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Politik

Sechstage-Krieg: "Es gibt zwei Narrative in Israel"

Diana Hodali
5. Juni 2017

Die Besatzung der palästinensischen Gebiete jährt sich zum 50. Mal. Israel habe Jerusalem und das Westjordanland erobert, besetzt oder befreit. Je nachdem, wen man fragt, sagt Historiker Moshe Zimmermann.

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Bildergalerie palästinensische Arbeiter in Israel
Bild: Reuters

Deutsche Welle: Herr Zimmermann, wo waren Sie, als der Sechstage-Krieg im Juni 1967 begann?

Moshe Zimmermann: Ich hatte gerade meinen Militärdienst beendet und wir standen kurz vor dem Krieg. Ich habe damals in einer Einheit gedient, die sich auf diesen Krieg vorbereitet hat. Als der Krieg ausbrach, war ich dann in Jerusalem - allerdings als Zivilist. Das Militär brauchte mich nicht mehr. Ich habe also die sogenannte Wiedervereinigung Jerusalems direkt miterlebt.

Sie sagen Wiedervereinigung. Ostjerusalem gilt international seit 1967 als besetzt.

Es gibt keine Wiedervereinigung, weil der Ablauf historisch anders war. Es gab ein Jerusalem, das sich ausgedehnt und entwickelt hat. Im Westen der Stadt lebten die Juden - unter anderem auch ich -, die sich dort niedergelassen hatten seit Ende des 19. Jahrhunderts. Wenn es um den Kern Jerusalems geht, dann geht es um die Altstadt, die einen Quadratkilometer groß ist. Dieser Quadratkilometer war von 1948 bis 1967 in der Hand der Jordanier und nicht in israelischer Hand. Israel hat ihn erobert - man kann aber auch sagen: befreit. Für mich war es eine Gelegenheit, die Teile Jerusalems kennen zu lernen, die ich seit 19 Jahren nicht mehr betreten konnte. Aber das alles Wiedervereinigung zu nennen, ist historisch ungenau.

Jetzt nutzen Sie wieder einen anderen Begriff. Sie sprechen von Befreiung?

Israel Moshe Zimmermann
Historiker Moshe Zimmermann hat den Sechstage-Krieg im Juni 1967 in Jerusalem miterlebtBild: DW/N. Sharon

Das sind alles Worte, die nicht die gesamte Realität von damals schildern. Es kam 1948 zu einem Krieg und danach verlief die Grenze zwischen dem jüdischen Teil von Jerusalem und dem arabischen Teil von Jerusalem mitten durch die Stadt. Für jemanden, der im Westteil lebte, war die Möglichkeit, den Osten der Stadt zu betreten, eine Art von Befreiung. Der Zustand der Palästinenser, die dort gelebt haben, war der Zustand einer Bevölkerung unter israelischer Besatzung seit 1967.

Immer wieder heißt es, dass der erste Ministerpräsident Israels, Ben Gurion, sich eigentlich mit den Grenzen von 1948 abgefunden hatte. Wie stand es um den Expansionsgedanken?

Als der Staat 1948 gegründet wurde, sollten seine Grenzen nach den Bestimmungen der UN viel enger sein. Als der Krieg ausbrach, konnte Israel die Gebiete ausdehnen. Aber es war nicht das gesamte Land Palästina. Ben Gurion war mit diesem Zustand zufrieden, weil für ihn das Entscheidende war, dass die Juden nach der Vorstellung des Zionismus einen eigenen Staat erhielten. Dann kam es dazu im Krieg 1967. Als Israel diesen Krieg gewann, entstand die Idee, dass Israel ohne die neu hinzugewonnenen Gebiete nicht vollständig ist. Dadurch entstand auch ein Zwist in der israelischen Bevölkerung zu diesem Thema.

Sie meinen die Vorstellung eines Groß-Israels?

Es gab nur den Begriff Ganz-Israel. Die Vorstellung vom Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer als Ganz-Israel spielte ab 1967 eine Rolle. Es gibt innerhalb der israelischen Gesellschaft eine Diskussion zwischen Rechts und Links, zwischen Nationalisten und Liberalen. Die Nationalisten wollen Ganz-Israel und die Liberalen, die Linken, haben sich mit dem begnügt, was 1948 von den Vereinten Nationen bestimmt wurde.

Es kam 1967 zur Einnahme der Golanhöhen und des Sinai. Israel besetzte Ostjerusalem, das Westjordanland, Gaza. Mit Ägypten und Jordanien hat man einen Friedensvertrag, in gewisser Form herrscht sogar eine stille Einigung mit Syrien. Wieso gibt es bis heute die Besatzung?

Israel hat Jerusalem und die Westbank erobert, besetzt oder befreit. Je nachdem, wen man fragt. Die Altstadt von Jerusalem gilt für das Judentum, auch für Israelis, als das eigentliche Herz des Judentums. Deswegen hat man Jerusalem sofort annektiert. Man hat auch die palästinensische Bevölkerung von Israel dort annektiert.

Infografik Karte Der Sechstage-Krieg 1967 und seine Folgen DEU

Die Palästinenser in Jerusalem haben keinen israelischen Pass, sondern einen Sonderstatus mit Aufenthaltsgenehmigung, die ihnen wieder entzogen werden kann...

Sie sind keine vollberechtigten Staatsbürger des Staates Israels. Aber sie haben das Recht, an Lokalwahlen teilzunehmen. Das ist ein Sonderstatus. Das ist kein Kompliment für den Staat Israel. Aber das war damals die Entscheidung.

Aber warum gibt es bis heute besetzte Gebiete?

Das Westjordanland ist unter Besatzung, weil es zu keiner Verständigung zwischen Israel und den Palästinensern gekommen ist. Es gab schon im Jahr 1993 das Oslo-Abkommen, wonach innerhalb von fünf Jahren diese Besatzung zu Ende gehen sollte. Das kam nicht zustande, weil in Israel - nach der Ermordung von Ministerpräsident Jitzchak Rabin - eine rechtsorientierte Regierung an die Macht kam. Die Palästinenser wiederum haben es nicht geschafft, eine internationale Mehrheit dafür zu gewinnen, dass Israel sich zurückzieht.

Die Jahreszahl 1967 wird immer wieder genannt, wenn es um Frieden, um die Zwei-Staaten-Lösung geht. Israel soll sich auf die Grenzen von 1967 zurückziehen. Wird das passieren?

Man redet über diese Grenze, weil eigentlich die von vor 1967 die verpflichtende Grenze ist. Das ist die Grenze, die auch Israel und die Jordanier und auch die Palästinenser von heute akzeptiert und vorgeschrieben haben. Praktisch ist der Rückzug Israels auf diese Grenzen kaum mehr möglich. Auch wenn man das tun wollte. Israel hat in den besetzten Gebieten Siedlungen geschaffen und Israel erhebt Anspruch darauf, sie als Teil Israels anzuerkennen. Die Palästinenser verstehen das. Sie sind bereit, minimale Grenzänderungen zuzulassen, wofür sie eine Entschädigung auf der anderen Seite wollen. Das klingt alles weniger realistisch, je mehr Israel mit der Siedlungspolitik praktisch Land annektiert.

Was bedeutet der Krieg von 1967 in der israelischen Erzählung?

Für die meisten Israelis - und diese Mehrheit ist immer größer geworden - ist das ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung der Idee eines Judenstaates im gesamten Gebiet Palästina oder Erez Israel. Für anders denkende Israelis ist es die falsche Entscheidung gewesen, nach dem Krieg von 1967 den Weg zur Siedlungspolitik zu ebnen anstatt zu einer Verständigung mit den Palästinensern.

Aber wie genau wird in Israel die Besatzung wahrgenommen?

Es gibt diese zwei Narrative in Israel: Die Mehrheit der Israelis versteht die Besatzung nicht als Besatzung, sondern als Befreiung eines Gebietes, das eigentlich den Juden oder Israel gehören sollte. Die Anderen - und da muss ich Farbe bekennen -, halten diese Interpretation für völlig falsch. Sie betrachten die Besatzung als einen Makel. Man nennt es Besatzung und nicht Befreiung, und man ist über diesen Zustand sehr unzufrieden: dass das israelische Volk ein anderes Volk für eine so lange Zeit unterdrückt und diskriminiert - nämlich die Palästinenser im Westjordanland.

Wie stehen Sie zu Gaza? Dort hat 2005 der mittlerweile verstorbene Regierungschef Ariel Scharon die Siedler abziehen lassen. Israel kontrolliert aber de facto die verschiedenen Grenzen.

Man sollte nicht vergessen, das sollten auch die Linken in Israel nicht tun: Solange die Hamas-Regierung nicht bereit ist, mit Israel zu verhandeln - im Gegensatz zur PLO in der Westbank -, herrscht ein Kriegszustand. Eine konkrete physische Besatzung von Gaza gibt es nicht. Aber Gaza ist wie eine Art Insel - umkreist von Israel: im Meer, in der Luft und auf dem Boden. Der einzige Ausweg ist ein Frieden zwischen beiden Völkern.

Moshe Zimmermann ist Historiker. Er lehrte an der Hebräischen Universität in Jerusalem. In Deutschland war er mehrere Jahre Gastprofessor.

Das Gespräch führte Diana Hodali.