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30 Jahre Pro Asyl

Christoph Hasselbach8. September 2016

1986 wurde ein Verein gegründet, der seine Stimme für die Rechte der Flüchtlinge erheben sollte. Günter Burkhardt, Geschäftsführer und Mitbegründer der Organisation, sieht das Asylrecht heute mehr denn je in Gefahr.

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Berlin Pro Asyl 10. Flüchtlingsschutz-Symposium (Foto: picture-alliance/dpa/S. Stache)
Pro Asyl möchte wie eine Art Schutzschirm für Flüchtlinge wirkenBild: picture-alliance/dpa/S. Stache

DW: Herr Burkhardt, Sie selbst waren bei der Gründung vor 30 Jahren dabei. Wie war die Situation damals, gab es einen Auslöser?

Burkhardt: Wir hatten in Deutschland eine sich aufschaukelnde Stimmung gegen Flüchtlinge, rassistische Wahlkämpfe wurden geführt, das Asylrecht wurde immer stärker angegriffen. Das war die Ursache, weswegen Pro Asyl als Stimme für Flüchtlinge in Deutschland gegründet wurde. Heute verteidigen wir das Asylrecht in Europa. Die Situation ist ungleich schwieriger geworden, weil öffentlich die Bundeskanzlerin als Verfechterin von Humanität wahrgenommen wird, aber faktisch durch den EU-Türkei-Deal das Recht auf Asyl in Europa zur Disposition steht.

Ist nicht der Hauptunterschied zu damals, dass es heute viel mehr Flüchtlinge sind?

Wir hatten in den 80er Jahren einen Militärputsch in der Türkei, der zu einer Fluchtbewegung nach Deutschland führte, weil es hier im Zuge der Arbeitsmigration eine alte Verbundenheit gab. Es gab in den 90er Jahren die Balkankriege, wo auch ein Teil der Flüchtenden Bezüge zu Deutschland hatte. Heute hat Deutschland starke Bezüge zu Afghanen, zu Syrern, zu Irakern. Hier lebt europaweit die größte Community syrischer Flüchtlinge, schon vor 2015, als die große Fluchtbewegung einsetzte. Menschen gehen dahin, wo es Anknüpfungspunkte gibt. Deswegen ist Deutschland eines der Hauptzielländer im letzten Jahr gewesen.

Ein weiterer Grund ist sicher, dass es in Deutschland ein individuelles Recht auf Asyl gibt. Wenn dieses Land in Europa, vielleicht sogar weltweit als einziges Land dieses individuelle Recht gewährt und die anderen nicht, muss das nicht Deutschland überfordern?

Ich muss Ihnen zunächst rechtlich widersprechen. Entscheidend ist die Genfer Flüchtlingskonvention, die in ganz Europa gilt. Entscheidend ist außerdem die europäische Menschenrechtskonvention, sie gilt in allen EU-Staaten. Und sie garantiert eine individuelle Prüfung der Schutzbedürftigkeit, wenn Menschen an die Tore Europas anklopfen. Das Problem ist, dass die europäischen Staaten, insbesondere die Randstaaten - Griechenland, aber auch Bulgarien oder Ungarn - alleingelassen werden von vielen europäischen Staaten im Norden - ich denke an Großbritannien oder Frankreich. Es fehlt an Solidarität in Europa, und dann führt dies zu einer Situation, wo einer nach dem anderen die Grenzen schließt und das Asylrecht einschränken will.

Deutschland Günter Burkhardt Pro Asyl (Foto: picture-alliance/dpa/R. Jensen)
Günter Burkhardt: "Deutschland war 2015 eine rühmliche Ausnahme"Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Unser Problem ist, das europäische Asylrecht ist falsch konzipiert: Der Staat, der einen Flüchtling einreisen lässt, ist für ihn zuständig. Und deswegen blocken die Haupteinreiseländer, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen, die Durchführung der Asylverfahren und die Integration geht.

Die Deutschen haben im vergangenen Jahr erlebt, wie hunderttausende Menschen unkontrolliert ins Land kamen. Viele haben ihre Herkunft verschleiert, sie kamen eben nicht nur aus Syrien, sondern zum Beispiel aus Nordafrika, Pakistan oder Bangladesch. Aber sie werden geduldet, und Abschiebungen sind sehr schwierig. Haben Sie Verständnis, wenn es dann Unmut in der Bevölkerung gibt?

Der Unmut herrscht darüber, dass Menschen nicht registriert werden, wenn sie Asylanträge stellen möchten. Dieser Unmut ist nachvollziehbar. Wir wollen wissen, wer an die Tore Europas anklopft und Asylanträge stellt. Von den Staaten, die Sie genannt haben, erlaube ich mir aber den Hinweis, dass etwa Christen aus Pakistan durchaus in einer Situation sind, wo die Verfolgungsgründe zu prüfen sind. Das gilt auch für andere Staaten. Man muss im Einzelfall prüfen, ob jemand verfolgt ist oder nicht. Bei Staaten wie Syrien, Afghanistan, Irak oder Eritrea, einer brutalen Militärdiktatur, kann man schon eher davon ausgehen, dass jeder, der kommt, in einer Situation ist, dass man ihn nicht abschieben kann.

Aber nach diesen Maßstäben dürfte es weltweit hunderte Millionen Menschen geben, die asylberechtigt wären. Gibt es für Sie gar keine Grenze der Aufnahmepflicht?

Das Asylrecht ist ein individuelles Recht. Fluchtbewegungen vollziehen sich immer zunächst in die Nachbarstaaten. Europa oder Deutschland haben bei weitem nicht alle Flüchtlinge weltweit aufgenommen. Und auch wenn wir die Türkei kritisieren, weil sie kein Asylrecht nach europäischem Standard hat, so hat sie doch vorübergehend großzügig Flüchtlinge aus Syrien erst einmal aufgenommen. Die Fluchtbewegung weltweit ist zu lösen, wenn die Industriestaaten willens sind. Aber sie schieben sich wechselseitig die Verantwortung zu, und da war Deutschland im letzten Jahr eine rühmliche Ausnahme, was sich aber mittlerweile geändert hat.

Wenn Leute sagen, sie wollten einfach nicht so viele Fremde im Land haben, dann mögen Sie das für das Asylrecht für irrelant halten, aber hat es nicht eine politische Relevanz, die man berücksichtigen muss?

Wenn man diesen Stimmungen nachgibt, ist man in einer Gesellschaft, die es nie gab, nämlich in einer Gesellschaft von sogenannten Biodeutschen, in der es keine Einwanderung gibt, wo am besten noch der Euro abgeschafft wird und wo man zurückfällt in eine nationalstaatliche Kleinstaaterei. Man muss sich vergegenwärtigen: Es geht im Moment nicht primär um Flüchtlinge; es geht um die Frage: Wo will dieses Europa auf Dauer hin? Und dass dies insgesamt ein Projekt ist, wo es nicht nur um Wohlstand geht, sondern auch um eine politische Einheit, um Menschenrechte und Demokratie, das scheint im Moment zusehends in Vergessenheit zu geraten.

Wie sehen Sie die nächsten Jahre? Wird sich die Situation weiter zuspitzen?

Wir erleben jetzt schon die Auswirkungen des EU-Türkei-Deals. Die Türkei hat die Grenzen zu Syrien geschlossen, die Visumpflicht eingeführt mit der Folge, dass syrische Flüchtlinge nicht rauskönnen. Wir erleben, dass das weltweit größte Flüchtlinslager Dadaab in Kenia geschlossen werden soll, weil Staaten wie Kenia sagen: Wenn reiche Staaten in Europa niemanden aufnehmen, dann müssen wir es doch auch nicht tun.

Es gibt Staaten wie Pakistan, die sagen: Die Türkei erhält Geld für die Aufnahme der Flüchtlinge, wir wollen auch eine finanzielle Unterstützung Europas sehen. Die Forderung dieser Länder, dass die Industriestaaten mehr Verantwortung für die Flüchtlingsaufnahme tragen, ist richtig. Im Moment ist unsere große Sorge: Wir sind in einer Abwärtsspirale, wenn es um Menschenrechte geht. Wir sind weltweit in einer Situation, wo Rassismus auf dem Vormarsch ist und wo es allen Grund gibt, Sorge zu haben um die Menschenrechte in Deutschland, in Europa, weltweit.

Günter Burkhardt ist Geschäftsführer und Mitbegründer der Organisation Pro Asyl.

Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.