"Ab jetzt soll die einzige Waffe das Wort sein" – Gespräch mit einer Ex-Guerillera der FARC | Start | DW | 05.01.2018
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"Ab jetzt soll die einzige Waffe das Wort sein" – Gespräch mit einer Ex-Guerillera der FARC

Mit 17 ging sie in den bewaffneten Widerstand. In Zukunft möchte María Politik machen – vor allem für Frauen. Ein Treffen mit einer ehemaligen FARC-Kämpferin, die den Friedensprozess mit Hoffnung und Skepsis betrachtet.

DW Akademie | Interview mit der Ex-Guerrillera Maria Angelica

Lena Viktoria Gamper, kulturweit-Freiwillige der DW Akademie, im Gespräch mit Ex-Guerrillera María Angélica Arias

"Mein Name bei den FARC ist María Angélica Arias." Ihren bürgerlichen Namen wagt die 43-jährige Ex-Guerillera, die mir im Flur eines Geschäftshauses im historischen Zentrum von Barranquillas gegenübersitzt, bisher noch nicht zu sagen. "Eines Tages", sagt sie hoffnungsvoll, werde sie den Mut dazu haben.

Die karibische Mittagssonne knallt in den Innenhof und die Türen der umliegenden Wohnungen stehen weit offen, so dass man die Ventilatoren auf höchster Stufe surren und das unregelmäßige Staccato von Nähmaschinen hört. Im Vorbeigehen ein kurzer Blick hinein: Schwitzende Männer und Frauen nähen gefälschte Fußballtrikots der kolumbianischen Nationalmannschaft zusammen.

Bewacht von zwei staatlichen Leibwächtern, die María Angélica in einem schwarzen SUV mit getönten Scheiben zum Treffpunkt gebracht haben, setzen wir uns auf weiße Plastikstühle gegenüber.

Aus "Neugier und jugendlicher Rebellion" wurde Ideologie

Mit 17 Jahren fasste sie den Entschluss, ihr Heimatdorf in den Bergen von Santa Marta nahe der kolumbianischen Karibikküste zu verlassen. Sie wollte der Perspektivlosigkeit ihrer Jugend entfliehen und schloss sich den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens, den FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo) an. Seitdem war sie María Angélica, eine Widerstandskämpferin.

Die Entscheidung, für die Ideale der FARC zu kämpfen und ihr Leben und das ihrer Familie aufs Spiel zu setzen bereut María Angélica im Nachhinein nicht, sagt sie. Obwohl es bedeutet habe, dass sie jahrelang nur selten mit ihrer Familie sprechen konnte:

"Wenn man Guerillero ist, dann bringt das viele Probleme für die Familie. Um ihnen Verfolgung zu ersparen, habe ich sie nie besucht und nur wenige Telefonate in all den Jahren geführt. Denn vor allem in der Ära von Álvaro Uribe [Kolumbiens Präsident von 2002 bis 2010] wurden viele Telefongespräche abgehört, sehr viele. Die Familien von Guerilleros wurden erpresst und umgebracht."

Nicht politische Ideale, sondern Neugier und jugendliche Rebellion hätten sie mit 17 zu den FARC getrieben. Schnell jedoch sei der Kampf für ein „neues Kolumbien“ ihr Lebensinhalt geworden:

"Ein neues Kolumbien ist eines ohne Ungerechtigkeiten. Jeder muss eine Unterkunft haben und Gesundheit und Bildung müssen kostenlos sein. (...) Wir sind ein so reiches Land, aber wir verkaufen unseren Reichtum ins Ausland. Es tut mir weh zu sehen, dass wir Reis und alles importieren, oder dass in La Guajira Menschen an Hunger sterben. Die Perspektivlosigkeit treibt Menschen dazu, sich Banden anzuschließen und sich gegenseitig umzubringen, um etwas zu essen zu verdienen."

"Ich glaube an eine neue Gesellschaft."

Die FARC führten für ihr Ideal vom „neuen Kolumbien“ einen brutalen Kampf: Entführungen zur Finanzierung der bewaffneten Kräfte, Erpressungen und Massaker mit Hunderten von Toten waren Mittel zum Zweck. Kann die Gesellschaft den FARC nach jahrelanger Gewalt Vertrauen schenken?

"Ich glaube an eine neue Gesellschaft. Der Hass muss aufhören. Wir haben den ersten Schritt gemacht, unsere Waffen niedergelegt, Frieden auf unsere Flagge geschrieben, uns der Worte angenommen und wir wollen uns wieder integrieren. Das ist der Beweis.(...) Wir haben alle nein zum bewaffneten Kampf gesagt; ab jetzt soll die einzige Waffe das Wort sein."

Menschen in der Hauptstadt Bogotá feiern das Friedensabkommen.

Menschen in der Hauptstadt Bogotá feiern das Friedensabkommen.

Bei einer Volksabstimmung im Oktober 2016 stimmten 49,8 % der Kolumbianer für die Billigung des Friedensabkommens zwischen Regierung und FARC-EP und 50,2% dagegen. Die Verträge zwischen den FARC und der kolumbianischen Regierung beinhalten kontrovers diskutierte Amnestie-Zusagen an FARC-Rebellen:

"Ungefähr 2400 von uns saßen [zum Zeitpunkt der Vertragsschließung] noch in Haft. Davon wurden noch nicht mal 800 freigelassen und einige sind in den Hungerstreik gegangen. Und das nur auf Grund von Nachlässigkeiten des Staates, der sein Soll nicht erfüllt. Wir zeigen viel Bereitschaft, aber die Regierung muss es uns gleichtun."

María Angélica ist skeptisch, wenn es um die Zusagen der Regierung geht:

"Wir fragen uns manchmal was morgen mit uns passiert. Wo ist das, was der Staat uns garantieren muss: Gesundheit, Wohnraum, Bildung. (…) Wo ist das wofür ich so lange gekämpft habe, wenn ich mit einem Kind nicht einmal ein Dach über dem Kopf habe?"

Die FARC hat sich in den vergangenen Monaten als politische Partei neu gegründet. Für die nächsten beiden Wahlperioden sind sie mit je fünf Sitzen im Senat und im Repräsentantenhaus vertreten; auch das regelt der Friedensvertrag. María Angélica will sich politisch für die Gleichstellung der Geschlechter engagieren:

"Wir bei den FARC haben die Gleichstellung von Mann und Frau am eigenen Leib erlebt. Etwa 40 % der Guerilleros sind Frauen. (…)Unsere Politik war immer: Eine Frau soll spüren, dass sie jede Beschäftigung und jedes Amt verantwortlich wahrnehmen kann. Bei uns im Haushalt  hat der Mann dieselbe Verantwortung zu tragen wie die Frau, er kann auch Windeln wechseln. Diese gegenseitige Verantwortlichkeit fehlt in der kolumbianischen Gesellschaft, das ist Machismo."

"Die Menschen müssen uns wieder akzeptieren."

Außerdem möchte María Angélica als Grafikdesignerin arbeiten. Schon bei den FARC sei das ihre Hauptaufgabe gewesen, sie habe dort Propagandavideos geschnitten. Ein Neustart wird nicht leicht, dessen ist sich María Angélica bewusst:

"Wir lebten so viele Jahre zurückgezogen in den Bergen. Und nun zurück in die Zivilisation zu kommen ist nicht leicht. Wir sind eine militärische Führung gewohnt, wir waren eine Armee. Und das andere ist die Gesellschaft. Die Menschen  müssen uns wieder akzeptieren in der Zivilgesellschaft. Und es wird teilweise Momente der Ablehnung geben, denn die Leute kennen unsere Ideale einfach nicht."

Die FARC hat sich in den vergangenen Monaten als politische Partei neu gegründet und wird im Senat und im Repräsentantenhaus vertreten sein.

Die FARC hat sich in den vergangenen Monaten als politische Partei neu gegründet und wird im Senat und im Repräsentantenhaus vertreten sein.

Hast du Angst vor dem was kommt?

"Ich habe manchmal Angst, dass mir jemand auf Grund meiner Arbeit etwas antut. Und ich verurteile sie nicht, denn in 53 Jahren Kampf haben wir auch Schaden angerichtet und wir stehen dazu. Jetzt muss über eine Form der Reparation gesprochen werden. Aber der Staat muss dasselbe eingestehen, denn auch er hat unsere Kameraden und unbeteiligte Familienmitglieder umgebracht."

Wann ist der Frieden erreicht?

"Zum Frieden gehört soziale Gerechtigkeit und die schließt Gesundheit, Bildung, Wohnraum und mehr Lebensqualität ein. Dafür kämpfen wir seit 53 Jahren."

Im Gespräch mit María Angélica wird deutlich, dass sie dem Übergangsrecht nicht traut. Sie hat Angst vor einem Doppelspiel der kolumbianischen Regierung und scheint damit nicht allein zu sein. Im vergangenen November prangerte die FARC-Führung in einem öffentlichen Brief an den Internationalen Strafgerichtshof „manipulatives Einwirken“ der kolumbianischen Regierung auf das Kriegsverbrechertribunal an.

Gleichzeitig wirkt María Angélicas Blick auf die eigene Gruppierung und deren Verbrechen wenig selbstkritisch. An vielen Stellen entsteht der Eindruck tiefer Loyalität sowohl zur „alten“ FARC mit Waffen, als auch zur "neuen" FARC mit Worten. Deutlich wird das auch durch ihre Wortwahl: María Angélica bleibt im Interview konsequent beim "Wir".

Der Friedensprozess in Kolumbien ist in der Theorie vielversprechend. Auf seiner letzten Etappe muss er sich nun beweisen: der Wiedereingliederung der Ex-Guerilleros in die Gesellschaft. Im Moment wirken die Beteiligten wie Tänzer auf einem schmalen Seil zwischen gemeinsamer Hoffnung auf Frieden und gegenseitigem Misstrauen. Ein Absturz wäre für alle Seiten fatal.

 

Autorin: Lena Viktoria Gamper

Lena Viktoria Gamper war 2017 im Rahmen des kulturweit-Programms der Deutschen UNESCO-Kommission in Kooperation mit der DW Akademie in Barranquilla an Kolumbiens Karibikküste. Als Reporterin für das Community Radio Vokaribe stellte sie fest, dass fast alle Aspekte des öffentlichen Lebens mit dem aktuellen Friedensprozess im Land in Zusammenhang stehen.

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