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Blick zurück in Dankbarkeit

Marcel Fürstenau9. Mai 2015

Bundestag und Bundesrat erinnern an das Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Alle Redner würdigen die Versöhnungsbereitschaft der deutschen Kriegsgegner und Nazi-Opfer, verurteilen Fremdenhass und Rechtsextremismus.

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Der Historiker Heinricht August Winkler redet in der Gedenkstunde zum Zweiten Weltkriegs.
Bild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Der 8. Mai 1945 war ein "Tag der Befreiung". Diese Sicht auf das Ende von zwölf Jahren Nazi-Herrschaft in Deutschland und weiten Teilen Europas ist hierzulande längst zur Staatsräson geworden. Dafür sorgte 1985 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der vor wenigen Monaten im Alter von 94 Jahren gestorben ist.

Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) und der Historiker Heinrich August Winkler (im Artikelbild) knüpften am Freitag im Berliner Reichstagsgebäude an die grundsätzlichen Gedanken Weizsäckers an. In ihren Reden klingt durch, welch befreiende Wirkung von der Rede des deutschen Staatsoberhaupts seinerzeit ausging. Zu einem Zeitpunkt, als Deutschland und Europa noch geteilt waren.

Lammert würdigte die Bereitschaft der deutschen Kriegsgegner zur Versöhnung. Das sei historisch "genauso beispiellos" wie die vorausgegangenen Verbrechen der Nazis. Mitten im Reichstag, dem Sitz des deutschen Parlaments, erinnern noch Graffitis an die letzten Tage und Stunden des Zweiten Weltkriegs. Sowjetische Soldaten hinterließen dort im Mai 1945 an einigen Wänden in kyrillischer Schrift ihre Spuren. Der Bundestagspräsident erinnert an diese "authentischen Zeichen", über deren Erhalt Mitte der 1990er Jahre kontrovers diskutiert wurde. Heute sind auch sie eine Selbstverständlichkeit.

Winkler: "Führer-Gläubigkeit" sogar nach Stalingrad

Nach Lammert sprach der aus Ostpreußen stammende Historiker Winkler über die Bedeutung des 8. Mai. Der Tag sei nicht vom 30. Januar 1933 zu trennen, als Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Ohne das Versagen der Eliten in der Weimarer Republik hätte es dazu nicht kommen können.

Winkler verwies auch auf die schon lange vorher einsetzenden Wahlerfolge der NSDAP, die er mit den Vorbehalten vieler Deutscher gegen die westliche Demokratie erklärt. Hinzugekommen seien "Führer-Gläubigkeit" und "Führer-Mythos", die selbst nach der Niederlage in Stalingrad und dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 nicht erloschen seien.

Nachdrücklich dankte Winkler, Autor des Standardwerks "Geschichte des Westens", den alliierten Soldaten, "nicht zuletzt den sowjetischen". Sie alle hätten Deutschland "in gewisser Weise von sich selbst befreit". Freilich habe zunächst nur ein Teil des Landes die "zweite Chance" zur Demokratie erhalten. Erst mit der Wiedervereinigung 1990 sei die "deutsche Frage" gelöst , unter völkerrechtlich verbindlicher Anerkennung der Oder-/Neiße-Grenze zwischen Deutschland und Polen.

Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 im Bundestag, der damals noch in Bonn seinen Sitz hatte
Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 im Bundestag, der damals noch in Bonn seinen Sitz hatteBild: picture-alliance/dpa

Mit diesem Schritt habe Deutschland "glaubwürdig mit jenen Teilen seiner politischen Tradition gebrochen", die einer freiheitlichen Demokratie westlicher Prägung im Wege gestanden hätten. Auch dazu hatte Richard von Weizsäcker schon in seiner berühmten Rede 1985 einen wichtigen Anstoß gegeben.

Fremdenfeindlichkeit und Rassismus heute

Für Festredner Winkler ist der 8. Mai, das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, "niemals" abgeschlossen. Vieles sei gelungen, "worüber sich die Bürger freuen und worauf sie stolz sein können". Es müsse aber die Bereitschaft einschließen, "sich auch den dunklen Seiten der Vergangenheit zu stellen". Und dass daraus längst nicht alle die notwendigen Lehren gezogen haben, darauf verweist der 76-Jährige eindringlich. Aus Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in Deutschland und Europa erwachse die Verpflichtung, "unter allen Umständen die Unantastbarkeit der Würde jedes einzelnen Menschen zu achten".

Auch Deutschland müsse in der Welt Verantwortung übernehmen, mahnt Winkler. In der "Charta von Paris" hätten sich nach der deutschen Wiedervereinigung 34 Staaten, darunter Russland, zum Verzicht auf Gewalt und der Veränderung territorialer Grenzen verpflichtet.

Das Jahr 2014 markiere deshalb eine "tiefe Zäsur" durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim. Damit werde die europäische Friedensordnung infrage gestellt. Nachdrücklich lobte der Historiker das deutsche Engagement in der Ukraine-Krise. In Polen und den baltischen Staaten dürfe nie wieder der Eindruck entstehen, es werde "irgendetwas zwischen Berlin und Moskau über ihre Köpfe hinweg und auf ihre Kosten entschieden".

Bundesratspräsident: "Flüchtlingsursachen bekämpfen"

Nach dem Historiker Winkler sprach stellvertretend für die 16 Bundesländer der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Auch er dankte den Völkern für ihren Großmut, Deutschland trotz der von ihm begangenen unfassbaren Verbrechen wieder die Hand zu reichen. Es gebe keinen Platz für diejenigen, die Demokratie bekämpfen oder Menschenrechte missachten. Rechtsextremismus müsse gesellschaftlich geächtet werden, forderte Bouffier.

Bundespräsident Joachim Gauck legte nach der Feier im Reichstagsgebäude einen Kranz auf dem russischen Soldatenfriedhof im brandenburgischen Lebus nieder. Dabei würdigte er die Verdienste der Roten Armee. "Ich verneige mich vor ihrem Leid und dem Leid und der Leistung derer, die gegen Hitler-Deutschland gekämpft und Deutschland befreit haben", sagte Gauck. Die Kriegsgräberstätte im Landkreis Märkisch-Oderland nördlich von Frankfurt (Oder) ist der zentrale sowjetische Soldatenfriedhof Brandenburgs. Bislang haben dort mehr als 4800 Gefallene ihre letzte Ruhestätte gefunden.