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19.11.2010: Regen über Mekka

19. November 2010

DW-Reporter Ali Almakhlafi nimmt Abschied von Mekka – im Regen. Zum guten Schluss philosophiert er mit einem deutschen Muslim über Vorurteile und Aberglauben im Islam.

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Wolkenbruch und Hagelschauer in Mekka Rechte: DW/ Ali Almakhlafi
Wolkenbruch und HagelschauerBild: DW

Der Hadsch ist vorbei und ich bin total erschöpft. Wie die meisten hier - einschließlich Michael. Michael ist ein konvertierter Muslim aus Deutschland. Ich bin ihm erstmals kurz vor meiner Abreise in einer Kölner Moschee begegnet und habe ihn zum Ende des Hadsch nun tatsächlich in Mekka wieder getroffen. Was trotz Handy und Facebook nicht gerade einfach zu arrangieren war - unter mehr als 2,5 Millionen Pilgern! „Ich bin völlig überwältigt von der Pilgerfahrt“, sagt Michael. Die Begeisterung sieht man ihm genauso an wie die Strapazen, die er hinter sich hat. Und genau wie ich leidet auch Michael unter einer Erkältung. Kein Wunder: Wer tagsüber in schier gigantischen Menschenmengen die Heiligen Stätten des Islam besucht, mal eine Nacht im Zelt und mal im Hotel mit extrem herunter kühlender Klima-Anlage übernachtet, muss damit wohl rechnen.

Zwischen Spiritualität und Camping

Vorher: Voller Erwartung - Michael Finkenbrink in Köln Rechte: DW/Ali Almakhlafi
Vorher: Voller Erwartung - Michael Finkenbrink in KölnBild: DW

Michael heißt mit vollem Namen Michael Finkenbrink. Wir haben nur wenige Minuten für unser Interview. Dann fahren wir mit unterschiedliche Busse nach Dschidda Richtung Flughafen. „Die sanitären Anlagen sind hier völlig unter Standard“, schimpft Michael ein wenig. Aber drei bis vier Tage lang könne man das schon aushalten. „Für mich ist es völlig okay, länger auf einem sandigen Teppich zu sitzen und die Nacht auf einer Matte zu schlafen.“ Das sei kaum anders als Camping.

Und der Erkenntnisgewinn? Die Spiritualität? Seine Erlebnisse? „Ich habe hier sehr viele muslimische Brüder und Schwestern kennen gelernt, die ganz genau wissen, was sie tun.“ Michael schwärmt davon, wie viele andere „gebürtige“ Muslime ihn hier unterstützt haben: „Ich habe noch nie in meinem Leben systematischen islamischen Religionsunterricht genossen. Aber was ich hier erleben durfte, hat vieles ersetzt.“

Nachher: Erschöpft, aber glücklich - Michael Finkenbrink in Mekka Rechte: DW/Ali Almaklafi
Nachher: Erschöpft, aber glücklich - Michael Finkenbrink in MekkaBild: DW

Schon längst ist Michael aber so weit im Glauben gefestigt, dass es ihn richtig nervt, wenn Rituale und Glaubensinhalte nicht schlüssig aus dem Koran oder anderen Quellen des Islam abgeleitet werden können. „Es gibt auch unter den Gläubigen viele Unwissende“, klagt er. Womit er zum Beispiel den Aberglauben meint, der schwarze Stein in Mekka werde von einem Geist bewohnt: „Das sind Äußerlichkeiten, die nichts mit Gott zu tun haben!“ Gestört hat ihn auch der Gestank und der viele Müll, den die Pilgermassen an vielen Orten hinterlassen haben. „Das ist überhaupt nicht zu ertragen“, sagt er und schüttelt den Kopf: „Gerade die Sauberkeit ist doch sehr wichtig im Islam!“

Ernste Botschaften - fromme Wünsche

Michael hat auch eine Botschaft an die Leser meines Tagebuchs - insbesondere an die in nicht-muslimischen Ländern wie Deutschland. Er diktiert sie mir präzise ins Mikrofon: „Seht nicht den Schmutz hier – seht die Hingabe der Leute! Diese Hingabe, das ist der Islam! Sich unter Gottes Willen unterzuordnen! Seht das bitte nicht als Bedrohung!“ Aber Michael weiß natürlich genauso wie ich, dass dies wohl ein frommer Wunsch bleiben wird, solange der Islam immer wieder von radikalen Kräften politisch missbraucht wird - und solange dadurch eine ganze Religion ganz automatisch unter Generalverdacht gerät.

Wie viele Runden muss man drehen?

Nach dem Gespräch renne ich im strömenden Regen zu meinem Bus. Immerhin, das macht die Straßen wieder etwas sauberer. Ein Mitbewohner ist so nett und hat schon einmal meine Koffer zusammengepackt. Zitternd und frierend erreiche ich den Bus, der Fahrer wartet schon. Direkt auf meinem Nebenplatz ein freundlicher Pilger mit einem klangvollen Namen: José Ruy Gandra – ein Brasilianer italienischer Herkunft.

Der Mann am Fenster ist José, ein Brasilianer italienischer Herkunft Rechte: DW/Ali Almakhlafi
Der Mann am Fenster ist José, ein Brasilianer talienischer HerkunftBild: DW

Mit José verliere ich mich in einer komplexen Debatte darüber, ob es für Pilger Pflicht ist, die siebenmalige Umrundung der Kaaba an mehreren Tagen zu wiederholen. In solchen, scheinbar nebensächlichen Punkten gibt es hier immer wieder große Unsicherheit und teilweise auch große Unstimmigkeiten. Ein Gelehrter hatte José auf diese Frage ein klares „Nein“ entgegengeworfen. José jedoch wollte sich das Ritual nicht nehmen lassen - obwohl ihn das einigen Stress gekostet hat: noch mal hin zu den Bussen und noch mal zur Moschee…

José befragt einen Gelerten in Mekka nach Hadsch-Ritualen Rechte: DW/Ali Almakhlafi
José befragt einen Gelerten in Mekka nach Hadsch-RitualenBild: DW

Auch ich habe die Umrundung mehrmals gemacht. Allein schon aus journalistischer Neugierde. Und erinnere mich an die Worte eines Pilgers, der ziemlich abgehetzt wirkte und dies lächelnd mit den Worten kommentierte: „Je anstrengender das ist, desto mehr Sünden werden auch vergeben.“ Auch so ein Aberglaube? Vielleicht, aber das ist mir egal. Was andere glauben, sollte man prinzipiell immer respektieren
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Autor: Ali Almakhlafi, Mekka
Redaktion: Rainer Sollich