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Obdachlosen-Zeitungen - ein Erfolgsmodell?

Regina Mennig28. Oktober 2013

Vor 20 Jahren entstanden die ersten Obdachlosen-Zeitungen in Deutschland. Heute verkaufen sie sich besser denn je. Aber das Modell des persönlichen Verkaufs eines Printprodukts gerät von allen Seiten unter Druck.

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Hildegard Denninger, Geschäftsführerin der Straßenzeitung BISS, hält zwei Exemplare der Zeitung hoch (Foto: Peter Kneffel/dpa)
Hildegard Denninger, Geschäftsführerin der Münchner Straßenzeitung BISSBild: picture-alliance/dpa

Sinkende Verkaufszahlen und immer weniger Festanstellungen - was in der Branche der gedruckten Zeitschriften Gang und Gäbe ist, betrifft Magazine wie BISS aus München oder Hinz&Kunzt aus Hamburg nicht. Beide feiern dieses Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum und können zu diesem Anlass verkünden: Immer mehr Kunden greifen zu, immer mehr Arbeitsplätze entstehen. Freuen wollen sich die Verantwortlichen darüber aber nicht zu überschwänglich. "Es ist in gewisser Weise auch ein trauriges Jubiläum, weil es uns immer noch gibt", sagt Gabriele Koch, Marketing-Verantwortliche bei Hinz&Kunzt und Leitungsmitglied im Internationalen Dachverband der Straßenzeitungen, dem INSP (International Network of Street Papers).

Denn die Zeitschriften gehören zu den etwa 30 Straßenzeitungen in Deutschland - produziert dafür, dass Obdachlose sie verkaufen, um ein bisschen Geld zu verdienen, vielleicht den Sprung zu einem geregelten Leben zu schaffen. Wenn mehr Menschen bei dieser Zeitung Arbeit suchen als vor 20 Jahren, heißt das für Gabriele Koch auch: "Wir haben heute mehr Menschen auf der Straße, deutschlandweit, europaweit."

Die Geschichte von Herrn Zimmermann

Hildegard Denninger, die Geschäftsführerin des Münchner Magazins BISS, spricht lieber von den Erfolgsgeschichten, die ihr Straßenmagazin in den 20 Jahren seines Bestehens geschrieben hat: "Zum Beispiel haben wir unseren Herrn Zimmermann, der lange obdachlos war und jetzt Mieter einer Genossenschaftswohnung ist und als Stadtführer und Verkäufer bei BISS arbeitet - fest angestellt seit über zehn Jahren." Sein Leben habe sich vollkommen gewandelt, er sei nun ohne Schulden. "So etwas, das haben wir gemerkt, geht nur mit festen Arbeitsplätzen", sagt Hildegard Denninger.

Von rund 100 BISS-Verkäufern arbeiten inzwischen 41 in Festanstellung und müssen damit eine Mindestanzahl von Zeitschriften an den Mann bringen - die anderen Mitarbeiter entscheiden selbst, wie viele Exemplare sie verkaufen wollen und verdienen an jedem Heft die Hälfte des Verkaufspreises von 2,20 Euro. Auch das Hamburger Hinz&Kunzt hat feste Arbeitsplätze geschaffen, einige ehemalige Verkäufer arbeiten inzwischen im Vertrieb. Beim Inhalt der Magazine mischen die Obdachlosen aber nur wenig mit.

Ein Verteiler der Obdachtlosenzeitung "Motz" hält am 11.03.2013 in Berlin-Schöneberg in einer U-Bahn aktuelle Ausgaben der Zeitung in den Händen (Foto: dpa)
Zeitungsverkauf - Sprungbrett aus der Obdachlosigkeit?Bild: picture-alliance/dpa

Professionelle Journalisten übernehmen das Wort

In der Münchner BISS sind jeweils zwei Seiten für ihre Beiträge reserviert. "Ein Therapeut hat mal gesagt: Die Schreibwerkstatt ersetzt bei manchen Obdachlosen einen Therapeuten, weil sie sich Dinge von der Seele schreiben können", erzählt Geschäftsführerin Hildegard Denninger. "Schreibwerkstatt" heißt eine Rubrik in der Zeitschrift, in der die Obdachlosen selbst zu Wort kommen. Der übrige Inhalt der BISS kommt von hauptamtlich beschäftigten Journalisten. Zu Beginn der 1990er Jahre, als nach dem Vorbild der "Big Issue" in London die deutschen Straßenzeitungen entstanden, sei das noch anders gewesen, berichtet Ronald Lutz, Professor für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Erfurt.

Damals hätten meist Obdachlose unter Anleitung von Sozialarbeitern oder Ehrenamtlichen die Texte verfasst. Im Laufe der Zeit ging die redaktionelle Arbeit in die Hand von professionellen Journalisten über. "Das liegt daran, dass diese Zeitungen auf dem Markt immer mehr unter Konkurrenzdruck gerieten und sich nur diejenigen verkaufen konnten, die professionell gemacht waren", meint Ronald Lutz.

Druck aus der digitalen Welt

Der Druck, mit den anderen Medien Schritt zu halten, geht für die weltweit rund 130 Straßenzeitungen inzwischen vor allem vom Internet aus. Wie das Produkt virtuell angeboten und dabei das Prinzip des persönlichen Verkaufs erhalten bleiben kann - darüber wird im internationalen Dachverband der Straßenzeitungen heftig debattiert. In einigen Ländern laufen bereits Modellversuche, bei denen Straßenverkäufer Apps anbieten, berichtet Gabriele Koch von Hinz&Kunzt. Doch sie sagt auch: "Wir wollen eigentlich überhaupt nicht darauf verzichten, auf der Straße eine gedruckte Ausgabe zu verkaufen. Wir wollen einfach, dass die Verkäufer etwas Attraktives in der Hand haben."

Gabriele Koch, Verantwortliche für Spendenmarketing bei der Straßenzeitung "Hinz&Kunzt" in Hamburg (Foto: privat)
Gabriele Koch von Hinz&KunztBild: Hinz&Kunzt

Die Verkäufer von Straßenzeitungen stoßen aber auch auf ganz handfeste Hürden. Die Betreiber von großen Einkaufszentren, etwa in München, weigerten sich, Verkäufer in ihren Passagen zuzulassen, bemängelt Hildegard Denninger: "Wir haben es schon seit Jahren versucht und versuchen es immer wieder - aber wir werden immer wieder abgeschmettert."