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70 Jahre "Spiegel": "Verteidiger der Demokratie"

4. Januar 2017

Als "Sturmgeschütz der Demokratie" wurde das Nachrichtenmagazin schnell ein Machtfaktor in der jungen Bundesrepublik. Werbeprofi Stefan Wegner wagt im DW-Interview eine Prognose für die Zukunft der "Marke Spiegel".

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Bildergalerie 70 Jahre "Der Spiegel"
Kantig, mit eindeutigem Profil: die Marke "Spiegel" hat heute noch Bestand in der MedienlandschaftBild: picture alliance/dpa/D.Kalker

DW: Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" ist schon seit 70 Jahren auf dem Markt - am 4. Januar 1947 erschien die erste Ausgabe in Hannover - was für seine Qualität spricht. Würden Sie den "Spiegel" auch heute noch ohne Zögern zu den Leitmedien zählen?

Stefan Wegner: Ja absolut, zur ersten Liga der Leitmedien. Es gibt ungefähr ein halbes Dutzend Medien in Deutschland, die man dazu zählen kann. Dazu gehört der "Spiegel" auf jeden Fall, genauso wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung und die BILD-Zeitung. Diese Medien prägen nach wie vor die Themen, die jede Woche im öffentlichen Diskurs in Deutschland gesetzt werden und natürlich auch in den sozialen Medien.

Worin besteht heute der Markenkern des "Spiegel"? Was ist typisch "Spiegel"?

Ich habe nochmal über den berühmten Satz von Rudolf Augstein "Das Sturmgeschütz der Demokratie" nachgedacht. Erstmal klingt das ganz schön angestaubt. So militaristisch würde man es heutzutage nicht mehr sagen. Aber es ist schon erstaunlich, wenn man überlegt, wie gut dieser Satz heute wieder passt. Man hatte zwischendurch den Eindruck, die Zeiten sind vielleicht andere und Demokratie ist sowas wie ein Hygienefaktor. Inzwischen ist diese Rolle des "Spiegel" als Verteidiger der Demokratie wichtiger denn je. Deswegen ist diese Positionierung nicht veraltet, sondern in diesen Zeiten ziemlich glaubwürdig.

Cover Der Spiegel Spezial 1/2016 Brennpunkt Türkei
"Brennpunkt Türkei": Spiegel-Titel zu den politischen Umbrüchen in der Türkei

Was der Spiegel leistet und was ihn auch besonders macht, das ist diese extreme Hartnäckigkeit - auch im Kampf um die demokratischen Themen der Politik: die Dinge zu hinterfragen und die Sachen, die falsch laufen, aufzudecken. Und auch dran zu bleiben und - im besten Sinne - die Rolle der Vierten Gewalt im Staat auszuüben, wie es nur wenige Medien mit der entsprechenden Breitenwirkung können.

Mit dieser Position als Leitmedium war lange eine gewisse Arroganz der "Spiegel"-Redakteure verbunden, mit gleichzeitiger Nähe zur Macht und zu Regierungskreisen. Was ist von dem elitären Nimbus des "Spiegel" geblieben? Früher zitterten die Politiker so manches Mal vor dem Erscheinen des nächsten Heftes.

Das ist auch die Rolle, die guter Journalismus haben sollte. Diesen Nimbus gibt es immer noch, weil der "Spiegel" es nach wie vor beherrscht, brisante Geschichten zu entdecken und auch aufzudecken. Geschichten, die unbequem sind für die Mächtigen und für alle anderen, die von diesen Enthüllungen betroffen sind.

Was sich vielleicht ein Stück weit verändert hat, ist, dass es inzwischen eine neue Öffentlichkeit gibt, für die diese Wahrheiten, die der "Spiegel" entdeckt und aufdeckt, nicht mehr so relevant sind. Das hat man gerade in den USA gesehen. Das muss einem natürlich zu denken geben.

Der "Spiegel" hat sich nach immerhin 40 Jahren einen neuen Slogan und Leitspruch gegeben: "Keine Angst vor der Wahrheit". Inwieweit bekommt das vor dem Hintergrund der US-Wahlen nochmal eine andere, sehr aktuelle Bedeutung?

Ich finde es erst mal interessant, ein Plädoyer für die Wahrheit zu setzen. Und das in diesen "postfaktischen" Zeiten, was inzwischen schon ein geflügeltes Wort ist. Das finde ich sehr gut an diesem Satz. Das Problem an diesem neuen "Spiegel"-Slogan ist, dass im Moment, keiner Angst vor der Wahrheit hat, sondern dass man eher kein Interesse an der Wahrheit hat.

Das ist nicht nur ein Problem des "Spiegel", sondern für die mediale Öffentlichkeit generell, wenn sich die Leute nicht mehr für die Wahrheit interessieren. Es muss jetzt verstärkt darum gehen, die Relevanz von Wahrheit in den Mittelpunkt zu rücken: Warum ist es denn so wichtig, dass Journalisten ihre Rolle als Vierte Gewalt im Staat erfüllen? Wie kann man der breiten Öffentlichkeit deutlich machen, dass es einen guten Grund für Qualitätsjournalismus gibt? Und dass er mehr denn je gebraucht wird.

Lead Award 2015 Der Spiegel
Die Spiegel-Titel über die letzten Überlebenden des Holocaust wurden beim Lead Award 2015 ausgezeichnetBild: picture-alliance/dpa/A. Heimken

Wie wichtig ist bei einem Leitmedium, wie dem "Spiegel", die Haltung zu den Themen, eine klare Handschrift, die überall im Blatt und auch in den Onlineablegern vertreten ist?

Am Ende muss immer der Inhalt zur Verpackung passen. Eine gute Marke ist in allen Facetten des Produktes zu erkennen. Das gilt natürlich auch für den "Spiegel". Das fängt bei der Titelgestaltung an, beim Editorial, dem Inhaltsverzeichnis, geht weiter beim sprachlichen Stil der Artikel, bis zur Bildsprache. 

Für die Blattmacher ist das heutzutage eine immer größere Herausforderung, weil man lernen muss, diese Marke "Spiegel" über immer vielfältigere Kanäle auszuspielen, und sie immer wieder erkennbar zu machen. Das hat der "Spiegel" mit "Spiegel TV" schon sehr frühzeitig im Bewegtbildbereich und im Onlinebereich mit "Spiegel Online" getan. Das müssen sie in Zukunft auch auf anderen Kanälen tun.

Screenshot Spiegel Online
Anderer Ton, andere Zielgruppe, andere Bildsprache: Spiegel Online

Medienkritiker sprechen in Bezug auf den "Spiegel" inzwischen von Markenwirrwarr. Es gibt "Bento", den "Spiegel" für junge Leute, "Spiegel Karriere" für Senioren und vielleicht bald auch den "Spiegel für Hausfrauen" mit Kochrezepten – natürlich kritisch hinterfragt. Wie sehen Sie das als Werbeprofi?

Da muss man natürlich das richtige Maß finden. Es gibt den Moment, in dem man eine starke Marke auch überstrapaziert, wenn man versucht sie auf neue Branchen und Themenfelder zu übertragen. Irgendwann leidet die Mutter-Marke darunter. Andererseits gibt es für Medien gar keine andere Alternative, als diese Spreizung zu versuchen. Wenn sie es nicht schaffen, sich neue Geschäftsfelder und neue Zielgruppen zu erschließen, dann werden sie untergehen. So einfach ist das. Und wer sich da im Moment nicht bewegt, der bleibt stehen und wird diesen Medienwandel nicht überleben.

Wo und vor allem wie würden Sie als Marketingspezialist den "Spiegel" als Marke langfristig positionieren? Für was steht er als Magazin noch?

Der Markenkern, den der "Spiegel" seit vielen Jahrzehnten verfolgt, der ist nach wie vor richtig und stabil. Das ist der Kämpfer für Wahrheit, für Demokratie, für Aufklärung als ein Vertreter der Vierten Gewalt, als tragende Säule unserer Gesellschaft hier in Deutschland. Das muss im Kern, finde ich, erhalten bleiben. Die Frage ist, wie man den "alten" Markenkern in die Zukunft trägt.

Ein ganz wichtiger Punkt wird sein, auch den jungen Zielgruppen wieder die Relevanz zu zeigen, was der "Spiegel" Woche für Woche tut. Da hat der "Spiegel" ja auch mit der jüngsten Kampagne (s. Bild unten) einen ersten wichtigen Schritt getan, indem er zeigt, welche Menschen das tun: Korrespondenten und Reporter vor Ort zum Beispiel.

Detschland Spiegel Kampagne Keine Angst vor der Wahrheit
Kampagne für neuen Spiegel-Slogan: "Keine Angst vor der Wahrheit" (Schriftsteller Martin Walser mit Spiegel-Reportern)Bild: Spiegel

Ist der "Spiegel" auch in seiner Bildsprache wieder mutiger geworden?

Ja, eindeutig. Ich würde das aus den letzten Titelbildern so ableiten. Wenn sie sich den Trump-Kometen nochmal vor Augen rufen, der auf die Welt zu rast. Das war ein Titelbild, das auch um die Welt gegangen ist. Was ein Indiz dafür ist, dass der "Spiegel" seine Kraft als Leitmedium nicht verloren hat.

Da spürt man auch den Mut zur Provokation, die trotzdem inhaltlich ein Fundament hat. Das würde ich dem "Spiegel" auch weiter wünschen, weil er weiterhin die Macht hat, Themen zu setzen und Diskurse zu treiben. Das ist in dem digitalem Zeitalter eine große Chance, wenn man sieht, wie dieses Titelbild über Twitter & Co. einmal um den Globus rast. Das ist für die Marke "Spiegel" Gold wert.

Stefan Wegner ist nicht nur ein kreativer Kopf, sondern auch Partner und Geschäftsführer der renommierten Werbeagentur Scholz & Friends, die 1995 den legendären Werbeslogan der FAZ "Dahinter steckt immer ein kluger Kopf" reaktiviert und für eine bildstarke Imagekampage der Zeitung aufbereitet hat. Die Werbeanzeigen sind mittlerweile Kult - und als Werbefotografien Teil der deutschen Kultur.

Das Gespräch führte Heike Mund.