer bei der Arbeit Foto: Dirk Schneider
Ernst Günter Götz weiß, wie man Haut zu Markte trägtBild: DW

Schmücken kann sich mit einer Tätowierung jeder: Schöne Menschen, weniger schöne Menschen, jung, alt, der Bauarbeiter wie die Gattin des Bundespräsidenten. Günter gefällt es, dass die neue First Lady Bettina Wulff tätowiert ist: "Ich finde es schön, wenn sie zu ihrer Tätowierung steht und sie auch zeigt. Unsere Gesellschaft sollte da ruhig mehr Toleranz beweisen." Von Kaiserin Sissi von Österreich bis zur Musikerin Janis Joplin gab es schon viele berühmte Frauen, die tätowiert waren. Und zu Günter in die Tätowierstube kommen längst genauso viele Frauen wie Männer, oft sogar mehr. Vorbehalte gegenüber Tätowierungen findet Günther übrigens typisch deutsch: "Wir wissen, dass Prinz Philipp in England auch tätowiert ist. Nur unter Hitler war das Tätowieren verboten, das steckt noch bei uns in den Köpfen. Geh mal nach England, da sind die Leute im Unterhaus tätowiert. Und in Amerika sitzen im Weißen Haus durchaus Tätowierte."

Leiden für's Tattoo

Inzwischen hat Günthers Mitarbeiter Sebi für Anja ein Motiv entworfen und den Entwurf auf den Körper aufgetragen. Jetzt sticht die Nadel die Tinte in die Haut, etwa einen halben Millimeter tief, 120 Stiche in der Sekunde. "Alles klar, Mäuschen?", fragt Anjas Freundin aus sicherer Entfernung. Aber Mäuschen macht kein sehr entspanntes Gesicht. Sie hat sich den seitlichen Bauch ausgesucht, eine empfindliche Stelle, und so eine Sitzung dauert durchaus ein paar Stunden. Cheftätowierer Günther kennt das schon und scherzt mit Anjas schaulustigem Anhang: "Ihr wollt sie ja nur leiden sehen! Ein kleiner Tipp: 50 Euro auf die Hand, und wir stechen ein bisschen tiefer!"

Autor: Dirk Schneider

Redaktion: Sabine Oelze