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Einsatz von der Mücke bis zum Elefanten

13. August 2018

32.000 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten gibt es in Deutschland. Rein theoretisch. Denn fast sechs Prozent der Arten sind ausgestorben. Doch das Bundesamt für Naturschutz versucht zu retten, was geht - seit 25 Jahren.

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Deutschland Naturpark Schöneberger Südgelände
Bild: picture alliance/dpa/B. v. Jutrczka

Auch im Sommer 2018 reden alle über Insekten, nachdem vor einem Jahr alarmierende Zahlen über ihren Rückgang bekannt wurden. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) betont, dass nicht nur die Honig- und die zahlreichen Wildbienen betroffen sind. "Außer den 561 Wildbienen- und Hummelarten gibt es noch andere Gruppen unter den Insekten, die unsere Aufmerksamkeit brauchen", betont Professorin Beate Jessel, Präsidentin des BfN.

Von den Köcherfliegen etwa gibt es 307 Arten: "96 Prozent sind im langfristigen Bestandstrend rückläufig. Diese Entwicklung betrachten wir mit Sorge", sagt Jessel. Köcherfliegen filtrieren das Wasser von Gewässern. Und sie sind eine wichtige Nahrungsquelle für zahlreiche weitere in Gewässern lebende Organismen.

Anwalt der Natur

Das BfN hat viele Köcherfliegenarten als stark gefährdet eingestuft. Als wissenschaftliche Fachbehörde ist das Amt direkt dem Bundesumweltministerium "nachgeordnet" und unterstützt und berät das Ministerium und auch die Bundesregierung.

Prof. Beate Jessel Präsidentin Bundesamtes für Naturschutz Porträt
Vor ihrer Aufgabe beim BfN lehrte Prof. Beate Jessel Landschaftsplanung in Potsdam und München Bild: Karin Jäger

Beispielsweise gibt das BfN die Roten Listen der gefährdeten Arten und Biotoptypen für Deutschland heraus und vertritt das Ministerium bei der Verhandlung internationaler Schutzabkommen. "Als Grundlage für politisches Handeln sind fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse unverzichtbar", sagt Beate Jessel. "Wir verstehen uns dabei auch als Anwalt für die Belange der Natur gegenüber den Interessen anderer Nutzergruppen", fügt die Professorin für Landschaftsentwicklung hinzu. Gemeint sind neben Naturschützern auch Förster, Landwirte, Verkehrsplaner, Tourismusfachleute und Verbraucher. 

Ehrenamt als Basis des Naturschutzes

Deutschlands mächtigste Naturschützerin Jessel spricht von "Wir": Ihr zur Seite stehen Agrarwissenschaftler, Biologen, Forstwirte, Geographen, Juristen und Verwaltungsangestellte. Universitäten und Forschungseinrichtungen aber auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie etwa Naturschutzverbände betreiben Feldforschung im Auftrag des BfN. "Diese NGOs spielen nach meiner Überzeugung eine ganz wichtige Rolle in einem demokratischen Staat.

Diese Rolle ist auch auf Seiten des Bundesumweltministeriums sehr stark akzeptiert", sagt Jessel. Das Ehrenamt sei die Basis des Naturschutzes. Was die Behörden-Leiterin nicht will: "Dass der Naturschutz als Verhinderer wichtiger wirtschaftlicher Vorhaben am Pranger steht." Als Paradebeispiele für Tierarten, die Projekte aufhalten, gelten etwa der Feldhamster oder verschiedene Fledermausarten. Normalerweise seien unprofessionelle Planungen für Verzögerungen und Verteuerungen von Bauvorhaben verantwortlich, sagt Jessel. Naturschutzaspekte seien in solchen Fällen oft nicht frühzeitig und umfassend genug berücksichtigt worden. 

Zäune statt Abschuss

Kontrovers diskutieren Bürger und Politiker auch die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland. Die Spezies war längst ausgerottet. Vor 20 Jahren sind die ersten Wölfe aus Polen in die Lausitz eingewandert. Seither breiten sie sich auch in anderen Bundesländern aus. 

Entlaufene Wölfe im Bayerischen Wald
Wie böse ist der Wolf? Die Rückkehr der ausgerotteten Rasse gibt Anlass zu DiskussionenBild: picture-alliance/dpa/A. Kalmar

Um die Bundesländer beim Wolfsmanagement zu unterstützen, hat das BfN hat die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) eingerichtet. Die DBBW beobachtet und dokumentiert die Anzahl und die Verbreitung der Tiere, die Häufigkeit der Übergriffe auf Nutztiere und die dafür gezahlten Entschädigungen. Sie berät auch die Bundesländer, wie diese mit den Wölfen umgehen sollten. Statt die streng geschützten Tiere zum Abschuss freizugeben, rät das BfN zur Verbesserung des Herdenschutzes. 120 Zentimeter hohe Zäune, die zumindest oben elektrisch geladen und bis zum Boden geschlossen sind, sollten die Raubtiere fernhalten.

Amerikanisches Eichhörnchen
Putzig, aber nicht willkommen: Das Amerikanische Grauhörnchen könnte ansässige Verwandte verdrängen Bild: picture alliance / Hinrich Bäsemann

Auch neu zuwandernde Arten (Neozoen) stehen beim BfN unter Beobachtung - beispielsweise das Nordamerikanische Grauhörnchen. Das breitet sich in England und Italien zunehmend aus. Für die einheimischen Eichhörnchen ist das ein Problem, denn der Einwanderer trägt oft einen für Eichhörnchen potentiell tödlichen Pockenvirus in sich. Daher möchte das BfN verhindern, dass diese Art nach Deutschland einwandert. 

Gebietsfremde Arten im Fokus

Neozoen oder Neophyten (neu eingewanderte Pflanzen) können die heimische Flora und Fauna gefährden. 168 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten hat das BfN als invasiv oder problematisch eingestuft. Sie wurden ausgesetzt, flohen aus Gehegen, kamen als blinde Passagiere mit Schiffen oder Flugzeugen aus anderen Kontinenten: Asiatische Marienkäfer, Waschbären, straußenähnliche Nandus, Amerikanische Ochsenfrösche, Indisches Springkraut. 

Zum Schutz der biologischen Vielfalt sollte das Einbringen gebietsfremder Arten möglichst vermieden werden: "Wir brauchen deshalb differenzierte und artspezifische Handlungskonzepte", sagte BfN-Präsidentin Jessel 2016 bei der Vorstellung eines Management-Handbuchs zum Umgang mit gebietsfremden Arten in Deutschland. 164 Experten hatten daran mitgewirkt, 3600 Maßnahmen zur Vorsorge, Beseitigung, Kontrolle sowie Nutzung oder Entsorgung der Eindringlinge fachlich geprüft. 

Der Wilderei den Nährboden entziehen

Und auch der Elefant fällt in den Zuständigkeitsbereich des BfN. Touristen bringen alle Jahre wieder Stoßzähne der Dickhäuter von Großwildjagden mit. Die Einfuhr von Trophäen ist nur in Ausnahmefällen legal und nur dann, wenn die strengen Bestimmungen des Artenschutzes eingehalten werden. Doch Zollbeamte entdecken auch immer wieder Löwenfelle, Schädel von Eisbären, Krokodilen, Schmuck aus Korallen, Walfischknochen und andere kuriose Präparate, die laut Washingtoner Artenschutzübereinkommen als streng geschützt gelten. Solche Teile werden vom Zoll beschlagnahmt und der Fall an das Bundesamt für Naturschutz verwiesen.  Die Behörde prüft in solchen Fällen, ob sie Bußgeld verhängen kann. Versucht jedoch jemand, Elfenbeinschmuck illegal einzuführen, liegt sogar ein Straftatbestand vor. Die BfN-Experten geben den Fall dann an die Staatsanwaltschaft weiter.

Elfenbeinschmuggel
Elfenbein aus Afrika wird oft in Asien zu Kunstgegenständen verarbeitet Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Eine wichtige Aufgabe des BfN besteht darin, präventiv vorzugehen: 2010 initiierte das Amt ein Forschungsprojekt zur Ermittlung von Alter und geografischer Herkunft von Elfenbein des Afrikanischen Elefanten. "Mit einer weltweit bislang einzigartigen Datenbank und einer präzisen Methode zur Bestimmung der geografischen Herkunft von Elfenbein soll künftig verhindert werden, dass gewildertes oder nicht legales Elfenbein auf die internationalen Märkte gelangt", beschreibt Behörden-Chefin Jessel das Projekt. 

Der Naturschutz hat ein eigenes Gesetz

Natur- und Artenschutz ist in Deutschland eine staatliche Aufgabe, verankert im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG). Dort heißt es, dass Natur und Landschaft "auf Grund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen" geschützt werden müssen. Das BfN erfragt alle zwei Jahre bei einem repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung, wie es um das "Naturbewusstsein" bestellt ist.

Deutschland Bislicher Insel
Naturschutzgebiet! Pflanzen abpflücken, wild lebende Tiere jagen, Wege verlassen ist verboten.Bild: Christoph Sprave/RVR Ruhr Grün

In der jüngsten Erhebung zeigten sich 82 Prozent der Bevölkerung Deutschlands davon überzeugt, dass die Menschheit gemeinsam etwas für den Schutz der Natur auf der Erde erreichen kann. "Wenn wir entsprechend dieser Überzeugung auch handeln, kann es uns gelingen, den Naturschutz wesentlich voranzubringen – gerade im Zeitalter der Globalisierung, in dem Fortschritt und Vernetzung nicht mehr wegzudenken sind", sieht Beate Jessel das Ergebnis als Ansporn, gerade auch den Naturschutz vor Ort ins Bewusstsein zu rücken. 

Ferner sprach sich eine deutliche Mehrheit bei der Umfrage zum "Naturbewusstsein 2017" für einen besseren Meeresnaturschutz aus. Welche Konsequenzen könnte das haben? Beate Jessel denkt dabei an mögliche künftige Fangbeschränkungen oder Fangverbote in den Schutzgebieten, für die Deutschland zuständig ist. Das Bundesamt arbeitet bereits an entsprechenden Konzepten. Andere Experten erstellten Konzepte für sanften, naturverträglichen Tourismus.  

Zukunftsweisende Konzepte im Einklang mit der Natur

Selbst der Naturschutz stellt die BfN-Mitarbeiter oft vor schwierig zu lösende Interessenkonflikte: Windkrafträder sind gut für den Klimaschutz. Anwohner lehnen sie aber oft ab, weil sie die Naturlandschaft zerstören und Vogelschützer sehen sie als Gefahr für die Tiere. Um den Ausbau der erneuerbaren Energien im Einklang mit den Belangen des Naturschutzes zu gestalten, hat das BfN in der Studie Landschaftsbild und Energiewende 280 Bürgerinitiativen befragt und Vorschläge entwickelt, wie sich landschaftsästhetische Aspekte aus der Sicht von Bürgern in den Planungs- und Zulassungsverfahren berücksichtigen lassen. 

Windkraftanlage in Deutschland
Windpark - Über Standorte entscheidet auch das Bundesamt für NaturschutzBild: picture-alliance/A. Franke

Wenn es sein muss, tritt das Amt und seine oberste Repräsentantin auch fordernd auf: "Praktisch alle Tier- und Pflanzengruppen in der Agrarlandschaft sind von einem eklatanten Schwund betroffen", beklagt die BfN-Präsidentin schon seit Jahren. Eine Erhebung ihrer Behörde hatte gezeigt, dass sich die Lage für Vögel wie Rotmilan, Kiebitz, Feldlerche und Rebhuhn, für Insekten und Pflanzen dramatisch verschlechtert habe.

Ganze Lebensräume in Agrarlandschaften gingen kaputt. "Wir brauchen dringend eine Kehrtwende in der Agrarpolitik", betont BfN Präsidentin Jessel und verrät die Richtung: Mehr Gelder gezielt in eine naturverträgliche Landschaft zu investieren anstatt pauschale Flächenprämien an die Landwirte auszuschütten.

Ursprung und Ansprüche an die Zukunft 

Dass sich das Aufgabenspektrum des Bundesamtes zunehmend vergrößert, zeigt sich auch an zwei Neubauten im Hofe einer alten Villa in Bonn, die von Wasserflächen, alten Bäumen und naturnaher Bepflanzung umgeben ist. Hier nahm am 15. August 1993 das Bundesamt seine Arbeit auf. Hervorgegangen war es aus der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege, eingeführt von Preußen im Jahre 1906. 

Beate Jessel blickt aus ihrem Bürofenster auf das Siebengebirge, eines der ersten Naturschutzgebiete Deutschschlands. Einen Katzensprung entfernt sind UN-Einrichtungen, die am gleichen Thema arbeiten: Sekretariate für Biodiversität und Ökosystemleistungen, für den Klimaschutz und gegen Wüstenbildung. 

Bundesamt für Naturschutz
Nachhaltige Bauten, naturnahe Bepflanzung: Das Bundesamt für Naturschutz in Bonn Bild: Bundesamt für Naturschutz

BfN-Außenstellen gibt es in Leipzig und auf der Ostseeinsel Vilm. Von dort betreut das Amt maritime Schutzgebiete und betreibt eine internationale Naturschutzakademie inmitten von Eichen, Buchen und 450 Pflanzenarten. 

Und Präsidentin Jessel hat noch viel vor: Mit der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt möchte sie den Flächenanteil von geschützten "Wildnisgebieten" bis 2020 auf zwei Prozent der Landesfläche erweitern. Als großen Erfolg verbucht sie die Übereignung von 156.000 Hektar Bundesflächen als "Nationales Naturerbe" an Bundesländer, Stiftungen und Naturschutzverbände. 

Wertvolle Wildnis auf dem Land und in der Stadt 

Für die Zukunft möchte Jessel, dass weniger Naturflächen durch den Bau von Siedlungen, Gewerbe und Straßen verloren gehen, und die Landwirtschaft müsse die Natur besser bewahren. Dafür braucht sie aber auch die Unterstützung anderer Ressorts, neben ihrem Bundesumweltministerium.

Was sie sich wünscht? "Dass ein umweltpolitisches Initiativrecht eingeführt wird, ein Vorschlag der früheren Bundesumweltministerin Barbara Hendricks", sagt Beate Jessel. Ein solches Initiativrecht würde bedeuten, dass Angelegenheiten der Land-, Forstwirtschaft oder Fischerei, die für den Naturschutz und die Umweltpolitik von besonderer Bedeutung sind, direkt der Bundesregierung zur Beratung und Beschlussfassung unterbreitet werden - auch wenn dafür eigentlich andere Ministerien zuständig wären.