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Bürgerfernes Parlament

Bernd Riegert19. März 2008

Das Europäische Parlament feiert seinen 50. Geburtstag - eine Institution, die im Laufe der Jahre beträchtlich an Einfluss gewonnen hat. Allerdings darf sie sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, meint Bernd Riegert.

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Themenbild Kommentar
Bild: DW
Bernd Riegert

Es begann vor 50 Jahren bescheiden als Debattierklub entsandter Parlamentarier. Heute ist das direkt gewählte Europäische Parlament mit 785 Abgeordneten das größte demokratische Parlament der Welt. Die Mitwirkungsrechte sind im Laufe der Jahrzehnte immer weiter ausgebaut worden. Falls der Reformvertrag von Lissabon 2009 in Kraft treten kann, werden Mitentscheidungsrechte in wesentlichen Politikfeldern wie zum Beispiel der immens wichtigen Landwirtschaftspolitik hinzu kommen.

Natürlich ist es gut, dass die fast 500 Millionen EU-Bürger von einer direkt gewählten Institution repräsentiert werden, aber man muss dabei immer bedenken, dass es sich beim Europäischen Parlament nur um die zweite Kammer des Gesetzgebungsverfahrens handelt. Die Musik spielt in der ersten Kammer, dem Ministerrat, in dem die Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten vertreten sind. Ohne den Ministerrat läuft gar nichts.

Fein austariertes Kräfteverhältnis

Das ausschließliche Vorschlagsrecht für neue Gesetze hat zudem die EU-Kommission, also die politische Verwaltungsspitze der Europäischen Union. Das Europäische Parlament kann nur mitbestimmen, was im vorgelegt wird. Aus den Reihen der Abgeordneten kommen keine Gesetzesinitiativen. Viele Parlamentarier wollen das ändern, andere warnen davor, dass dadurch das fein austarierte Kräfteverhältnis zwischen den drei großen Institutionen ins Wanken geraten könnte.

Machtvoller Gesetzgeber

Immerhin, wenn man die 50 Jahre der europäischen Integrationsgeschichte Revue passieren lässt, ist es schon bemerkenswert, dass souveräne Staaten Kompetenzen an ein supranationales Parlament abgegeben haben. Ein großer Teil der Gesetzgebung, die heute in den Mitgliedsstaaten gilt, geht auf Europäische Richtlinien aus Brüssel zurück. Ein in der Geschichte wohl einmaliger Vorgang.

Die Klage, dass im Europäischen Parlament nur die zweite Garde der Politiker sitzt, die die zuhause nichts werden konnten, war vielleicht in der Vergangenheit berechtigt. In den letzten Jahren mehren sich allerdings die Fälle derer, die aus Brüssel wieder in ihre Heimat gegangen sind und dort Karriere gemacht haben.

Die wachsende Bedeutung der Institution kann man auch daran ablesen, das von Jahr zu Jahr mehr Lobbyisten die schrecklich klotzigen Parlamentsbauten belagern. Wer würde schon Geld für Lobbyisten ausgeben, wenn die Abgeordneten keinen Einfluss hätten?

Geringes Interesse der Bürger

Das Interesse der Wähler an ihrem Europäischen Parlament ist dennoch überraschend gering. Woran liegt das? Zum einen sind die Parlamentarier aus Brüssel einfach nicht so bekannt und präsent wie die Abgeordneten der nationalen Parlamente, zum anderen gibt es keine politischen Dramen und Konflikte im EU-Parlament. Die Europaparlamentarier tragen keine Regierung. Es gibt keine Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen. Entschieden wird mit wechselnden Mehrheiten je nach Thema.

Außerdem ist es äußerst mühsam, den komplizierten Debatten in ihrer babylonischen Sprachenvielfalt zu folgen. Obwohl jede Sitzung des Europäischen Parlaments live im Internet zu sehen wäre, schaut sie sich kaum jemand an.

Die nationalen Parlamentarier haben schon lange erkannt, dass ihre Kollegen in Brüssel immer wichtiger werden. Im Bundestag regt sich deshalb auch mehr und mehr Widerstand gegen "die da" in Brüssel. Die nationalen Parlamente haben mehr Einfluss verlangt und im neuen Reformvertrag auch bekommen.

Zwei große Aufgaben

In den nächsten Jahren hat das Europäische Parlament vor allem zwei Aufgaben: Die Transparenz von Abgeordnetenbezügen und der Besoldung von Mitarbeitern muss endlich hergestellt werden. Immer wieder belasten Skandale, wie im Moment gerade einer um falsche und überhöhte Mitarbeiterbezüge, das Ansehen des Parlaments.

Außerdem muss endlich der unsinnige Wanderzirkus beendet werden. Denn nur eine Woche im Monat tagt das Parlament im französischen Straßburg, den Rest der Zeit in Brüssel. Monat für Monat müssen hunderte Parlamentarier, Mitarbeiter und Parlamentsangestellte hin- und herpendeln. Ein sinnlose Verschwendung von Steuergeldern.

Hier könnte der nächste EU-Ratspräsident, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, wirklich Größe und Großmut beweisen, wenn er der Sitzverlegung von Straßburg nach Brüssel zustimmen würde. Aber das, so mutmaßen die meisten Abgeordneten, wird wohl auch in den nächsten 50 Jahren nicht passieren.