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Ab ins Theater - per Stream!

Sabine Peschel
6. Mai 2020

Die Bretter, die für Theatermenschen die Welt bedeuten: Sie sind verwaist. Doch Schauspieler und Fans treffen sich trotzdem, nicht im Zuschauerraum - aber online! Bei legendären Inszenierungen berühmter Theater.

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Deutsches Theater Berlin - Die härteste Tochter Deutschlands
Bild: Roman Kuskowski

Haben Sie heute Abend Zeit? Dann gehen Sie zum Theatertreffen! Tickets? Brauchen Sie nicht! Und wenn Sie es heute nicht mehr zu Tennessee Williams "Süßer Vogel Jugend" schaffen, lockt Sie vielleicht morgen ein Stück mit dem verwirrenden Titel "Chinchilla Arschloch, waswas". Ausgedacht hat es sich die weltweit agierende Gruppe Rimini Protokoll, die es gemeinsam mit gleich vier Theatern aus Frankfurt und Berlin und einem Rundfunksender erarbeitet hat. Ihre englischsprachigen Freunde können Sie auch einladen, sie können der einzigartigen Inszenierung dank Untertiteln folgen.

Das Berliner Theatertreffen, bei dem die zehn besten Inszenierungen des deutschsprachigen Theaters - oft mit riesigem Aufwand - auf die Bühne gebracht werden, ist alljährlich der Höhepunkt der Saison. Jetzt, wo alle Theater Corona-bedingt geschlossen sind, kann auch dieses Festival nicht stattfinden. Oder doch?

Theatertreffen "On Demand"

Für Theaterfans, die vielleicht sowieso nicht hätten nach Berlin kommen und eine der ungeheuer begehrten Eintrittskarten ergattern können, bietet sich 2020 eine großartige Chance. Denn wie viele andere Kulturangebote hat sich auch das Theatertreffen ins Netz verlagert. Sechs der zehn fantastischen Inszenierungen aus dem letzten Jahr waren oder sind noch bis zum 9. Mai für jeweils 24 Stunden online zu sehen. Die meisten mit englischer Untertitelung. Und wenn Sie zum Beispiel von Toshiki Okada wissen wollen, wie sie auf ihr Stück "The Vakuum Cleaner" verfallen ist, dann haben Sie zu einer festgesetzten Zeit am Abend noch Gelegenheit zum Nachgespräch. Im Online-Chat, versteht sich.

Schaubühne Berlin - Jugend ohne Gott
Online auf schaubuehne.de zu sehen: Ödön von Horváths "Jugend ohne Gott"Bild: Arno Declair

Schaubühne mit "Zwangsvorstellungen"

Die durch ihre modernen Inszenierungen berühmte Berliner Schaubühne lädt schon seit Wochen jeden Abend ins Theater ein. Die Aufzeichnungen der Aufführungen auf dem Online-Ersatzspielplan stammen dabei nicht aus dem letzten Jahr, sondern aus den letzten Jahrzehnten. Henrik Ibsens "Hedda Gabler" beispielsweise kann man so in zwei verschiedenen Inszenierungen sehen, beide - die eine aus dem Jahr 1993, die andere von 2005 - sind legendär geworden. Die jüngere von Thomas Ostermeier ist neben englisch sogar französisch untertitelt.

Thalia Theater: "The Rest is Missing"

Wer bei Ibsen bleiben möchte, kann gleich anschließend virtuell in Hamburg ins Theater gehen und sich "Nora" ansehen. Auch das Thalia Theater streamt Abend für Abend ab 19 Uhr eine der großen Inszenierungen vergangener Jahre. Das Schöne dabei: Die Stücke bleiben im Online-Angebot und können auch nach Tagen noch angesehen werden. Dabei findet man vielleicht Juwelen wie diesen Gedanken aus der "Bastardkomödie nach Wolfgang Amadeus Mozart": "Wenn das Herz denken könnte, dann stünde es still."

"Edition Burgtheater" und "Decamerone"

Thalia Theater - Hereroland
Auch das Hamburger Thalia Theater (hier "Hereroland") ist im Stream zu besuchenBild: Armin Smailovic

Auf der digitalen Bühne des renommierten Wiener Burgtheaters finden Theater und Talks, Geschichten und Poesie statt. Montags und freitags streamt es in der "Edition Burgtheater" seine Klassiker für jeweils 24 Stunden, berühmt gewordene Aufführungen wie die von Shakespeares "Othello" oder Thomas Bernhards "Heldenplatz". Daneben hat "die Burg" noch ein ganz besonderes tägliches Angebot: Der französische Theatermacher und Regisseur Sylvain Creuzevault hat Schauspieler und Schauspielerinnen aus der ganzen Welt eingeladen, Novellen aus Giovanni Boccaccios "Decamerone" aufzunehmen. In 100 Tagen entsteht so eine Serie von Hörspielminiaturen - auf Französisch, aber auch auf Deutsch, auf Englisch und in anderen Sprachen, zu hören jeden Morgen neu auf der Webseite des Burgtheaters. Demnächst ist Halbzeit.

"DT Heimspiel"

Zweimal in der Woche kommt auch das Deutsche Theater Berlin zu seinen Zuschauern. Jeweils am Dienstag und Donnerstag ab 18 Uhr bis 12 Uhr am darauffolgenden Tag können die Fans des schon zu DDR-Zeiten liebevoll "DT" abgekürzten Autorentheaters Klassiker als Video-on-Demand von zu Hause aus ansehen. Falls Sie vergleichen möchten: Ibsens "Hedda Gabler" hat auch das DT im Angebot, in einer Aufführung von 2013. Und als besonders rare Gelegenheit sind Ibsens "Gespenster" von 1983 in einer Inszenierung des großartigen DDR-Regisseurs Thomas Langhoff im Angebot. Die DDR zum Gegenstand machte Eugen Ruge in seinem Bestseller-Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts". Die Bühnenfassung, an der der Autor mitgewirkt hat, ist ebenfalls online im DT zu sehen.

Was ist wo zu sehen?

Auch das Berliner Ensemble, das Hamburger Schauspielhaus, die Münchner Kammerspiele oder das Schauspielhaus Zürich bieten regelmäßig herausragende Inszenierungen im Video-Stream an, viele davon mit englischer Untertitelung. Und es sind nicht nur die großen deutschsprachigen Häuser, die ihrem Publikum online verbunden bleiben wollen. Auch Theater aus kleineren Orten wie Moers, Oberhausen oder dem oberösterreichischen Sankt Pölten präsentieren ihre besten Inszenierungen.

Einen Schritt weiter ist man sogar schon in München und Göttingen, denn dort wird live gestreamt. Lisa Stiegler vom Münchner Residenztheater gibt Georg Büchners "Lenz" als Zoom-Meeting, und das Deutsche Theater Göttingen geht mit "Corpus Delicti" der Bestsellerautorin Juli Zeh in die Tiefgarage.

Viele Theater liefern mit ihren aktuell gebliebenen Inszenierungen einen Kommentar zur Zeit und verstehen sich gerade jetzt auch jenseits der Bühne als wichtiges Diskussionsforum. Zu finden ist eine Übersicht aller Angebote auf der Seite des Online-Theaterfeuilletons nachtkritik.de.