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Politik

1979 - Schicksalsjahr für den Nahen Osten

11. Februar 2019

1979 war ein Schicksalsjahr für den Nahen Osten - nicht nur wegen der iranischen Revolution. Auch anderswo zeigte sich der politische Islam so rigoros wie nie zuvor. Die Folgen prägen die Region bis heute.

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Teheran  1978 Iraner demonstrieren für Ajatollah Khomeini
Bild: picture-alliance/dpa/UPI

Die Bilder hatten Anmut. Wie er da saß unter seinem Apfelbaum, umringt von seinen Anhängern: das Bild eines Mystikers fast, versunken und ganz den spirituellen Wahrheiten auf der Spur.

Die knapp vier Monate, die der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini vor seiner Abreise 1979 in das revolutionäre Teheran in dem Örtchen Neauphle-le-Chateau verbrachte, hinterließen bei den Franzosen einen gemischten Eindruck. Viele waren beunruhigt. Andere dagegen sahen ihn als Hoffnungsgestalt. Der französische Philosoph Michel Foucault etwa, damals ein international bekannter Denker, pries Khomeini als Mann, der Großes vorhabe: "Das ist womöglich der erste große Aufstand gegen die globalen Systeme, die modernste und verrückteste Form der Revolte."

Frankreich Ayatollah Khomeini in Neauphle-Le-Chateau
Trügerische Idylle: Ayatollah Khomeini im Garten seines Hauses in FrankreichBild: Getty Images/AFP/J. Robine

Foucault entging die diktatorische Veranlagung des Predigers, ein Umstand, der ihm den Ruf politischer Naivität einbrachte. Eines aber bewahrheitete sich: Khomeini zettelte eine Revolution von geradezu weltumspannender Bedeutung an. Nirgends verstand man das besser als im Iran und seinen Nachbarstaaten wie überhaupt im Nahen Osten.

"5000 Jahren Entbehrung, Ungerechtigkeit, Diskriminierung"

Der revolutionäre Islam in seiner schiitischen Variante, den Khomeini predigte, leuchtete vielen Iranern unmittelbar ein. Schah Mohammad Reza Pahlavi, gestürzt im Januar 1979, wenige Wochen vor Khomeinis Rückkehr aus dem Exil, hatte dem Land 40 Jahre mit autoritärer Gewalt vorgestanden. Seine Macht hatte er genutzt, um aus dem Iran einen westlich geprägten Staat zu machen, ein Projekt das er energisch vorantrieb, ohne Rücksicht auf Traditionen und Menschenrechte gleichermaßen.

Khomeini stand in den Augen sehr vieler Iraner für das entgegengesetzte Modell: für eine Gesellschaft, die sich von den religiösen Prinzipien leiten lassen. Durch sie würde auch die von vielen vermisste soziale Gerechtigkeit wieder hergestellt. Das ließ viele seiner Anhäger hoffen. Währned der Schah die 2500 Jahre der Monarchie pries, sprach etwa der religiös motivierte Akivist und Alia Schariarti von '5000 Jahren Entbehrung, Ungerechtigkeit, Klassendiskriminierung und Unterdrückung'", so der Historiker Michael Axworthy in seiner Geschichte der iranischen Revolution.

Geburtsstunde des politischen Islam

1979 sollte zum Durchbruchsjahr für den politischen Islam werden. Die Idee, Religion und Politik zu verknüpfen, hatte es bereits vorher gegeben. Einer der frühen Vorläufer auf schiitischer Seite war Sayyid Muhammed al-Hussaini, genannt Dschamal al-Din al-Afghani, geboren 1838 im iranischen Asadabad. Al-Hussaini gab sich als Sunnit aus, um an der sunnitischen Al-Azhar-Universität in Kairo lehren zu können. "Lasst eure Gleichgültigkeit hinter euch", rief er dort seinen Studenten zu. "Lebt frei und glücklich wie andere Völker - oder sterbt als Märtyrer." Der Gedanke des religiös begründeten Aufstands war in der Welt.

Mekka Besetzung Moschee November 1979
Sturm auf die Große Moschee in Mekka: der Islamistenführer Dschuhaiman al-UtaibiBild: AFP/Getty Images

Seit den 1920er Jahren vor allem von den sunnitischen Muslimbrüdern weiterentwickelt, reifte der Gedanke, um 1979 vollends auf die Weltbühne zu treten. Drei Ereignisse befeuerten ihn: Khomeinis Revolution im Iran; der Angriff von rund 500 radikalen Islamisten auf die Große Moschee von Mekka, geleitet von dem jungen Dschuhaiman al-Utaibi. Und schließlich der Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan, der schließlich zur Entstehung der von den USA aufgerüsteten Taliban führte. Drei Ereignisse, eine Botschaft: Mit dem radikalen Islam als politische Protestbewegung ist ab sofort zu rechnen.

Die Kraft des Islamismus erkannte auch der damalige ägyptische Präsident Anwar al-Sadat. Er suchte die Verständigung mit den Muslimbrüdern und entließ viele ihrer in den Jahren zuvor verhafteten Vertreter aus dem Gefängnis. Bald darauf ging er aber wieder in aller Härte gegen die Islamisten vor. Verhaftet und misshandelt wurde auch Muhammed Islambuli. Dessen Bruder Khaled sollte im Oktober 1981 ein tödliches Attentat auf Sadat ausführen - zum einen aus Protest gegen dessen Versöhnungskurs mit Israel. Aber auch, um die Misshandlung seines Bruders zu rächen.

Brennpunkt Teheran

Der politische Islam war eine wirkmächtige Reaktion auf die Brutalität der arabischen Regimes, der säkularen ebenso wie der religiösen. Ganz offensichtlich war das im Iran: Der Sturz des Schahs, der Sturm auf die US-amerikanische Botschaft und die folgende weit über ein Jahr anhaltende Geiselnahme der Diplomaten. Die schiitischen Revolutionäre forderten die USA offen heraus. Gebannt und voller Sympathie schauten viele Muslime nach Teheran.

Sowjetische Truppen in Afghanistan 1980
Geballte Angriffsmacht: Sowjetische Panzer 1980 in AfghanistanBild: picture alliance/dpa

Das Mullah-Regime schien auf dem Weg, die neue Vorhut der islamischen Welt zu werden. "Die Ausbreitung der Islamischen Revolution und die Verbreitung ihrer Botschaft umfasst auch den Kampf gegen Kommandeure, Führer und die Wurzeln der Heresie, des Kolonialismus, der Ausbeutung und des Polytheismus innerhalb der heiligen göttlichen Erde", verkündeten die iranischen Revolutionsgarden.

Wahhabismus - der Geist aus der Flasche

Für die al-Sauds war das ein Albtraum. Die saudische Herrscherfamilie gab sich zwar auch religiös. Aber sie verabscheute das sozialrevolutionäre Programm, das in Teheran dominierte. Die Folge: Die al-Sauds setzten noch stärker als ohnehin schon auf den konservativen Wahhabismus, die Staatsreligion des Landes.

Infografik Anteil Schiiten in der muslimischen Bevölkerung
Gespaltener Glaube: Sunniten und Schiiten in der islamischen Welt

Über Jahre erließen Saudi Arabiens Kleriker immer neue religiöse Gesetze. Das Ziel: Die Aufmerksamkeit der Gläubigen so sehr auf die rechte Ausübung des Glaubens fokussieren, dass ihnen für Politik - erst recht revolutionäre Politik - weder Zeit noch Energie blieb. Das Modell war und ist erfolgreich: Die wahhabitische Lehre fand Anhänger in der gesamten muslimischen Welt. Die allermeisten sunnitischen Fundamentalisten sind den Weg des Wahhabismus gegangen.

Was die Saudis damals nicht ahnten: Vom hyperkonservativen Islam wahhabitischer Prägung führten einige Wege auch in den Dschihadismus und islamistischen Terrorismus.

Verhärtung und Radikalisierung

Der radikale Islam, schiitischer ebenso wie sunnitischer Prägung, füllt seit 1979 eine Lücke: Die säkularen Regierungen waren entweder gescheitert wie Nasser in Ägypten oder - wie im Irak unter Saddam Hussein oder in Syrien unter Hafiz al-Assad - zu diktatorischen Regimes verkommen. Ihnen gegenüber schien der politische Islam der einzig vertrauenswürdige Weg zur Reform der politischen und sozialen Verhältnisse. Zahllose Muslime wandten sich ihm darum zu.

Iran Militärausstellung in Teheran
Militärischer Hegemon: Waffenausstellung in Teheran, Februar 2019 Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Salemi

Allerdings verhärtete sich auch dieser Weg. Die Kombination von religiöser und politischer Heilslehre ließ für moderate Töne kaum mehr Raum. Das Kommende deuteten die Angriffe auf das World Trade Center und andere amerikanische Einrichtungen am 9. September 2001 an. Noch mehr verhärtete sich der Dschihadismus 2003, als die US-Amerikaner im Irak intervenierten.

Über die Jahre entwickelte sich das Mullah-Regime in Teheran ebenso wie die Herrschaft der al-Saud in Riad zu einer Religionsdiktatur. Zugleich zeigten neue dschihadistische Gruppen wie etwa der "Islamische Staat" (IS) eine in der Region lange nicht, vielleicht nie dagewesene Brutalität.

Doch auch der Iran und Saudi-Arabien, die Führungsmächte der schiitischen und der sunnitischen Muslime, entfremdeten sich immer weiter. Aus Rivalen wurden Feinde, die heute in Syrien und im Jemen Stellvertreterkriege gegeneinander führen. An den 1979 einsetzenden poliitsch-religiösen Verhärtungen leidet die Region bis heute.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika