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Massenmord an den Kurden

16. März 2010

Am 16. März jährt sich zum 22. Mal der Giftgasangriff irakischer Kampfflugzeuge auf die kurdische Stadt Halabja. Saddam Husseins Cousin Ali Hassan Al-Majid war für den Massenmord an den Kurden verantwortlich.

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Der Friedhof von Halabja (Foto: AP)
Der Friedhof von Halabja - dort liegen die Opfer des Anschlages von 1988Bild: AP

Auf der nach Spielkarten angeordneten Fahndungsliste der Amerikaner im Irak stand er als "Pik-König" weit oben: Ali Hassan Al-Majid. Der Cousin des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein hatte ihm jahrelang ergeben gedient. Unter anderem als Mitglied des Revolutionsrates, als Geheimdienstchef und als Verteidigungsminister. Al-Majid war Saddams Mann fürs Grobe, besonders wenn es darum ging, Widerstand gegen den Diktator zu zerschlagen. Unter dem neuen System in Bagdad hatte er deswegen nichts Gutes zu erwarten. Viermal hat man ihn zum Tode verurteilt. Im Januar dieses Jahres wurde er dann wegen Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehängt.

Grausames Vorgehen gegen Kurden

"Chemie Ali" nennen sie ihn, weil er rücksichtslos mit Giftgas gegen Saddams wirkliche und vermeintliche Gegner vorging. So schlug er 1991 nach der Befreiung Kuwaits einen Aufstand der Schiiten nieder und wurde hierfür einmal zum Tode verurteilt. Besondere Härte zeigte er jedoch gegen angebliche kurdische Aufständische im Nordirak während der "Anfal-Kampagne" von 1986 bis 1988. Unter dem Befehl von "Chemie Ali" ging die irakische Armee rücksichtslos gegen alle und jeden vor, den sie treffen konnte. Die Opfer waren in erster Linie Zivilisten. Insgesamt sollen bis zu 170 000 Menschen während der Kampagne umgekommen sein, bei der über 200 kurdische Orte angegriffen wurden.

Chemie-Ali im Gerichtssaal (Foto: AP)
Chemie-Ali wurde mittlerweile hingerichtetBild: AP

Giftgas über Halabja

Der grausamste Vorfall ereignete sich in dem kleinen kurdischen Städtchen Halabja unweit der irakisch-iranischen Grenze. Auch in dieser Gegend hatte es bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Kurden und irakischer Armee, aber auch zwischen Irak und Iran, gegeben. Der erste Golfkrieg dauerte noch an. Bagdad behauptete, dass der Iran die Kurden unterstütze. Am 16. März 1988 wurde Halabja Ziel eines ersten irakischen Luftangriffs, der zwei Tage andauerte. Flugzeuge und Hubschrauber warfen Giftgas über dem Ort ab. Bis zu 7000 der insgesamt 40.000 Einwohner starben unmittelbar an den Auswirkungen des Nerven- und Senfgases. Die Straßen waren übersät von erstickten Müttern, die ihre Kinder in Sicherheit bringen wollten, von Alten und Gebrechlichen, die nicht entkommen konnten. Fast zehntausend Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Viele leiden noch heute an den Folgen des Angriffs, besonders an Krebs und Hautkrankheiten.

Die Welt verschließt die Augen

Die Nachrichten aus Halabja drangen erst mit Verspätung an die Öffentlichkeit. Es war noch nicht die Zeit der grenzenlosen Satelliten-Berichterstattung oder des Internet. Zusätzlich behinderte der Iran-Irak-Krieg die freie Berichterstattung. Was weitgehend "unter Ausschluss der Öffentlichkeit" geschehen war, wurde aber auch von ausländischen Politikern totgeschwiegen. Besonders in Washington, wo man zu jener Zeit Saddam Hussein gegen den Iran unterstützte und ihm Zugang zu chemischen Waffen verschaffte. Bagdad setzte diese Waffen mit amerikanischer Duldung während des Golfkrieges gegen iranische Soldaten ein. Im Saddam-Regime muss man es für gegeben betrachtet haben, dass gegen den Feind im Inneren dieselben Waffen eingesetzt werden, die gegen den äußeren Feind "statthaft" waren. Auch in Europa, speziell in Deutschland, schwieg die Politik, denn sie hatte nicht verhindert, dass bis zu 60 Firmen am Aufbau der irakischen Giftgas-Waffenindustrie beteiligt waren. Auch die Justiz verfolgte dies erst viel später.

Kameramänner 1988 in Halabja (Foto: dpa)
Ein regelrechtes Massaker hat 1988 stattgefundenBild: picture-alliance / KPA / TopFoto

Fehlende Beweise

Vertreter humanitärer Organisationen besuchten dennoch kurz nach den Angriffen Halabja und sahen furchtbare Bilder. In Washington versuchte man allerdings, Saddam zu helfen, indem man von einem iranischen Angriff sprach. Es sollte noch Jahre dauern bis diese "Allianz" zerbrach. Als Saddam 1991 Kuwait besetzte, begannen die USA ihm den Erwerb und Bau chemischer Waffen vorzuwerfen. Ein Vorwurf, der sich bis nach dem jüngsten Irak-Krieg hielt, der freilich nicht bewiesen werden konnte. Der aber vielleicht auch nicht bewiesen werden sollte. Denn längst war bekannt, woher Bagdad das Know-how dazu hatte. Aus derselben Quelle, die den Irak jetzt erobert hatte. Vielleicht hätte Ali Hassan Al-Majid mehr Klarheit in die Hintergründe bringen. Er hat sein Wissen mit ins Grab genommen.

Autor: Peter Philipp
Redaktion: Diana Hodali