1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Politkrimi im Bundesland Sachsen-Anhalt

Kay-Alexander Scholz
4. Dezember 2020

Die Lage ist komplex. Es geht um eine ungeliebte Koalition in Sachsen-Anhalt, die Rundfunkgebühr, das Verhältnis von CDU und AfD - und um eine Machtfrage. Landes-Innenminister Holger Stahlknecht wurde entlassen.

https://p.dw.com/p/3mEES
Deutschland Kenia-Bündniss in Sachsen
Bild: picture alliance/dpa/H. Schmidt

Seit 2016 regieren im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt die Christdemokraten (CDU) zusammen mit den Sozialdemokraten (SPD) und den Grünen. Doch in Teilen der CDU war das Dreier-Bündnis von Anfang an nicht beliebt. Nicht zum ersten Mal steht die Koalition nun auf der Kippe.

Denn einige CDU-Abgeordnete würden lieber mit der "Alternative für Deutschland" (AfD) zusammenarbeiten, die nach der CDU die zweitstärkste Fraktion bildet. Immer wieder meldeten sich die christdemokratischen Abweichler zu Wort, nahmen das Dreier-Bündnis aufs Korn. Auch noch, als die CDU-Parteizentrale in Berlin eine politische Annäherung an die AfD strikt verbot: Mit der in Teilen rechtsextremen Partei dürfe nirgends zusammen gearbeitet werden, in keinem Parlament, auf keiner politischen Ebene - auch nicht bei Abstimmungen.

Konkret wurde in Sachsen-Anhalt dennoch - ohne die AfD auszuschließen - das Modell Minderheitsregierung ins Gespräch gebracht, mehrfach sogar wie im Februar 2020.

Die CDU müsste sich aber im Fall einer Minderheitsregierung im Parlament von Fall zu Fall Mehrheiten suchen. Die AfD in Sachsen-Anhalt signalisierte bereits Kooperationswillen. Zusammen hätten CDU und AfD eine Mehrheit.

Weiterhin hohe Umfragewerte für die AfD in Sachsen-Anhalt

Bislang wurden solche Vorstöße in dem Bundesland von der dortigen CDU-Parteispitze eingefangen. Verbunden mit der Hoffnung, dass die AfD durch eine erfolgreiche Politik der Landesregierung an Zustimmung verliert. Doch noch immer würde mehr als jeder fünfte Wähler AfD wählen, also ungefähr so viele wie bei der Landtagswahl 2016.

Deutschland Sachsen-Anhalt Ministerpräsident Reiner Haseloff
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff wehrt sich gegen eine Annäherung an die AfDBild: Getty Images/M. Schmidt

Dass der Verfassungsschutz Teile der AfD als rechtsextrem einstuft und gerade die AfD in Sachsen-Anhalt einer der radikalsten Landesverbände ist, scheint am Ergebnis der Umfragen in Sachsen-Anhalt nicht viel zu ändern. Ebenso wenig wie an den Plänen mancher CDU-Politiker.

Rundfunk ist Ländersache

Nun hat sich der Konflikt zugespitzt. Ministerpräsident Reiner Haseloff feuerte seinen Landesinnenminister und CDU-Kollegen Holger Stahlknecht. Auslöser dieser Personalentscheidung ist ein seit Monaten geführter Streit um den sogenannten Rundfunkbeitrag. Das ist der Beitrag, den jeder Haushalt in Deutschland zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bezahlen muss. Nach zehn Jahren soll der monatliche Beitrag von 17,50 Euro um 86 Cent auf 18,36 Euro steigen. Das hat die eigens dafür zuständige unabhängige Finanzkommission empfohlen.

Doch die CDU in Sachsen-Anhalt ist gegen diesen Plan. Sie könnte das Vorhaben kippen. Denn einer Erhöhung des Rundfunkbeitrags müssen alle Bundesländer zustimmen. Gemeinsam regeln diese nämlich alle Rundfunkfragen mittels Staatsvertrag. Ändert sich etwas, wie der Rundfunkbeitrag zum Beispiel, muss der Staatsvertrag geändert werden. Doch dieser tritt als "Änderungsstaatsvertrag" erst in Kraft, wenn alle Regierungschefs und die Landes-Parlamente zugestimmt haben.

Dass ein Bundesland ein Veto einlegt, ist in den letzten 30 Jahren nach der Wiedervereinigung nur einmal geschehen, im Jahr 2010 in Nordrhein-Westfalen. Sollte der neue Vertrag nicht bis Jahresende von allen Ländern ratifiziert werden, wird er gegenstandslos.

Grundsatzkritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Doch es geht der CDU in Sachsen-Anhalt nicht allein um die 86 Cent Erhöhung, sondern um grundsätzliche Reformen der Medienhäuser. "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in seiner Struktur, in seiner Größe zu groß und zu teuer geworden.", sagte Markus Kurze, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, in einem Interview. "Wir wollen den Beitrag stabil halten - und da muss man natürlich auch über den Auftrag sprechen." Und weiter: Demokratie müsse aushalten, "dass man nicht zu allem 'Ja', sondern auch Mal 'Nein' sagt".

Schon vor 2013, also vor Gründung der AfD, gab es Vorschläge von CDU-Mitgliedern Sachsen-Anhalts, an der Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu schrauben. Ganz allein stehen sie damit nicht, auch von manchem in der Bundes-CDU werden Reformen angemahnt.

Sorge vor Annäherung von CDU und AfD

Nun aber drohen die Sozialdemokraten und die Grünen in Sachsen-Anhalt damit, die Koalition mit der CDU platzen zu lassen. Ihr Vorwurf: Die Christdemokraten würden mit der AfD bei den Rundfunkgebühren gemeinsame Sache machen wollen.

Treffen der CDU-Kreisvorsitzenden in Magdeburg, Holger Stahlknecht
Sachsen-Anhalts Ex-Innenminister Holger Stahlknecht hat im Streit um die Rundfunkgebühren erstmal den Kürzeren gezogenBild: picture-alliance/dpa/K.-D. Gabbert

Weil die AfD ein fast schon feindliches Verhältnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat, lehnt auch sie eine Beitragserhöhung ab. Beide Fraktionen - CDU und AfD zusammen - können durch ihre Mehrheit im Landtag den neuen Rundfunkstaatsvertrag verhindern.

Der politische Preis dafür wäre wohl das Aus der Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt. "Wenn das Bollwerk gegen Rechts fällt, ist für mich die Geschäftsgrundlage dieser Koalition weg", sagte Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann. 

Der drohende Tabu-Bruch lässt bereits anderswo Alarmglocken schellen. "Die CDU in Sachsen-Anhalt droht mit der AfD gemeinsame Sache zu machen", hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme der SPD-Fraktion des Bundestags und der Länderparlamente. "Es ist zu befürchten, dass eine solche Kooperation tatsächlich nur ein weiterer Schritt bei der Annäherung zwischen diesen beiden Parteien ist."

Steckt auch ein Machtkampf in der CDU dahinter?

Prompt brachten auch jetzt wieder sachsen-anhaltinische CDU-Abgeordnete das Wort "Minderheitsregierung" ins Spiel. Zuletzt vom Landeschef der CDU, Holger Stahlknecht, der damit eine weitere Dimension des Konflikts ins Spiel brachte: Die Frage nämlich, wer nächster Ministerpräsident wird.

Deutschland Landtag Sachsen-Anhalt
Der Landtag von Sachsen-Anhalt fällt Mitte Dezember eine politisch brisante Entscheidung, bei der es letztlich um den Erhalt der Regierungskoalition gehtBild: picture-alliance/dpa/P. Gercke

Stahlknecht wollte den amtierenden Ministerpräsidenten Reiner Haseloff eigentlich beerben. Der 66-Jährige aber entschied, noch einmal anzutreten, wohl auch um eine Annäherung an die AfD zu verhindern. Für eine Minderheitsregierung in Abhängigkeit von der AfD stünde er nicht zur Verfügung, versicherte Haseloff mehrfach. Platzt die amtierende Dreier-Koalition hätte Stahlknecht möglicherweise gute Chancen auf Haseloffs Nachfolge gehabt. In einem Zeitungsinterview hatte sich Stahlknecht für eine Minderheitsregierung ausgesprochen. Grüne und SPD in Sachsen-Anhalt vermuteten deswegen einen Umsturzversuch von Stahlknecht.

Haseloff sah das anscheinend ähnlich und reagierte prompt. Er entließ Stahlknecht als Innenminister. Doch dem nicht genug - nur ein paar Stunden später trat Stahlknecht auch als CDU-Landesvorsitzender zurück.

Entscheidung noch vor Weihnachten angekündigt

Noch ist in Sachsen-Anhalt nicht final über die Rundfunkgebühr entschieden worden. Die erste wichtige Abstimmung unter den Abgeordneten wurde auf den 9. Dezember vertagt. Bis Mitte des Monats soll dann im Landtag abgestimmt werden. 

Derzeit stehen die Zeichen auf Konfrontation. Die CDU lasse sich nicht erpressen, hatte Landesparteichef Stahlknecht noch vor seiner Entlassung in dem schon erwähnten Zeitungsinterview angekündigt. "Die CDU hat klare Positionen, von denen sie nicht deshalb abrückt, nur weil die AfD sich mit diesen gemein macht." Der CDU-Landesvorstand stehe voll hinter der Fraktion und werde seine Position nicht räumen.

Ob Stahlknechts Entlassung und sein Rückzug von der Parteispitze daran etwas ändert, bleibt abzuwarten.