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Gesellschaft

Rikscha-Tour 30 Jahre nach dem Mauerfall

Austin Davis ag
3. Oktober 2019

Ehrenamtliche radeln sie die 160-Kilometer-Strecke entlang des früheren Berliner Mauerstreifens. Sie nehmen ältere Mitbürger mit und feiern damit die deutsche Einheit genauso wie die Mobilität im Alter.

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Cycling without Walls
Bild: DW/A. Davis

Der Oktober ist in Berlin nicht die beste Zeit für eine gemütliche Radtour. Das kalte, oft regnerische Wetter kann selbst erfahrensten Radlern die Stimmung vermiesen. Aber Frank "Fun" Wissenbach (62), selbsternannter Gute-Laune-Botschafter, achtet heute nicht auf das Wetter. Auch wenn es regnet, er konzentriert sich darauf, seinen beiden älteren Passagieren eine aufregende Fahrrad-Rikscha-Tour zu bieten - durch Teltow in Brandenburg, einer Kleinstadt, die an den Süden Berlins angrenzt. "Bei mir gibt es immer eine Gute-Laune-Tour und nicht nur eine Radtour", sagt er.

Frank ist einer von 25 Fahrern, die diese Woche die 160-Kilometer-Tour entlang des Berliner Mauerstreifens fahren - als Teil des Projekts "Radfahren ohne Mauern". Auf dem Weg nehmen sie kleinere Gruppen älterer Passagiere mit für kurze Spazierfahrten durch Wälder, Häfen und geschäftige Straßen, die einst durch die Berliner Mauer geteilt waren.

Cycling without Walls
Calle Overweg, einer der Freiwilligen, holt zwei Damen für die Spazierfahrt in der Rikscha abBild: DW/A. Davis

Das Projekt hat ein symbolisches Timing: Die beiden Teile Deutschlands - Ost und West - wurden am 3. Oktober 1990 unter einer demokratischen Regierung wiedervereinigt. Am 9. November jährt sich zum 30. Mal der Fall der Berliner Mauer, die Deutschland fast vier Jahrzehnte lang gespalten hatte. "Ich finde es spannend, jetzt diesen Weg zu haben, wo die Mauer früher stand und so viele Geschichtsereignisse auf diesem Weg zu finden", sagt Gabriele Meyer, Koordinatorin des Projekts: "Und das mit den Senioren und ihren Geschichten zu erfahren, ist einfach großartig."

"Wir haben überlebt"

Unter den Fahrgästen ist heute die 76-jährige Helga Guduhn. Sie erinnert sich an die Vergangenheit in Westberlin, als es praktisch unmöglich war, in eine benachbarte Stadt zu reisen.

Cycling without Walls
Bereit für die Tour entlang der ehemaligen Berliner Mauer: Ruth Alseiks (90) und Helga Guduhn (76) in der Fahrrad-RikschaBild: DW/A. Davis

Obwohl sich die ostdeutsche Regierung für ihre Planwirtschaft und kommunistische Ideologie rühmte, konnte sie ihre Bürger nicht davon abhalten, im Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den Westen zu fliehen. Also schloss sie am 13. August 1961 um Mitternacht - ohne Vorwarnung - die Grenze und errichtete eine Mauer.

"Wir wohnten in der Nähe und auf einmal kamen wir nicht mehr rüber", berichtet Helga Guduhn, die damals Familie in Ostberlin hatte: "Wir konnten danach kaum noch in den Osten." Die 76-Jährige erinnert sich: "Es war nicht toll, die Mauer. Aber wir haben überlebt. Jetzt ist die Grenze offen. Und ich bin ebenso offen - für alles."

Mobilität für alle

Ihre Freude darüber sieht man am Lächeln von Helga Guduhn, als die Rikscha-Gruppe sich durch die früheren Grenzkontrollpunkte schlängelt auf dem Berliner Mauerweg, der mittlerweile ein gut befestigter Radweg ist. Es gehe nicht nur darum, dass sie heute die einstige Grenze ohne Sondererlaubnis überqueren kann, sagt sie. Da sie auf einen Rollstuhl angewiesen ist, gibt die Fahrrad-Rikscha ihr die Chance, mobiler zu sein, als sie es jahrelang gewesen ist.

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Nur in den Fahrrad-Rikschas können die Älteren den holprigen Weg entlang der früheren Berliner Mauer passierenBild: DW/A. Davis

Tatsächlich ist genau das die Voraussetzung von "Radfahren ohne Alter", der gemeinnützigen dänischen Organisation, die "Radfahren ohne Mauern" gestartet hat. Was 2013 als kleine Initiative mit nur fünf freiwilligen Rickscha-Fahrern begann, hat sich in dutzende Länder weltweit ausgebreitet: praktisch überall in die Europäische Union, aber auch nach Kanada, in die USA und nach Brasilien.

Während die Organisation sich auf ein neues Jahrzehnt mit innovativen Mobilitätslösungen für Senioren vorbereite, sagt Koordinatorin Gabriele Meyer, feiere "Radfahren ohne Mauern" schon heute die Mobilität für alle in jedem Alter. "Ich war 14, als die Mauer gefallen ist", erinnert sie sich und ergänzt: "Dass wir in Deutschland ohne Mauer auskommen, während andere Länder Mauern aufbauen. Ich finde es toll, das zu erleben!"