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3 Fragen zur Frühgeburt

19. November 2014

Eine Schwangerschaft dauert 40 Wochen. Eigentlich. Aber immer mehr Kinder kommen zu früh zur Welt. Wir haben mit Prof. Dr. med. Bernd Tillig über die Gründe gesprochen und wie man eine Frühgeburt verhindern kann.

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Frühchen im Inkubator
Bild: picture-alliance/ZB

DW: Prof. Tillig, warum steigt weltweit die Zahl der Frühgeborenen?

Prof. Dr. Bernd Tillig: Wie in den meisten Ländern der Welt steigt auch in Deutschland die Zahl der Frühgeborenen, wenn auch vergleichsweise relativ gering. Gegenwärtig werden in Deutschland etwa neun Prozent der Kinder zu früh geboren. Es gibt einige methodische Gründe, mit denen sich dieser Trend möglicherweise zum Teil begründen lässt. Erstens sind die Datengrundlagen für derartige weltweite Analysen stetig besser geworden und die Zahlen zunehmend genauer. Zweitens überleben durch den medizinischen Fortschritt zumindest in den entwickelten Industrieländern zunehmend mehr extrem unreife Frühchen, die zuvor als Fehlgeburten in die Statistiken eingingen.
Bekannte Gründe für eine vorzeitige Geburt sind vor allem Infektionen während der Schwangerschaft, wie z.B. Harnwegsinfektionen der Schwangeren und chronische Erkrankungen der Schwangeren, wie z.B. Diabetes und Bluthochdruck. Auch diese, sogenannten Zivilisationskrankheiten, nehmen zu. Zudem haben sich der Konsum von Alkohol und anderen Drogen als mögliche Ursachen für Frühgeburten herausgestellt.
Weltweite Untersuchungen zeigen, dass auch die soziale Situation der Schwangeren eine wesentliche Rolle spielt. Das wird durch die Tatsache belegt, dass mehr als 90 Prozent der extremen Frühgeborenen (< 28 Schwangerschaftswochen) in den ärmsten Ländern der Welt geboren werden. So kommen derzeit die meisten, ca. 60 Prozent der Frühgeborenen, in Afrika und Südasien zur Welt. Die Armut als ein zunehmendes weltweites Problem, was verbunden ist mit einer mangelnden medizinischen Betreuung und Vorsorge, ist sicherlich eines der sozialen Hauptgründe für die weltweite Zunahme der Frühgeburten.
Ein weiteres wichtiges Risiko für die Zunahme der Zahl der Frühgeburten ist das zunehmende Alter der Gebärenden. Dabei spielen offenbar nicht nur genetische Gründe eine Rolle, sondern tatsächlich das biologische Alter der Gebärenden. Das in den entwickelten Ländern zunehmend sich verbreitende „Social Freezing“, das heißt, das Einfrieren von in jungen Jahren entnommenen Eizellen, um eine spätere Schwangerschaft in reiferen Jahren zu ermöglichen, ist damit in diesem Zusammenhang durchaus kritisch zu sehen.

Was brauchen Frühgeborene für einen möglichst optimalen Start ins Leben?

Für die optimale Betreuung von Frühgeborenen sind ein interdisziplinäres Team von Spezialisten und die besten technischen Voraussetzungen erforderlich. Zu einem solchen Team gehören spezialisierte Geburtsmediziner (Perinatalmediziner), spezialisierte Intensivmediziner für Frühgeborene (Neonatologen), Kinderchirurgen, spezialisierte Kindernarkoseärzte, speziell geschultes Pflegepersonal, engagierte Mitarbeiter für die Nachsorge und Betreuung der Familien und viele mehr. Besonders wichtig ist, dass sich dieses Team durch eine ausreichend hohe Fallzahl ständig weiterentwickeln und Erfahrungen sammeln kann. Es liegt auf der Hand, dass diese Voraussetzungen am ehesten an einem speziellen Zentrum gegeben sind. Um die Sterblichkeit der Frühchen weiter zu senken, ist auch in Deutschland eine weitere Konzentration und Zentralisierung der Betreuung von Frühchen an weniger, aber dafür optimal personell und technisch ausgestatteten spezialisierten Zentren, unbedingt erforderlich.

Wie kann verhindert werden, dass Kinder überhaupt zu früh zur Welt kommen?

Die beste Methode, um Frühgeburten zu vermeiden ist die Prävention. Das bedeutet, die kontinuierliche Betreuung der Schwangeren und damit die rechtzeitige Behandlung von Komplikationen, wie Infektionen. Zudem ist die effektive und kontinuierliche Behandlung von Risikofaktoren, wie Diabetes und Bluthochdruck während der Schwangerschaft sehr wichtig.
Die Aufklärung über die möglichen negativen Auswirkungen von Alkohol- und Drogenmissbrauch während der Schwangerschaft ist weiter zu intensivieren.
Bei drohender Frühgeburt oder bei sogenannten Risikoschwangerschaften (vorangegangene Frühgeburten, chronischen Erkrankungen der Schwangeren, höheres Lebensalter, genetischen Besonderheiten etc.) sollten die Schwangeren an geeigneten Perinatalzentren betreut und auch dort die Geburt geplant werden. An diesen spezialisierten Zentren können effektive Maßnahmen zur Verzögerung der Geburt eingeleitet werden, wie z.B. die Unterdrückung der Wehen (Tokolyse) oder der zusätzliche Verschluss des Geburtsweges.

Prof. Dr. med. Bernd Tillig ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie sowie Chefarzt und Direktor der Klinik für Kinderchirurgie, Neugeborenenchirurgie und Kinderurologie am Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin.

Das Interview führte Dorothee Grüner