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15 Quadratmeter für acht Arbeiter

Florian Bauer6. Juni 2014

Seit Monaten wird über die skandalösen Lebensbedingungen der Gastarbeiter in Katar diskutiert und die Fußball-WM 2022 in dem Emirat in Frage gestellt. Florian Bauer hat sich vor Ort ein Bild gemacht.

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Luftaufnahme von einer Großbaustelle in Doha in Katar. Foto: dpa-pa
Bild: picture-alliance/Andreas Gebert

Al Wakrah, 20 Kilometer südlich der katarischen Hauptstadt Doha. Es ist die erste Baustelle der Fußball-WM 2022. Das Stadion Al Wakrah soll einmal 40.000 Plätze fassen, 2018 soll es fertig sein. Nach der WM 2022 wird die Hälfte der Plätze wieder abgebaut und auf Katars Kosten in Entwicklungsländer verschifft, so ist es geplant. Katar hat an alles gedacht bei der Bewerbung für die FIFA-WM 2022. Nur nicht an die vielen Negativmeldungen. Mögliche Bestechung bei der Bewerbung, Tote auf Baustellen in Katar oder die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter in Katar.

Ein Land erschafft sich neu

Anders als auf den vielen Nicht-WM-Baustellen in der Hauptstadt Doha ist in Al Wakrah noch niemand gestorben. Die WM-Baustelle gibt es allerdings auch erst seit ein paar Monaten. Mit dem Stadionbau habe man noch gar nicht richtig begonnen, sagt Baustellenleiter David Carson Kerr "Wir haben gerade mal das Fundament ausgehoben."

20 Kilometer nördlich, in Doha, sieht man, wie sich ein Land neu erschafft. Bis zur WM 2022 will Katar, das reichste Land der Erde, bis zu 200 Milliarden Dollar investieren, in Straßen, Hotels, ein komplett neues Nahverkehrssystem. Überall in Doha wird gebaut, wachsen neue Wolkenkratzer empor, entsteht gar eine neue Innenstadt. Und alles ist nur möglich durch die Gastarbeiter. Rund zwei Millionen Einwohner hat Katar, eineinhalb Millionen sind Arbeiter. Sie kommen aus Nepal, den Philippinen, Indien oder Afrika. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass die Gastarbeiter oft schlecht oder gar nicht bezahlt würden, bei miserablen Lebensbedingungen.

Wohnung von Gastarbeitern in Katar. Foto: dpa-pa/Amnesty International
Menschenrechtsorganisationen beklagen haarsträubende Lebensbedingungen der Gastarbeiter in KatarBild: Amnesty International/picture-alliance/dpa

Reformen werden heftiger eingefordert

Andreas Bleicher kennt das Land und den Fußball wie kaum ein anderer. Jahrelang hat er in Katar gelebt und die WM-Organisatoren beraten. "Die Leute haben schon eingesehen, dass bestimmte Dinge verbessert werden müssen", sagt Bleicher. "Es ist natürlich ein sehr junges Land. Die Veränderung hat eigentlich erst vor 20 Jahren eingesetzt und seitdem ist schon unheimlich viel passiert. Aber es gibt eben immer noch Herausforderungen. Und die werden durch die Fußball-WM jetzt deutlicher angesprochen und die Veränderungen auch heftiger eingefordert." Das erscheint auch nötig. Denn die Realität der Arbeiter jenseits der Baustellen im Stadtzentrum kennen nur wenige. Nach Recherchen von "WDR Sport Inside" und des "ARD-Morgenmagazins" ist die Situation der Gastarbeiter in Katar weiterhin äußerst prekär.

Eine Küche für 42 Mann

Man folgt an einem Nachmittag den hunderten Arbeiter-Bussen. Sie bringen die Arbeiter in ihre Unterkünfte, ihre Camps. Am Stadtrand von Doha stehen Tausende mehr oder weniger heruntergekommene Häuser. Wächter sieht man überraschenderweise nicht in jedem Gebäude. Wenn man in die unbewachten hinein geht, eröffnet sich Erschreckendes: Die Küche, eine Zumutung, Schimmel und Dreck überall. Ein paar Arbeiter kochen sich ihr Abendessen. Sie kommen aus Nepal und Bangladesch. Eine einzige Küche gebe es für 42 Menschen in ihrem Camp, sagen sie. Sie versuchen sauber zu halten, was sauber zu halten geht.

Keine Alternative

Berührungsängste hat keiner hier, sie zeigen einem ihre Zimmer. Acht Personen leben auf 15 Quadratmetern. Und zwar sechs Tage die Woche, zwei Jahre am Stück ohne Urlaub. Ohne Zuhause. Das Bett ist Schrank, Sofa, Vorratskammer - ist das Leben. Ein nepalesischer Arbeiter sagt: "Schlimm ist das, aber zu Hause in Nepal gibt es eben keine Jobs", sagt ein nepalesischer Arbeiter. "Wie soll ich sonst meine Familie ernähren?" Zwölf Stunden am Tag arbeiten sie, normal in Katar, dazu drei Stunden Fahrt, für nicht mal 150 Euro im Monat. Das Durchschnittseinkommen in Katar liegt bei etwa 8.000 Dollar. Und ausreisen dürfen die meisten nur, wenn ihr Arbeitgeber zustimmt.

Beleuchtete Großbaustelle in Doha in Katar. Foto: dpa-pa
In Katar wird rund um die Uhr gebautBild: picture alliance/ZB

Diskussionen gehen weiter

Zurück in der Glitzerwelt, im reichen Katar, im Zentrum von Doha mit seiner bei Nacht bunt funkelnden Skyline. In einem mit Brokattapete verzierten Büro sitzt Najeeb Al Nauimi. Er ist bekannt in Katar, war einst Justizminister, verteidigte später Saddam Hussein, derzeit einen katarischen Dichter. Selbst er prangert die Missstände im Land an und sagt: "Wir brauchen Reformen. Die Arbeiter hier müssen geschützt werden und dürfen nicht ausgebeutet werden. Und sie sollen gehen können, wann immer sie gehen wollen." Vor ein paar Wochen hat die Regierung Katars angekündigt, das Arbeitsrecht zu reformieren. Wann, ist unklar. Auf eine Interview-Anfrage der ARD reagierte das Arbeitsministerium nicht. Es wird also weiter diskutiert werden. Über Katar, die Arbeitsbedingungen und die WM 2022.