1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutschland hinkt hinterher

19. Januar 2012

Wie anfällig ist Deutschland für Korruption? Diese Frage hat die Antikorruptionsorganisation Transparency International im Rahmen eines EU-Projekts untersucht. Jetzt wurden die Ergebnisse in Berlin vorgestellt.

https://p.dw.com/p/13lja
Der Nationale Integritätsbericht Deutschland (Foto: dapd)
Bild: dapd

Zum Zusammenwachsen Europas gehöre es auch, voneinander lernen zu wollen, indem über Schwächen und Stärken der einzelnen Mitgliedsländer gesprochen werde. So sagte es jüngst Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin, als sie zur wirtschaftspolitischen Zukunft der Europäischen Union befragt wurde.

Die EU-Kommission hatte im Herbst 2010 beschlossen, einen ähnlichen Weg einzuschlagen, um das heikle und gefährliche Thema Korruption näher zu untersuchen, und deshalb den Startschuss für ein Projekt in 26 Ländern Europas gegeben. Durch EU-Gelder finanziert entwickelte die Antikorruptionsorganisation Transparency International (TI) das sogenannte Konzept des Nationalen Integritätssystems als Untersuchungsmethode, mit dem ein breiter Überblick über die Antikorruptionsbemühungen eines Landes gegeben werden soll.

Von Legislative bis Wirtschaft

"13 Bereiche oder Institutionen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur wurden hinsichtlich ihrer Strukturen, Ressourcen und Maßnahmen zur Korruptionsvorbeugung und -bekämpfung analysiert", erklärte die Vorsitzende von Transparency International Deutschland Edda Müller das wissenschaftliche Vorgehen am Donnerstag (19.01.2012) in Berlin bei der Vorstellung des Integritätsberichts für Deutschland. Insgesamt werde der Bundesrepublik dabei ein gutes bis sehr gutes Zeugnis ausgestellt, so Müller.

Symbolbild Korruption (Foto: dpa)
Korruption ist kein KavaliersdeliktBild: picture-alliance/dpa

Auf einer Skala von 0 bis 100 erhielten die Rechnungshöfe (94) und die Judikative (88) die besten Punktzahlen. Die politischen Parteien (70) und die öffentliche Verwaltung (71) schlossen beim internen Ranking am schlechtesten ab. Deutschland profitiere von seiner föderalen Struktur und sei damit weniger anfällig für Korruption als sehr zentralisierte Länder, so Müller. Dennoch gäbe es Lücken und Spielräume für Verbesserungsmöglichkeiten.

Deutschland hinkt hinterher

Die Vorsitzende von Transparency International Deutschland, Edda Müller (Foto: dapd)
Die Vorsitzende von Transparency International Deutschland, Edda MüllerBild: dapd

Zudem sei zu kritisieren, dass Deutschland die UN-Konvention gegen Korruption aus dem Jahr 2005 noch nicht ratifiziert habe, betonte Müller, weil die dafür notwendigen Rechtsanpassungen im Bereich Bestechung von Abgeordneten noch nicht vorgenommen wurden. Auch andere vom Europarat und der OECD empfohlene Antikorruptionsmaßnahmen seien noch nicht umgesetzt. Vor diesem Hintergrund und als Konsequenz aus der Studie habe Transparency International einen Katalog von "84 Forderungen für eine integre Republik" erstellt.

Im Katalog sind für jeden der 13 untersuchten Bereiche konkrete Forderungen aufgelistet, mal elf wie im Bereich Wirtschaft, mal auch nur zwei wie bei der Antikorruptionsbildung.

Bei den politischen Parteien zum Beispiel sei eine Novelle des Finanzierungsgesetzes beim Umgang mit Spenden erforderlich, heißt es im Bericht. Für den Bereich Medien wird analysiert, dass sich durch erhöhten wirtschaftlichen Druck vor allem bei Printmedien die Arbeitsbedingungen für Journalisten verschlechtert hätten, was häufiger zu einer sogenannten "Schere im Kopf" führe. Auch sei gesamtgesellschaftlich die Bedeutung von Korruptionsbekämpfung zu wenig im Bewusstsein verankert und würde zu häufig ausschließlich als ein juristisches Problem behandelt. Hier sei eine stärkere Aufklärung notwendig. Eine komplette Auflistung und weitere Informationen finden sich auf der Internetseite von Transparency International Deutschland (siehe Link unten.)

Was darf der Bundespräsident?

Bundespräsident Christian Wulff (Foto: dapd)
Bundespräsident Christian Wulff steht seit Wochen unter öffentlichem DruckBild: picture-alliance/dpa

Das Bundespräsidialamt sei nicht untersucht worden, sagte Dieter Korczak von der GP Forschungsgruppe, die von Transparency International Deutschland mit der sozialwissenschaftlichen Durchführung der Studie beauftragt wurde. "Der Bundespräsident steht über allen Dingen", so Korczak.

Edda Müller fügte hinzu, dass in der Betrachtung der Geschehnisse um Christian Wulff leider interessante Fragen nach eventuellen wirtschaftlichen Vorteilen Dritter offen bleiben würden. Zudem sei der Bundespräsident leider zu einem Gegenbeispiel geworden für eine ansonsten doch positive Entwicklung in Deutschland hinsichtlich der festen Verankerung des Themas Transparenz als Mittel von Korruptionsbekämpfung. Allerdings hätte die Wulff-Affäre andererseits die generelle Forderung nach Transparenz in der Öffentlichkeit sicherlich auch noch einmal verstärkt.

Kein einfacher Vergleich möglich

Der Forderungskatalog aus dem Nationalen Integritätsbericht Deutschland wurde von TI-Deutschland an die politischen Parteien im Bundestag verschickt mit der Bitte um Stellungnahme bis zum 15. März.

In einigen Wochen sollen auf EU-Ebene die anderen nationalen Integritätsberichte vorliegen. Sie wurden alle mit der von Transparency International erarbeiteten Methode erstellt. Neben Deutschland lägen bisher die Berichte aus Frankreich, Großbritannien und Dänemark vor, so Müller. Sie warne allerdings vor voreiligen Schlüssen bei der vergleichenden Bewertung der Länderstudien. Die Systeme seien sehr unterschiedlich, jedes Land habe sehr eigene Traditionen und verschiedene politische Strukturen.

In der zweiten Etappe des EU-Projekts sollen nationale Vorhaben initiiert werden, mit denen die Korruptionsprävention und -bekämpfung verbessert werden soll. Nach dem "best practice"-Prinzip sollen dabei die Erfahrungen aus den anderen Ländern einfließen.

Autor: Kay-Alexander Scholz

Redaktion: Nils Naumann